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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Beziehungen am nächsten, freilich nur wirklich nahe, wo sie kühle Tagesstim¬
mungen geben.

Complieiert ward das Glanzspiel auf dem Meere, als der Mond goldgelb
hinter dem Dünengrase aufging und der Leuchtthurm abwechselnd sein weißes
und sein rothes Licht über die unabsehbare Fläche hinaussandte. Das Buch
hatten wir längst bei Seite gelegt. Es ward dunkel. Wir wandten uns in
die einsame Dünenwüste zurück; und als wir eine Viertelstunde Auf- und Ab-
kletterns vom Meere entfernt waren und über uns sich der Sternenhimmel
wölbte, tönte die Brandung sast noch vernehmbarer als am Strande, dumpf¬
rollend und unheimlich reizvoll in die grenzenlose Oede und Einsamkeit herüber.
Und das alles in nächster Nähe der großen Hauptstadt des Reiches!

Haarlem, den 7. September 1878. Im Frühling breitet die berühmte
Blumenzucht einen blendendbunten Teppich von dunkel- und hellrothen, himmel-
und veilchenblauen, rahmgelben und weißen Hyazinthen rings um Haarlem aus.
Dann füllen berauschende Düfte die Lüfte, und die Nachtigallen schmettern in
den frühlingsgrünen Büschen des Haarlemer Holzes. Dann ist Haarlem das
Entzücken des Dichters; aber der Maler macht ein bedenkliches Gesicht dazu.

Im Frühling habe ich Haarlem vor drei Jahren besucht. Jetzt sehen wir
es im ersten Schimmer des Herbstes. Jetzt ist Haarlem, die Stadt der großen
alten Maler, auch das Entzücken des gegenwärtigen Malers.

Alles in Allem genommen, hatte Haarlem im 17. Jahrhundert, obgleich
Remvrandt, der einzige, in Amsterdam wohnte, die malerische Vorherrschaft uuter
den holländischen Städten. Hier lebten und wirkten nicht nur die großen
Figurenmaler, durch welche die holländische Art, die Dinge zu sehen, ihre charak¬
teristischen Triumphe feierte, hier lebten und wirkten nicht nur Frans Hals,
Ubr. Brouwer, Ubr. und Is. van Ostade, sondern hier waren auch Jan Wynants
und die Ruysdaels zu Hause, die tiefsinnigen Meister, welche im Mittelpunkte
der classischen Landschaftsmalerei Hollands stehen, und hier wohnten die Wou-
vermans, von denen man nicht weiß, ob der landschaftliche oder der figür¬
liche Theil ihrer Bilder feiner und geistreicher ist. Aber das sind nur ganz
wenige der berühmten Haarlemer Maler. Dr. van der Willigen hat ihre voll¬
ständige Liste aus den Registern der alten Lukasgilde zusammengestellt. Sein
Buch I-Sö artistss als Haarlsw muß man lesen, wenn man das volle Bewußt¬
sein von der kunstgeschichtlichen Bedeutung dieser gemüthlichen, echt holländischen
kleinen Stadt gewinnen will.

Dieses verdienstvolle Buch hat aber die Haarlemer selbst mehr, als gut
war, auf die Schätze aufmerksam gemacht, die sie noch besaßen. Sie wollten
ihre Schätze zu Gelde machen und verkauften sie. Eins der Bilder nach dem
andern hat Haarlem verlassen. Vor drei Jahren bewahrte wenigstens das alte


Beziehungen am nächsten, freilich nur wirklich nahe, wo sie kühle Tagesstim¬
mungen geben.

Complieiert ward das Glanzspiel auf dem Meere, als der Mond goldgelb
hinter dem Dünengrase aufging und der Leuchtthurm abwechselnd sein weißes
und sein rothes Licht über die unabsehbare Fläche hinaussandte. Das Buch
hatten wir längst bei Seite gelegt. Es ward dunkel. Wir wandten uns in
die einsame Dünenwüste zurück; und als wir eine Viertelstunde Auf- und Ab-
kletterns vom Meere entfernt waren und über uns sich der Sternenhimmel
wölbte, tönte die Brandung sast noch vernehmbarer als am Strande, dumpf¬
rollend und unheimlich reizvoll in die grenzenlose Oede und Einsamkeit herüber.
Und das alles in nächster Nähe der großen Hauptstadt des Reiches!

Haarlem, den 7. September 1878. Im Frühling breitet die berühmte
Blumenzucht einen blendendbunten Teppich von dunkel- und hellrothen, himmel-
und veilchenblauen, rahmgelben und weißen Hyazinthen rings um Haarlem aus.
Dann füllen berauschende Düfte die Lüfte, und die Nachtigallen schmettern in
den frühlingsgrünen Büschen des Haarlemer Holzes. Dann ist Haarlem das
Entzücken des Dichters; aber der Maler macht ein bedenkliches Gesicht dazu.

Im Frühling habe ich Haarlem vor drei Jahren besucht. Jetzt sehen wir
es im ersten Schimmer des Herbstes. Jetzt ist Haarlem, die Stadt der großen
alten Maler, auch das Entzücken des gegenwärtigen Malers.

