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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Betrachten wir diese Aeußerungen mit nüchternen Blicken, so ergiebt sich
Folgendes. Zunächst ist der Ausdruck "Urtheilsspruch", der in Betreff der Er¬
gebnisse des Berliner Congresses und der spätern Conferenz gebraucht wird,
nicht richtig gewählt. Die Pforte hat auf dem Congresse gegenüber den Griechen
nicht wie in Bezug auf Montenegro bestimmte Verpflichtungen übernommen,
und das Resultat der Berathungen der Conferenz war eine Empfehlung, ein
Vorschlag, kein Verlangen, zu dessen Erfüllung die Mächte durch Pressionsmittel
beizutragen sich anheischig gemacht hätten. Die gewagteste Deutung kann im
Verhalten der Mächte zum 24. Artikel des Berliner Vertrags keinen Anhalt
für die Behauptung finden, dieselben müßten das bei Duleigno eingeschlagene
Zwangsverfahren hinsichtlich der griechischen Frage fortsetzen, und andrerseits
hat die Türkei in jenem Artikel sich zu nichts verpflichtet. Ihre Bevollmäch¬
tigten find vielmehr, als sie Verwahrung gegen diese Bestimmung einlegen
wollten, vom Präsidenten des Congresses bedeutet wordeu, daß der Artikel ledig¬
lich einen Wunsch, keine Resolution des letztern enthalte. Mit Unrecht wird
daher jetzt der Pforte vorgeworfen, sie verletze eine Bestimmung des Berliner
Übereinkommens, wenn sie auf die im 13. Protokolle bezeichneten Landabtre¬
tungen nicht ohne weiteres eingehen will. Es ist eine falsche Auslegung der
Mission, welche die von Gladstone veranlaßte Berliner Conferenz hatte, wenn
man dieselbe als Areopag aufgefaßt wissen will. Ihre Aufgabe war, wie Fürst
Bismarck und Baron Haymerle damals äußerten und noch jetzt meinen, nicht,
Recht zu sprechen, sondern zu vermitteln.

Wenn der König Georgios ferner die Mobilisierung seines Heeres als Er¬
füllung einer gegen den Hellenismus eingegangenen Verpflichtung darstellt, so
ist das eine Redensart, die man am Ende wohl versteht, nur darf man sich
dabei wundern, daß das Gefühl, gegen die Nation der Hellenen Verpflichtungen
zu haben, erst jetzt Worte findet und zu Thaten zu drängen scheint, während
sich dazu doch im Laufe des russisch-türkischen Krieges reichlicher Anlaß geboten
hätte. Noch weniger verständlich ist es aber, daß der königliche Redner die
militärischen Vorbereitungen, die er erwähnt, auch als auf einer Verpflichtung
gegen die Unterzeichner des Berliner Vertrags beruhend zu bezeichnen geruht
hat. Auf den Diplomatenversammlimgen, die 1878 und 1879 in Berlin tagten,
hat man den Griechen in dieser Hinsicht weder direct oder indirect Pflichten
auferlegt, und wenn wir recht unterrichtet sind, hat der König bei seiner letzten
Tour durch Mittel- und Westeuropa sogar hier und dort wohlgemeinte Andeu¬
tungen zu hören bekommen, die auf Warnung vor hastigem Vorgehen in der
Grenzfrage und vor einem Appell an die Gewalt hinausliefen. Wenn die
Thronrede trotzdem Wendungen enthält, die nach Kriegslust schmecken, so kann
man das wohl nur damit erklären, daß diese Sätze mehr der Stimmung der


Betrachten wir diese Aeußerungen mit nüchternen Blicken, so ergiebt sich
Folgendes. Zunächst ist der Ausdruck „Urtheilsspruch", der in Betreff der Er¬
gebnisse des Berliner Congresses und der spätern Conferenz gebraucht wird,
nicht richtig gewählt. Die Pforte hat auf dem Congresse gegenüber den Griechen
nicht wie in Bezug auf Montenegro bestimmte Verpflichtungen übernommen,
und das Resultat der Berathungen der Conferenz war eine Empfehlung, ein
Vorschlag, kein Verlangen, zu dessen Erfüllung die Mächte durch Pressionsmittel
beizutragen sich anheischig gemacht hätten. Die gewagteste Deutung kann im
Verhalten der Mächte zum 24. Artikel des Berliner Vertrags keinen Anhalt
für die Behauptung finden, dieselben müßten das bei Duleigno eingeschlagene
Zwangsverfahren hinsichtlich der griechischen Frage fortsetzen, und andrerseits
hat die Türkei in jenem Artikel sich zu nichts verpflichtet. Ihre Bevollmäch¬
tigten find vielmehr, als sie Verwahrung gegen diese Bestimmung einlegen
wollten, vom Präsidenten des Congresses bedeutet wordeu, daß der Artikel ledig¬
lich einen Wunsch, keine Resolution des letztern enthalte. Mit Unrecht wird
daher jetzt der Pforte vorgeworfen, sie verletze eine Bestimmung des Berliner
Übereinkommens, wenn sie auf die im 13. Protokolle bezeichneten Landabtre¬
tungen nicht ohne weiteres eingehen will. Es ist eine falsche Auslegung der
Mission, welche die von Gladstone veranlaßte Berliner Conferenz hatte, wenn
man dieselbe als Areopag aufgefaßt wissen will. Ihre Aufgabe war, wie Fürst
Bismarck und Baron Haymerle damals äußerten und noch jetzt meinen, nicht,
Recht zu sprechen, sondern zu vermitteln.

Wenn der König Georgios ferner die Mobilisierung seines Heeres als Er¬
füllung einer gegen den Hellenismus eingegangenen Verpflichtung darstellt, so
ist das eine Redensart, die man am Ende wohl versteht, nur darf man sich
dabei wundern, daß das Gefühl, gegen die Nation der Hellenen Verpflichtungen
zu haben, erst jetzt Worte findet und zu Thaten zu drängen scheint, während
sich dazu doch im Laufe des russisch-türkischen Krieges reichlicher Anlaß geboten
hätte. Noch weniger verständlich ist es aber, daß der königliche Redner die
militärischen Vorbereitungen, die er erwähnt, auch als auf einer Verpflichtung
gegen die Unterzeichner des Berliner Vertrags beruhend zu bezeichnen geruht
hat. Auf den Diplomatenversammlimgen, die 1878 und 1879 in Berlin tagten,
hat man den Griechen in dieser Hinsicht weder direct oder indirect Pflichten
auferlegt, und wenn wir recht unterrichtet sind, hat der König bei seiner letzten
Tour durch Mittel- und Westeuropa sogar hier und dort wohlgemeinte Andeu¬
tungen zu hören bekommen, die auf Warnung vor hastigem Vorgehen in der
Grenzfrage und vor einem Appell an die Gewalt hinausliefen. Wenn die
Thronrede trotzdem Wendungen enthält, die nach Kriegslust schmecken, so kann
man das wohl nur damit erklären, daß diese Sätze mehr der Stimmung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/210>, abgerufen am 28.12.2024.