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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Kampfes verzichten müssen? Unsere erste Pflicht ist, diesen Kampf mit allen
unsern Kräften zu verhindern. Würde er dann unvermeidlich, so hätten wir
das Recht, ihm, so lange er unsere Interessen nicht unmittelbar berührte, fern
zu bleiben, und wenn es endlich sür uns zur Unmöglichkeit werden sollte, ohne
schwere Schädigung unserer Würde und unserer Geltung abseits stehen zu bleiben,
so müßte uns noch die Möglichkeit geblieben sein, unter den verschiedenen Wegen
denjenigen zu wühlen, der unserm Lande wirklich den meisten Nutzen verspräche."

Lesen wir hier, wie erlaubt sein wird, zwischen den Zeilen, so zeigt sich
deutlich der charakteristische Zug, daß die Italiener, seitdem ihr Land eine Ein¬
heit bildet, immer als die Begehreuswerthen, von allen Seiten Umworbenen
auftreten. Sie suchen nicht ein Bündniß, sondern lassen sich suchen und erwarten
einen Preis für ihren Beitritt. Oesterreich soll ihnen dafür Trient, wohl auch
noch Trieft herausgeben, von Frankreich verlangen sie Einfluß und Ellenbogen¬
raum in Afrika, von England -- mit welchem die Florentiner UaÄons vor
kurzem eine Allianz abgeschlossen sein ließ, die bald darauf als Erfindung be¬
zeichnet wurde -- beanspruchen sie ähnliche Zugestündnisse. Sie sehen dabei,
wie die "Kölnische Zeitung" mit vollem Rechte, wenn auch nicht sehr höflich
ihnen bemerkte, nicht, daß dies auf Täuschung über den Werth ihrer Freund¬
schaft beruht. Sie taxieren diesen Werth zu hoch. Was gewänne Deutschland
an einer Coalition mit Italien? Wenig. Was Oesterreich? Es würde um
das Trentino keine Besorgniß mehr zu empfinden brauchen, aber man darf an¬
nehmen, daß diese Besorgniß nicht sehr groß ist. Was die Italiener den Fran¬
zosen gelten, haben wir gesehen, als letztere sich mit kühler Gemüthsruhe an die
allmähliche Einverleibung von Tunis machten und trotz der Entrüstung Italiens
über dieses Verfahren dabei verblieben. Italien dagegen Hütte von einem Bei¬
tritte zu einem mächtigen Staatenbündnisse unzweifelhaft erhebliche Vortheile zu
hoffen. Es würde an den Kräften dieses Staatenbündnisses participieren und
bis zu einem gewissen Maße über sie verfügen.

Indeß rechnen die Italiener anders. Sie sagen sich, daß die übrigen
Mächte mit Beziehungen behaftet sind, welche für sie, die Italiener, nicht exi¬
stieren, und welche ihnen eine günstigere Stellung verleihen, als jene sie haben.
Deutschland und Frankreich sind, wie zu Anfang dieses Artikels gezeigt worden
ist,^ durch ihren fortdauernden Antagonismus in ihrer freien Bewegung ge¬
hemmt, Oesterreich und Rußland haben Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel
zu befürchten. Italien dagegen ist frei von solchen Rücksichten und nach keiner
Seite hin gebunden. Es meint darum bei vorsichtigem Abwarten die Gelegen¬
heit ersehen zu können, seine Freundschaft dem einen oder dem andern Staate
oder auch dieser oder jener Staatengruppe um Zugeständnisse von größerer Be¬
deutung zu verkaufen, als die sein würden, die es etwa jetzt erlangen könnte.


Grenzboten IV. 1830. 23

Kampfes verzichten müssen? Unsere erste Pflicht ist, diesen Kampf mit allen
unsern Kräften zu verhindern. Würde er dann unvermeidlich, so hätten wir
das Recht, ihm, so lange er unsere Interessen nicht unmittelbar berührte, fern
zu bleiben, und wenn es endlich sür uns zur Unmöglichkeit werden sollte, ohne
schwere Schädigung unserer Würde und unserer Geltung abseits stehen zu bleiben,
so müßte uns noch die Möglichkeit geblieben sein, unter den verschiedenen Wegen
denjenigen zu wühlen, der unserm Lande wirklich den meisten Nutzen verspräche."

Lesen wir hier, wie erlaubt sein wird, zwischen den Zeilen, so zeigt sich
deutlich der charakteristische Zug, daß die Italiener, seitdem ihr Land eine Ein¬
heit bildet, immer als die Begehreuswerthen, von allen Seiten Umworbenen
auftreten. Sie suchen nicht ein Bündniß, sondern lassen sich suchen und erwarten
einen Preis für ihren Beitritt. Oesterreich soll ihnen dafür Trient, wohl auch
noch Trieft herausgeben, von Frankreich verlangen sie Einfluß und Ellenbogen¬
raum in Afrika, von England — mit welchem die Florentiner UaÄons vor
kurzem eine Allianz abgeschlossen sein ließ, die bald darauf als Erfindung be¬
zeichnet wurde — beanspruchen sie ähnliche Zugestündnisse. Sie sehen dabei,
wie die „Kölnische Zeitung" mit vollem Rechte, wenn auch nicht sehr höflich
ihnen bemerkte, nicht, daß dies auf Täuschung über den Werth ihrer Freund¬
schaft beruht. Sie taxieren diesen Werth zu hoch. Was gewänne Deutschland
an einer Coalition mit Italien? Wenig. Was Oesterreich? Es würde um
das Trentino keine Besorgniß mehr zu empfinden brauchen, aber man darf an¬
nehmen, daß diese Besorgniß nicht sehr groß ist. Was die Italiener den Fran¬
zosen gelten, haben wir gesehen, als letztere sich mit kühler Gemüthsruhe an die
allmähliche Einverleibung von Tunis machten und trotz der Entrüstung Italiens
über dieses Verfahren dabei verblieben. Italien dagegen Hütte von einem Bei¬
tritte zu einem mächtigen Staatenbündnisse unzweifelhaft erhebliche Vortheile zu
hoffen. Es würde an den Kräften dieses Staatenbündnisses participieren und
bis zu einem gewissen Maße über sie verfügen.