Alles in Allem genommen, hatte Haarlem im 17. Jahrhundert, obgleich
Remvrandt, der einzige, in Amsterdam wohnte, die malerische Vorherrschaft uuter
den holländischen Städten. Hier lebten und wirkten nicht nur die großen
Figurenmaler, durch welche die holländische Art, die Dinge zu sehen, ihre charak¬
teristischen Triumphe feierte, hier lebten und wirkten nicht nur Frans Hals,
Ubr. Brouwer, Ubr. und Is. van Ostade, sondern hier waren auch Jan Wynants
und die Ruysdaels zu Hause, die tiefsinnigen Meister, welche im Mittelpunkte
der classischen Landschaftsmalerei Hollands stehen, und hier wohnten die Wou-
vermans, von denen man nicht weiß, ob der landschaftliche oder der figür¬
liche Theil ihrer Bilder feiner und geistreicher ist. Aber das sind nur ganz
wenige der berühmten Haarlemer Maler. Dr. van der Willigen hat ihre voll¬
ständige Liste aus den Registern der alten Lukasgilde zusammengestellt. Sein
Buch I-Sö artistss als Haarlsw muß man lesen, wenn man das volle Bewußt¬
sein von der kunstgeschichtlichen Bedeutung dieser gemüthlichen, echt holländischen
kleinen Stadt gewinnen will.

Dieses verdienstvolle Buch hat aber die Haarlemer selbst mehr, als gut
war, auf die Schätze aufmerksam gemacht, die sie noch besaßen. Sie wollten
ihre Schätze zu Gelde machen und verkauften sie. Eins der Bilder nach dem
andern hat Haarlem verlassen. Vor drei Jahren bewahrte wenigstens das alte


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[0236] Beziehungen am nächsten, freilich nur wirklich nahe, wo sie kühle Tagesstim¬ mungen geben. Complieiert ward das Glanzspiel auf dem Meere, als der Mond goldgelb hinter dem Dünengrase aufging und der Leuchtthurm abwechselnd sein weißes und sein rothes Licht über die unabsehbare Fläche hinaussandte. Das Buch hatten wir längst bei Seite gelegt. Es ward dunkel. Wir wandten uns in die einsame Dünenwüste zurück; und als wir eine Viertelstunde Auf- und Ab- kletterns vom Meere entfernt waren und über uns sich der Sternenhimmel wölbte, tönte die Brandung sast noch vernehmbarer als am Strande, dumpf¬ rollend und unheimlich reizvoll in die grenzenlose Oede und Einsamkeit herüber. Und das alles in nächster Nähe der großen Hauptstadt des Reiches! Haarlem, den 7. September 1878. Im Frühling breitet die berühmte Blumenzucht einen blendendbunten Teppich von dunkel- und hellrothen, himmel- und veilchenblauen, rahmgelben und weißen Hyazinthen rings um Haarlem aus. Dann füllen berauschende Düfte die Lüfte, und die Nachtigallen schmettern in den frühlingsgrünen Büschen des Haarlemer Holzes. Dann ist Haarlem das Entzücken des Dichters; aber der Maler macht ein bedenkliches Gesicht dazu. Im Frühling habe ich Haarlem vor drei Jahren besucht. Jetzt sehen wir es im ersten Schimmer des Herbstes. Jetzt ist Haarlem, die Stadt der großen alten Maler, auch das Entzücken des gegenwärtigen Malers. Alles in Allem genommen, hatte Haarlem im 17. Jahrhundert, obgleich Remvrandt, der einzige, in Amsterdam wohnte, die malerische Vorherrschaft uuter den holländischen Städten. Hier lebten und wirkten nicht nur die großen Figurenmaler, durch welche die holländische Art, die Dinge zu sehen, ihre charak¬ teristischen Triumphe feierte, hier lebten und wirkten nicht nur Frans Hals, Ubr. Brouwer, Ubr. und Is. van Ostade, sondern hier waren auch Jan Wynants und die Ruysdaels zu Hause, die tiefsinnigen Meister, welche im Mittelpunkte der classischen Landschaftsmalerei Hollands stehen, und hier wohnten die Wou- vermans, von denen man nicht weiß, ob der landschaftliche oder der figür¬ liche Theil ihrer Bilder feiner und geistreicher ist. Aber das sind nur ganz wenige der berühmten Haarlemer Maler. Dr. van der Willigen hat ihre voll¬ ständige Liste aus den Registern der alten Lukasgilde zusammengestellt. Sein Buch I-Sö artistss als Haarlsw muß man lesen, wenn man das volle Bewußt¬ sein von der kunstgeschichtlichen Bedeutung dieser gemüthlichen, echt holländischen kleinen Stadt gewinnen will. Dieses verdienstvolle Buch hat aber die Haarlemer selbst mehr, als gut war, auf die Schätze aufmerksam gemacht, die sie noch besaßen. Sie wollten ihre Schätze zu Gelde machen und verkauften sie. Eins der Bilder nach dem andern hat Haarlem verlassen. Vor drei Jahren bewahrte wenigstens das alte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/236>, abgerufen am 28.12.2024.