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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Blicke auf die politische Lage in auswärtigen Fragen.
3. Coalitionsgerüchte.

Nicht das am wenigsten bedeutsame Symptom in dein letzten Stadium der
türkisch-montenegrinischen Grenzberichtiguug war die mit der Stellung Deutsch¬
lands und Oesterreich-Ungarns übereinstimmende Haltung Frankreichs in dieser
Angelegenheit. Ein Berliner Telegramm des Wiener "Fremdeublatts" wollte
diese Erscheinung damit erklären, daß in der letzten Zeit eine Annäherung zwi¬
schen Frankreich und dem österreichisch-deutschen Bunde stattgefunden habe. Die¬
selbe habe sich einerseits darin kund gegeben, daß die drei Mächte Anstand ge¬
nommen, Gladstones gewaltsame Politik zu unterstützen, andrerseits dadurch,
daß sie der Pforte ernstliche Vorstellungen betreffs der Abtretung Dulcignos
gemacht hätten. Zwar werde der Erfolg dieser Vorstellungen ein Vorgehen
Englands und Rußlands vielleicht nicht verhüten, aber die Interessen Frank¬
reichs im Mittelmeere, die durch ein solches Vorgehen geschädigt werdeu köunten,
würden gewiß in dem österreichisch - deutscheu Einverständnisse eine wirksame
diplomatische Stütze finden. Das hieß mit andern Worten ungefähr: Frank¬
reich erblickt bei seiner gegen den Einfluß Englands im Mittelmeere gerichteten
Politik an dem deutsch-österreichischen Bunde einen natürlichen Alliierten, und es
wäre nicht unmöglich, daß der letztere seinen diplomatischen Einfluß zu Frank¬
reichs Gunsten in die Wagschale würfe, wenn England eine die Interessen des
letzteren im Südosten bedrohende Action weiter verfolgen sollte.

Wir haben Ursache, anzunehmen, daß diese Betrachtung wahres enthält;
denn schon im April (Grenzboten, Ur. 17, S. 133) durften wir auf Grund
bester Information in einem Artikel über das neue englische Ministerium, der
von der gesammten europäischen Presse beachtet und commentiert wurde, sagen:
.Je mehr England sich Nußland näherte, desto weiter würde es sich nicht bloß
von seinen eigenen Interessen im Morgenlande, sondern auch von Frankreich
entfernen. Es entstünde dann im Orient eine Combination, welche die dortigen
französischen Interessen bedrohte, die wesentlich andrer Art sind als die rnssi-


Grenzbotcn IV. 1880, 22
Blicke auf die politische Lage in auswärtigen Fragen.
3. Coalitionsgerüchte.

Nicht das am wenigsten bedeutsame Symptom in dein letzten Stadium der
türkisch-montenegrinischen Grenzberichtiguug war die mit der Stellung Deutsch¬
lands und Oesterreich-Ungarns übereinstimmende Haltung Frankreichs in dieser
Angelegenheit. Ein Berliner Telegramm des Wiener „Fremdeublatts" wollte
diese Erscheinung damit erklären, daß in der letzten Zeit eine Annäherung zwi¬
schen Frankreich und dem österreichisch-deutschen Bunde stattgefunden habe. Die¬
selbe habe sich einerseits darin kund gegeben, daß die drei Mächte Anstand ge¬
nommen, Gladstones gewaltsame Politik zu unterstützen, andrerseits dadurch,
daß sie der Pforte ernstliche Vorstellungen betreffs der Abtretung Dulcignos
gemacht hätten. Zwar werde der Erfolg dieser Vorstellungen ein Vorgehen
Englands und Rußlands vielleicht nicht verhüten, aber die Interessen Frank¬
reichs im Mittelmeere, die durch ein solches Vorgehen geschädigt werdeu köunten,
würden gewiß in dem österreichisch - deutscheu Einverständnisse eine wirksame
diplomatische Stütze finden. Das hieß mit andern Worten ungefähr: Frank¬
reich erblickt bei seiner gegen den Einfluß Englands im Mittelmeere gerichteten
Politik an dem deutsch-österreichischen Bunde einen natürlichen Alliierten, und es
wäre nicht unmöglich, daß der letztere seinen diplomatischen Einfluß zu Frank¬
reichs Gunsten in die Wagschale würfe, wenn England eine die Interessen des
letzteren im Südosten bedrohende Action weiter verfolgen sollte.

Wir haben Ursache, anzunehmen, daß diese Betrachtung wahres enthält;
denn schon im April (Grenzboten, Ur. 17, S. 133) durften wir auf Grund
bester Information in einem Artikel über das neue englische Ministerium, der
von der gesammten europäischen Presse beachtet und commentiert wurde, sagen:
.Je mehr England sich Nußland näherte, desto weiter würde es sich nicht bloß
von seinen eigenen Interessen im Morgenlande, sondern auch von Frankreich
entfernen. Es entstünde dann im Orient eine Combination, welche die dortigen
französischen Interessen bedrohte, die wesentlich andrer Art sind als die rnssi-


Grenzbotcn IV. 1880, 22
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[0169] Blicke auf die politische Lage in auswärtigen Fragen. 3. Coalitionsgerüchte. Nicht das am wenigsten bedeutsame Symptom in dein letzten Stadium der türkisch-montenegrinischen Grenzberichtiguug war die mit der Stellung Deutsch¬ lands und Oesterreich-Ungarns übereinstimmende Haltung Frankreichs in dieser Angelegenheit. Ein Berliner Telegramm des Wiener „Fremdeublatts" wollte diese Erscheinung damit erklären, daß in der letzten Zeit eine Annäherung zwi¬ schen Frankreich und dem österreichisch-deutschen Bunde stattgefunden habe. Die¬ selbe habe sich einerseits darin kund gegeben, daß die drei Mächte Anstand ge¬ nommen, Gladstones gewaltsame Politik zu unterstützen, andrerseits dadurch, daß sie der Pforte ernstliche Vorstellungen betreffs der Abtretung Dulcignos gemacht hätten. Zwar werde der Erfolg dieser Vorstellungen ein Vorgehen Englands und Rußlands vielleicht nicht verhüten, aber die Interessen Frank¬ reichs im Mittelmeere, die durch ein solches Vorgehen geschädigt werdeu köunten, würden gewiß in dem österreichisch - deutscheu Einverständnisse eine wirksame diplomatische Stütze finden. Das hieß mit andern Worten ungefähr: Frank¬ reich erblickt bei seiner gegen den Einfluß Englands im Mittelmeere gerichteten Politik an dem deutsch-österreichischen Bunde einen natürlichen Alliierten, und es wäre nicht unmöglich, daß der letztere seinen diplomatischen Einfluß zu Frank¬ reichs Gunsten in die Wagschale würfe, wenn England eine die Interessen des letzteren im Südosten bedrohende Action weiter verfolgen sollte. Wir haben Ursache, anzunehmen, daß diese Betrachtung wahres enthält; denn schon im April (Grenzboten, Ur. 17, S. 133) durften wir auf Grund bester Information in einem Artikel über das neue englische Ministerium, der von der gesammten europäischen Presse beachtet und commentiert wurde, sagen: .Je mehr England sich Nußland näherte, desto weiter würde es sich nicht bloß von seinen eigenen Interessen im Morgenlande, sondern auch von Frankreich entfernen. Es entstünde dann im Orient eine Combination, welche die dortigen französischen Interessen bedrohte, die wesentlich andrer Art sind als die rnssi- Grenzbotcn IV. 1880, 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/169>, abgerufen am 28.12.2024.