Indeß rechnen die Italiener anders. Sie sagen sich, daß die übrigen
Mächte mit Beziehungen behaftet sind, welche für sie, die Italiener, nicht exi¬
stieren, und welche ihnen eine günstigere Stellung verleihen, als jene sie haben.
Deutschland und Frankreich sind, wie zu Anfang dieses Artikels gezeigt worden
ist,^ durch ihren fortdauernden Antagonismus in ihrer freien Bewegung ge¬
hemmt, Oesterreich und Rußland haben Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel
zu befürchten. Italien dagegen ist frei von solchen Rücksichten und nach keiner
Seite hin gebunden. Es meint darum bei vorsichtigem Abwarten die Gelegen¬
heit ersehen zu können, seine Freundschaft dem einen oder dem andern Staate
oder auch dieser oder jener Staatengruppe um Zugeständnisse von größerer Be¬
deutung zu verkaufen, als die sein würden, die es etwa jetzt erlangen könnte.


Grenzboten IV. 1830. 23
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[0177] Kampfes verzichten müssen? Unsere erste Pflicht ist, diesen Kampf mit allen unsern Kräften zu verhindern. Würde er dann unvermeidlich, so hätten wir das Recht, ihm, so lange er unsere Interessen nicht unmittelbar berührte, fern zu bleiben, und wenn es endlich sür uns zur Unmöglichkeit werden sollte, ohne schwere Schädigung unserer Würde und unserer Geltung abseits stehen zu bleiben, so müßte uns noch die Möglichkeit geblieben sein, unter den verschiedenen Wegen denjenigen zu wühlen, der unserm Lande wirklich den meisten Nutzen verspräche." Lesen wir hier, wie erlaubt sein wird, zwischen den Zeilen, so zeigt sich deutlich der charakteristische Zug, daß die Italiener, seitdem ihr Land eine Ein¬ heit bildet, immer als die Begehreuswerthen, von allen Seiten Umworbenen auftreten. Sie suchen nicht ein Bündniß, sondern lassen sich suchen und erwarten einen Preis für ihren Beitritt. Oesterreich soll ihnen dafür Trient, wohl auch noch Trieft herausgeben, von Frankreich verlangen sie Einfluß und Ellenbogen¬ raum in Afrika, von England — mit welchem die Florentiner UaÄons vor kurzem eine Allianz abgeschlossen sein ließ, die bald darauf als Erfindung be¬ zeichnet wurde — beanspruchen sie ähnliche Zugestündnisse. Sie sehen dabei, wie die „Kölnische Zeitung" mit vollem Rechte, wenn auch nicht sehr höflich ihnen bemerkte, nicht, daß dies auf Täuschung über den Werth ihrer Freund¬ schaft beruht. Sie taxieren diesen Werth zu hoch. Was gewänne Deutschland an einer Coalition mit Italien? Wenig. Was Oesterreich? Es würde um das Trentino keine Besorgniß mehr zu empfinden brauchen, aber man darf an¬ nehmen, daß diese Besorgniß nicht sehr groß ist. Was die Italiener den Fran¬ zosen gelten, haben wir gesehen, als letztere sich mit kühler Gemüthsruhe an die allmähliche Einverleibung von Tunis machten und trotz der Entrüstung Italiens über dieses Verfahren dabei verblieben. Italien dagegen Hütte von einem Bei¬ tritte zu einem mächtigen Staatenbündnisse unzweifelhaft erhebliche Vortheile zu hoffen. Es würde an den Kräften dieses Staatenbündnisses participieren und bis zu einem gewissen Maße über sie verfügen. Indeß rechnen die Italiener anders. Sie sagen sich, daß die übrigen Mächte mit Beziehungen behaftet sind, welche für sie, die Italiener, nicht exi¬ stieren, und welche ihnen eine günstigere Stellung verleihen, als jene sie haben. Deutschland und Frankreich sind, wie zu Anfang dieses Artikels gezeigt worden ist,^ durch ihren fortdauernden Antagonismus in ihrer freien Bewegung ge¬ hemmt, Oesterreich und Rußland haben Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel zu befürchten. Italien dagegen ist frei von solchen Rücksichten und nach keiner Seite hin gebunden. Es meint darum bei vorsichtigem Abwarten die Gelegen¬ heit ersehen zu können, seine Freundschaft dem einen oder dem andern Staate oder auch dieser oder jener Staatengruppe um Zugeständnisse von größerer Be¬ deutung zu verkaufen, als die sein würden, die es etwa jetzt erlangen könnte. Grenzboten IV. 1830. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/177>, abgerufen am 28.12.2024.