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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Bevölkerung Griechenlands selbst Rechnung tragen, als eine Wirkung im Aus¬
lande erzielen sollen. Sehr stolz klingt die Versicherung, es solle nicht eher
abgerüstet werden, als bis eine neue Ordnung der Dinge in den jetzt noch der
Türkei gehörigen, durch die Berliner Konferenz aber den Griechen zugesprochenen
Provinzen erreicht sei. Aber auch das mag in der Ueberzeugung behauptet
worden sein, daß eine weniger entschlossene Sprache wahrscheinlich das Ver¬
trauen der Unterthanen des Königs auf schließlichen Erfolg erschüttert haben
würde. Im Ernste konnte es nicht gemeint sein. Griechenland kann nicht allein
handeln, und es kann aus finanziellen Rücksichten nicht lange Gewehr beim Fuß
mit einer starken Armee zuwarten. Es kann nur mit dem militärischen Bei¬
stande wenigstens einer oder einiger Mächte gegen die Türkei zu Felde ziehen.
Wäre es im Kampfe mit dieser einzig auf seine eignen Kräfte angewiesen, so
hätte es seine Existenz gewagt; denn es ist kaum im Stande, mit der Pforte
behufs der Erwerbung eiuer neuen Nordgrenze mit Aussicht auf Erfolg Krieg
zu führen. Dem Kühnen gehört die Welt, wer wagt, gewinnt, und Albanien
mit Janina, sowie das reiche Thessalien wären wohl des Schweißes und Blutes
der Edlen werth. Aber mit Hochsinn, wie ihn König Georgios seinen Hellenen
nachrühmt, gewinnt man gegen die Veteranen der Pforte keine Schlachten, wenn
einem nicht mehr Mittel zu Gebote stehen, wie die, über welche man in Athen
verfügt.

Dall/ Ist^of, das Sprachrohr des Ministeriums Gladstone, meint, jene
Erklärung, Griechenland werde nicht abrüsten, bevor sein Ziel im Norden er¬
reicht sei, wäre abgegeben worden, um Griechenland und Europa im allgemei¬
nen zu verhindern, die Beweggründe einer Ausübung jener Geduld falsch auf¬
zufassen, welche Lord Beaconsfield in einigermaßen geringschätzigen Tone den
Griechen als diejenige Tugend empfohlen habe, die ihnen besonders gut zu Ge¬
sicht stehen werde. Griechenland werde mit der Geltendmachung seiner Ansprüche
vorerst zurückhalten, aber es denke nicht daran, auf sie zu verzichten. Es werde
nicht leichtfertig zu Thaten auf eigne Faust vorschreiten; denn noch sei es nicht
vollständig überzeugt, daß es nicht mehr auf Action der Mächte in feinem Inter¬
esse zu rechnen habe. Aber es sei entschlossen und bereit, im Nothfalle einen
verzweifelten Hieb zu führen. Es könne nicht ins Blaue hinein zuwarten, und
man dürfe nicht daran zweifeln, daß, wenn es die ihm von der Berliner Con-
ferenz zugewiesenen Grenze nicht erlange, ein Act zu befürchte" sei, der zu einem
Conflicte zwischen ihm und der Pforte führen werde.

Sind diese Vermuthungen begründet, und überstürzt Griechenland die
Lösung seiner Sache, so wird es sich einer großen Thorheit schuldig machen.
Von dem Augenblicke an, wo der erster Schuß im Norden von Lamia und
den Grenzgebirgen Akarnaniens gefallen ist, hört die politische Frage auf, die


Bevölkerung Griechenlands selbst Rechnung tragen, als eine Wirkung im Aus¬
lande erzielen sollen. Sehr stolz klingt die Versicherung, es solle nicht eher
abgerüstet werden, als bis eine neue Ordnung der Dinge in den jetzt noch der
Türkei gehörigen, durch die Berliner Konferenz aber den Griechen zugesprochenen
Provinzen erreicht sei. Aber auch das mag in der Ueberzeugung behauptet
worden sein, daß eine weniger entschlossene Sprache wahrscheinlich das Ver¬
trauen der Unterthanen des Königs auf schließlichen Erfolg erschüttert haben
würde. Im Ernste konnte es nicht gemeint sein. Griechenland kann nicht allein
handeln, und es kann aus finanziellen Rücksichten nicht lange Gewehr beim Fuß
mit einer starken Armee zuwarten. Es kann nur mit dem militärischen Bei¬
stande wenigstens einer oder einiger Mächte gegen die Türkei zu Felde ziehen.
Wäre es im Kampfe mit dieser einzig auf seine eignen Kräfte angewiesen, so
hätte es seine Existenz gewagt; denn es ist kaum im Stande, mit der Pforte
behufs der Erwerbung eiuer neuen Nordgrenze mit Aussicht auf Erfolg Krieg
zu führen. Dem Kühnen gehört die Welt, wer wagt, gewinnt, und Albanien
mit Janina, sowie das reiche Thessalien wären wohl des Schweißes und Blutes
der Edlen werth. Aber mit Hochsinn, wie ihn König Georgios seinen Hellenen
nachrühmt, gewinnt man gegen die Veteranen der Pforte keine Schlachten, wenn
einem nicht mehr Mittel zu Gebote stehen, wie die, über welche man in Athen
verfügt.

