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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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erste Rolle zu spielen, und an ihre Stelle tritt die militärische. Im Januar
dieses Jahres hatte die Pforte in den Provinzen, die nach dem Vorschlage der
Mächte vom Sultan an Griechenland abgetreten werden sollten, 35000 Mann
reguläre Soldaten stehen. Griechenland aber konnte deren nicht mehr als
24000 Mann verfügbar machen. Wenn es jetzt mit Hilfe von freiwilligen Mi¬
lizen, wie behauptet wird, 60000 oder gar 100000 aufstellen will, so soll das
nicht bezweifelt werden, nur wird dann die Qualität dieser improvisierten Kriegs¬
leute Bedenken erwecken. Ein Offizier, der sich vor kurzem in den Gegenden auf¬
gehalten hat, wo solche Freiwillige Hausen, fand, daß ihr Zustand ein höchst
mangelhafter war. Sie glichen nach seiner Beschreibung "mehr Wegelagerern als
Soldaten, und ein Reisender, der Aussicht hatte, ihnen zu begegnen, that klug,
sich nicht mit viel Geld zu versehen." Außerdem könnte die Türkei diesen Frei-
schaaren wenigstens die gleiche Zahl kriegsgeübter Baschibozuks und Tscherkessen
entgegenstellen. Die Aufgabe aber, die der griechischen Armee gleich zu Anfang
des Feldzugs gestellt wäre, würde auch für bessere Truppen, als die, über
welche ihr Feldherr zu verfügen hätte, nichts weniger als leicht sein. Zunächst
hätte sie die äußerst schwierig zu forcierenden Gebirgsdefileen zu überwinden,
welche nach Thessalien und Epirus führen, und gelänge ihr dies gegen alle
Wahrscheinlichkeit, so würde sie sich in dem ausgedehnten Lande, das etwa halb
so groß wie das jetzige Königreich Hellas ist, gegenüber der türkischen Armee
schwerlich überall behaupten können, zumal da die Bevölkerung einer Einver¬
leibung in den südlichen Nachbarstaat an vielen Orten mit Händen und Füßen
widerstrebt. Nicht sehr ins Gewicht fällt es, wenn man geltend machen will,
die Pforte werde, nachdem ihr Griechenland den Krieg erklärt, von der See aus
selbst zur Offensive übergehen und mit ihrer starken Flotte, der Griechenland
nur wenige Schiffe entgegenzustellen vermöchte, das kleine Königreich von ver¬
schiedenen Seiten angreifen. Denn eine solche Diversion hätte zwar, bei der lang¬
gestreckten Küstenentwickelung und den tief eingeschnittenen Buchten des letztern
und bei dem Mangel an Eisenbahnen und guten Landstraßen, der eine ener¬
gische Vertheidigung nicht zuläßt, auf Erfolg zu rechnen. Aber erstens haben
die wenigen und kleinen Schiffe der Griechen im Freiheitskriege vielfach große
türkische Flotten in Schach gehalten und theilweise unschädlich gemacht, und
sodann wäre es nicht unmöglich, sogar wahrscheinlich, daß England wenigstens
insoweit Partei für die Griechen ergriffe, daß es der Türkei nicht gestattete, sich
ihrer Flotte gegen jene zu bedienen. Die Pforte hätte aber auch andere Mittel,
die hellenische Regierung rasch zum Frieden zu nöthigen. Die Anleihe, welche
letztere aufgenommen hat, wird in einigen Wochen verbraucht sein, das Land
selbst ist arm, und die Gelder zur Erhaltung der Freiwilligen kommen zum
guten Theil aus Constantinopel, wo viele sehr reiche Griechen wohnen.


erste Rolle zu spielen, und an ihre Stelle tritt die militärische. Im Januar
dieses Jahres hatte die Pforte in den Provinzen, die nach dem Vorschlage der
Mächte vom Sultan an Griechenland abgetreten werden sollten, 35000 Mann
reguläre Soldaten stehen. Griechenland aber konnte deren nicht mehr als
24000 Mann verfügbar machen. Wenn es jetzt mit Hilfe von freiwilligen Mi¬
lizen, wie behauptet wird, 60000 oder gar 100000 aufstellen will, so soll das
nicht bezweifelt werden, nur wird dann die Qualität dieser improvisierten Kriegs¬
leute Bedenken erwecken. Ein Offizier, der sich vor kurzem in den Gegenden auf¬
gehalten hat, wo solche Freiwillige Hausen, fand, daß ihr Zustand ein höchst
mangelhafter war. Sie glichen nach seiner Beschreibung „mehr Wegelagerern als
Soldaten, und ein Reisender, der Aussicht hatte, ihnen zu begegnen, that klug,
sich nicht mit viel Geld zu versehen." Außerdem könnte die Türkei diesen Frei-
schaaren wenigstens die gleiche Zahl kriegsgeübter Baschibozuks und Tscherkessen
entgegenstellen. Die Aufgabe aber, die der griechischen Armee gleich zu Anfang
des Feldzugs gestellt wäre, würde auch für bessere Truppen, als die, über
welche ihr Feldherr zu verfügen hätte, nichts weniger als leicht sein. Zunächst
hätte sie die äußerst schwierig zu forcierenden Gebirgsdefileen zu überwinden,
welche nach Thessalien und Epirus führen, und gelänge ihr dies gegen alle
Wahrscheinlichkeit, so würde sie sich in dem ausgedehnten Lande, das etwa halb
so groß wie das jetzige Königreich Hellas ist, gegenüber der türkischen Armee
schwerlich überall behaupten können, zumal da die Bevölkerung einer Einver¬
leibung in den südlichen Nachbarstaat an vielen Orten mit Händen und Füßen
widerstrebt. Nicht sehr ins Gewicht fällt es, wenn man geltend machen will,
die Pforte werde, nachdem ihr Griechenland den Krieg erklärt, von der See aus
selbst zur Offensive übergehen und mit ihrer starken Flotte, der Griechenland
nur wenige Schiffe entgegenzustellen vermöchte, das kleine Königreich von ver¬
schiedenen Seiten angreifen. Denn eine solche Diversion hätte zwar, bei der lang¬
gestreckten Küstenentwickelung und den tief eingeschnittenen Buchten des letztern
und bei dem Mangel an Eisenbahnen und guten Landstraßen, der eine ener¬
gische Vertheidigung nicht zuläßt, auf Erfolg zu rechnen. Aber erstens haben
die wenigen und kleinen Schiffe der Griechen im Freiheitskriege vielfach große
türkische Flotten in Schach gehalten und theilweise unschädlich gemacht, und
sodann wäre es nicht unmöglich, sogar wahrscheinlich, daß England wenigstens
insoweit Partei für die Griechen ergriffe, daß es der Türkei nicht gestattete, sich
ihrer Flotte gegen jene zu bedienen. Die Pforte hätte aber auch andere Mittel,
die hellenische Regierung rasch zum Frieden zu nöthigen. Die Anleihe, welche
letztere aufgenommen hat, wird in einigen Wochen verbraucht sein, das Land
selbst ist arm, und die Gelder zur Erhaltung der Freiwilligen kommen zum
guten Theil aus Constantinopel, wo viele sehr reiche Griechen wohnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/212>, abgerufen am 28.12.2024.