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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Benutzung der politischen Conjuncturen also ist das Programm der auswärtigen
Politik Italiens, auf der Lauer liegen, um im rechten Momente mehr als jetzt
gelten und daraufhin feilschen zu können. Man glaubt an einen baldigen Zu¬
sammenstoß zwischen Rußland und Oesterreich, mit dem auch der Krieg zwischen
Frankreich und Deutschland ausbrechen würde. In diesem Falle würde Oester¬
reich daran gelegen sein, von Süden her nichts befürchten zu müssen, und wenn
man in Wien diese Sicherheit nicht mit dem Trentino erkaufen wollte, könnte
man in Rom abwarten, wer Sieger bliebe, und, falls Rußland und sein vor¬
aussichtlicher Alliierter die Oberhand zu behalten Aussicht hätten, seine Zwecke
durch Anschluß an diese erreichen.

Ist diese Rechnung ganz sicher? fragt das rheinische Blatt, um darauf mit
Nein zu antworten. Zunächst ist ein baldiger Krieg zwischen Oesterreich und
Deutschland auf der einen, Rußland und Frankreich auf der andern Seite eine
Vermuthung, zu welcher jetzt wenig Grund vorhanden ist. Sodann aber werden
Deutschland und Oesterreich die Freundschaft einer Macht wie Italien zwar zu
würdigen wissen, sie aber nicht allzuhoch schätzen, zumal dieselbe -- und das
ist die Hauptsache -- sehr unsicherer Natur ist. "Seit Jahren schon löst
in Rom ein Ministerium das andere ab, und der neue Minister des Auswär¬
tigen bringt jedesmal neue Wünsche und Ziele in sein Amt mit. Je länger
dieser Zustand dauert, desto schwankender wird die Stellung der Cabinette, desto
mehr stellen sich die Bedingungen, an denen ihr Leben hängt, als persönliche
Fragen dar, mit denen in eigentlich politischer Weise nicht zu rechnen ist. Eine
Sicherheit für die Zukunft, welche fremde Mächte zum Anschlusse einladen könnte,
wird demgemäß auch durch die etwa vorhandenen Tendenzen eines gerade im
Amte befindlichen Ministeriums in keiner Weise geboten. Tritt hierzu noch die
Erkenntniß, daß die politischen Kreise Italiens, aus denen sich die zukünftigen
Ministerien rekrutieren würden, nicht an rückhaltsloser Anschluß, sondern an
schlaues Ersehen von Gelegenheiten zu Annexionen denken, so ergiebt sich für
die italienische Politik ein solcher Grad von Unzuverlässigkeit, daß es geradezu
verwunderlich wäre, wenn die andern Großmächte dem Staate Italien Credit
genug schenken wollten, um für seine zukünftige Haltung auch nur in der Ge¬
stalt von Versprechungen einen Preis zu zahlen." Wir halten diese Betrach¬
tungen für durchaus zutreffend, und haben ihnen nur den Wunsch hinzuzu¬
fügen, Italien möge in seinem eigenen Interesse bald erkennen, daß sein Heil
auf dem bisherigen Wege nicht liegt.




Benutzung der politischen Conjuncturen also ist das Programm der auswärtigen
Politik Italiens, auf der Lauer liegen, um im rechten Momente mehr als jetzt
gelten und daraufhin feilschen zu können. Man glaubt an einen baldigen Zu¬
sammenstoß zwischen Rußland und Oesterreich, mit dem auch der Krieg zwischen
Frankreich und Deutschland ausbrechen würde. In diesem Falle würde Oester¬
reich daran gelegen sein, von Süden her nichts befürchten zu müssen, und wenn
man in Wien diese Sicherheit nicht mit dem Trentino erkaufen wollte, könnte
man in Rom abwarten, wer Sieger bliebe, und, falls Rußland und sein vor¬
aussichtlicher Alliierter die Oberhand zu behalten Aussicht hätten, seine Zwecke
durch Anschluß an diese erreichen.