Dall/ Ist^of, das Sprachrohr des Ministeriums Gladstone, meint, jene
Erklärung, Griechenland werde nicht abrüsten, bevor sein Ziel im Norden er¬
reicht sei, wäre abgegeben worden, um Griechenland und Europa im allgemei¬
nen zu verhindern, die Beweggründe einer Ausübung jener Geduld falsch auf¬
zufassen, welche Lord Beaconsfield in einigermaßen geringschätzigen Tone den
Griechen als diejenige Tugend empfohlen habe, die ihnen besonders gut zu Ge¬
sicht stehen werde. Griechenland werde mit der Geltendmachung seiner Ansprüche
vorerst zurückhalten, aber es denke nicht daran, auf sie zu verzichten. Es werde
nicht leichtfertig zu Thaten auf eigne Faust vorschreiten; denn noch sei es nicht
vollständig überzeugt, daß es nicht mehr auf Action der Mächte in feinem Inter¬
esse zu rechnen habe. Aber es sei entschlossen und bereit, im Nothfalle einen
verzweifelten Hieb zu führen. Es könne nicht ins Blaue hinein zuwarten, und
man dürfe nicht daran zweifeln, daß, wenn es die ihm von der Berliner Con-
ferenz zugewiesenen Grenze nicht erlange, ein Act zu befürchte» sei, der zu einem
Conflicte zwischen ihm und der Pforte führen werde.

Sind diese Vermuthungen begründet, und überstürzt Griechenland die
Lösung seiner Sache, so wird es sich einer großen Thorheit schuldig machen.
Von dem Augenblicke an, wo der erster Schuß im Norden von Lamia und
den Grenzgebirgen Akarnaniens gefallen ist, hört die politische Frage auf, die


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[0211] Bevölkerung Griechenlands selbst Rechnung tragen, als eine Wirkung im Aus¬ lande erzielen sollen. Sehr stolz klingt die Versicherung, es solle nicht eher abgerüstet werden, als bis eine neue Ordnung der Dinge in den jetzt noch der Türkei gehörigen, durch die Berliner Konferenz aber den Griechen zugesprochenen Provinzen erreicht sei. Aber auch das mag in der Ueberzeugung behauptet worden sein, daß eine weniger entschlossene Sprache wahrscheinlich das Ver¬ trauen der Unterthanen des Königs auf schließlichen Erfolg erschüttert haben würde. Im Ernste konnte es nicht gemeint sein. Griechenland kann nicht allein handeln, und es kann aus finanziellen Rücksichten nicht lange Gewehr beim Fuß mit einer starken Armee zuwarten. Es kann nur mit dem militärischen Bei¬ stande wenigstens einer oder einiger Mächte gegen die Türkei zu Felde ziehen. Wäre es im Kampfe mit dieser einzig auf seine eignen Kräfte angewiesen, so hätte es seine Existenz gewagt; denn es ist kaum im Stande, mit der Pforte behufs der Erwerbung eiuer neuen Nordgrenze mit Aussicht auf Erfolg Krieg zu führen. Dem Kühnen gehört die Welt, wer wagt, gewinnt, und Albanien mit Janina, sowie das reiche Thessalien wären wohl des Schweißes und Blutes der Edlen werth. Aber mit Hochsinn, wie ihn König Georgios seinen Hellenen nachrühmt, gewinnt man gegen die Veteranen der Pforte keine Schlachten, wenn einem nicht mehr Mittel zu Gebote stehen, wie die, über welche man in Athen verfügt. Dall/ Ist^of, das Sprachrohr des Ministeriums Gladstone, meint, jene Erklärung, Griechenland werde nicht abrüsten, bevor sein Ziel im Norden er¬ reicht sei, wäre abgegeben worden, um Griechenland und Europa im allgemei¬ nen zu verhindern, die Beweggründe einer Ausübung jener Geduld falsch auf¬ zufassen, welche Lord Beaconsfield in einigermaßen geringschätzigen Tone den Griechen als diejenige Tugend empfohlen habe, die ihnen besonders gut zu Ge¬ sicht stehen werde. Griechenland werde mit der Geltendmachung seiner Ansprüche vorerst zurückhalten, aber es denke nicht daran, auf sie zu verzichten. Es werde nicht leichtfertig zu Thaten auf eigne Faust vorschreiten; denn noch sei es nicht vollständig überzeugt, daß es nicht mehr auf Action der Mächte in feinem Inter¬ esse zu rechnen habe. Aber es sei entschlossen und bereit, im Nothfalle einen verzweifelten Hieb zu führen. Es könne nicht ins Blaue hinein zuwarten, und man dürfe nicht daran zweifeln, daß, wenn es die ihm von der Berliner Con- ferenz zugewiesenen Grenze nicht erlange, ein Act zu befürchte» sei, der zu einem Conflicte zwischen ihm und der Pforte führen werde. Sind diese Vermuthungen begründet, und überstürzt Griechenland die Lösung seiner Sache, so wird es sich einer großen Thorheit schuldig machen. Von dem Augenblicke an, wo der erster Schuß im Norden von Lamia und den Grenzgebirgen Akarnaniens gefallen ist, hört die politische Frage auf, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/211>, abgerufen am 28.12.2024.