Ist diese Rechnung ganz sicher? fragt das rheinische Blatt, um darauf mit
Nein zu antworten. Zunächst ist ein baldiger Krieg zwischen Oesterreich und
Deutschland auf der einen, Rußland und Frankreich auf der andern Seite eine
Vermuthung, zu welcher jetzt wenig Grund vorhanden ist. Sodann aber werden
Deutschland und Oesterreich die Freundschaft einer Macht wie Italien zwar zu
würdigen wissen, sie aber nicht allzuhoch schätzen, zumal dieselbe — und das
ist die Hauptsache — sehr unsicherer Natur ist. „Seit Jahren schon löst
in Rom ein Ministerium das andere ab, und der neue Minister des Auswär¬
tigen bringt jedesmal neue Wünsche und Ziele in sein Amt mit. Je länger
dieser Zustand dauert, desto schwankender wird die Stellung der Cabinette, desto
mehr stellen sich die Bedingungen, an denen ihr Leben hängt, als persönliche
Fragen dar, mit denen in eigentlich politischer Weise nicht zu rechnen ist. Eine
Sicherheit für die Zukunft, welche fremde Mächte zum Anschlusse einladen könnte,
wird demgemäß auch durch die etwa vorhandenen Tendenzen eines gerade im
Amte befindlichen Ministeriums in keiner Weise geboten. Tritt hierzu noch die
Erkenntniß, daß die politischen Kreise Italiens, aus denen sich die zukünftigen
Ministerien rekrutieren würden, nicht an rückhaltsloser Anschluß, sondern an
schlaues Ersehen von Gelegenheiten zu Annexionen denken, so ergiebt sich für
die italienische Politik ein solcher Grad von Unzuverlässigkeit, daß es geradezu
verwunderlich wäre, wenn die andern Großmächte dem Staate Italien Credit
genug schenken wollten, um für seine zukünftige Haltung auch nur in der Ge¬
stalt von Versprechungen einen Preis zu zahlen." Wir halten diese Betrach¬
tungen für durchaus zutreffend, und haben ihnen nur den Wunsch hinzuzu¬
fügen, Italien möge in seinem eigenen Interesse bald erkennen, daß sein Heil
auf dem bisherigen Wege nicht liegt.




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[0178] Benutzung der politischen Conjuncturen also ist das Programm der auswärtigen Politik Italiens, auf der Lauer liegen, um im rechten Momente mehr als jetzt gelten und daraufhin feilschen zu können. Man glaubt an einen baldigen Zu¬ sammenstoß zwischen Rußland und Oesterreich, mit dem auch der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbrechen würde. In diesem Falle würde Oester¬ reich daran gelegen sein, von Süden her nichts befürchten zu müssen, und wenn man in Wien diese Sicherheit nicht mit dem Trentino erkaufen wollte, könnte man in Rom abwarten, wer Sieger bliebe, und, falls Rußland und sein vor¬ aussichtlicher Alliierter die Oberhand zu behalten Aussicht hätten, seine Zwecke durch Anschluß an diese erreichen. Ist diese Rechnung ganz sicher? fragt das rheinische Blatt, um darauf mit Nein zu antworten. Zunächst ist ein baldiger Krieg zwischen Oesterreich und Deutschland auf der einen, Rußland und Frankreich auf der andern Seite eine Vermuthung, zu welcher jetzt wenig Grund vorhanden ist. Sodann aber werden Deutschland und Oesterreich die Freundschaft einer Macht wie Italien zwar zu würdigen wissen, sie aber nicht allzuhoch schätzen, zumal dieselbe — und das ist die Hauptsache — sehr unsicherer Natur ist. „Seit Jahren schon löst in Rom ein Ministerium das andere ab, und der neue Minister des Auswär¬ tigen bringt jedesmal neue Wünsche und Ziele in sein Amt mit. Je länger dieser Zustand dauert, desto schwankender wird die Stellung der Cabinette, desto mehr stellen sich die Bedingungen, an denen ihr Leben hängt, als persönliche Fragen dar, mit denen in eigentlich politischer Weise nicht zu rechnen ist. Eine Sicherheit für die Zukunft, welche fremde Mächte zum Anschlusse einladen könnte, wird demgemäß auch durch die etwa vorhandenen Tendenzen eines gerade im Amte befindlichen Ministeriums in keiner Weise geboten. Tritt hierzu noch die Erkenntniß, daß die politischen Kreise Italiens, aus denen sich die zukünftigen Ministerien rekrutieren würden, nicht an rückhaltsloser Anschluß, sondern an schlaues Ersehen von Gelegenheiten zu Annexionen denken, so ergiebt sich für die italienische Politik ein solcher Grad von Unzuverlässigkeit, daß es geradezu verwunderlich wäre, wenn die andern Großmächte dem Staate Italien Credit genug schenken wollten, um für seine zukünftige Haltung auch nur in der Ge¬ stalt von Versprechungen einen Preis zu zahlen." Wir halten diese Betrach¬ tungen für durchaus zutreffend, und haben ihnen nur den Wunsch hinzuzu¬ fügen, Italien möge in seinem eigenen Interesse bald erkennen, daß sein Heil auf dem bisherigen Wege nicht liegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/178>, abgerufen am 28.12.2024.