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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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sehen einerseits und die britischen andrerseits. Es wäre keineswegs unmöglich,
daß Frankreich sich dann nach andern Freunden umsehe und dabei auch
frühere Feinde nicht verschmähte. Nichts weniger als undenkbar wäre
es, daß es in jenem Falle zu einer Verständigung zwischen Paris, Wien und
Berlin käme."

Diese Gedanken haben noch jetzt ihre volle Berechtigung, wenn auch eine
förmliche Coalition Frankreichs mit den beiden verbündeten Kaiserreichen sicher
noch nicht so nahe ist, als im Interesse des Friedens zu wünschen wäre und
von manchem vielleicht geglaubt wird. Daß auch sie unter der angegebenen
Voraussetzung möglich sein würde, leidet keinen Zweifel. Daß Frankreich eine
Republik ist, steht ihr nicht im Wege, und der Wunsch, sich für die Niederlage
von 1870 und 1871 zu rächen und die dabei erlittenen Verluste wett zu machen,
mag sich zwar einem Bündnisse mit Deutschland jetzt noch entgegenstellen, man
mag in weiten Kreisen Frankreichs den Frankfurter Frieden noch als bloßzvor-
läufigen Abschluß der Kriegsperiode, nicht als Grundlage und Beginn eines
neuen, dauernden Zustandes betrachten, dadurch ist aber nicht ausgeschlossen, daß
die Franzosen einmal und vielleicht bald den Vorschlägen kühler Vernunft und
nüchterner Politik den Vorrang vor unfruchtbaren Gefühlsregungen einräumen
und dabei einsehen werden, daß ihre Interessen im Süden und Südosten und
eine Förderung derselben durch Deutschland und Oesterreich-Ungarn schwerer
wiegen als eine etwaige Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen. Wer hätte
nach 1866 für möglich gehalten, daß Oesterreich eine so innige Verbindung mit
dem deutschen Reiche eingehen könnte, als sie bald nachher vom deutschen Reichs¬
kanzler ins Auge gefaßt und später zu Stande gebracht wurde?

Ein Wiener Blatt veröffentlichte vor kurzem angeblich aus der Feder eines
deutschen Reichstagsabgeordneten stammende Andeutungen über Verhandlungen,
die zwischen dem Fürsten Bismarck und dem französischen Botschafter am Ber¬
liner Hofe stattgefunden und den Zweck gehabt haben sollten, ein Bündniß zwi¬
schen Frankreich, Deutschland und Oesterreich-Ungarn vorzubereiten. Diese
Nachricht wird in der Gestalt, in welcher sie auftrat, schwerlich richtig sein.
Aber ein Körnchen Wahrheit kann ihr zu Grunde liegen. Auf alle Fälle lassen
die Gedanken, ans Grund deren verhandelt worden sein sollte, sich hören.

In der That haben, während die drei Großmächte Mitteleuropas sich seit
Jahrhunderten wiederholt befehdeten, Ströme von Blut vergossen und den
Wohlstand ihrer Völker nach längeren oder kürzeren Pausen immer von neuem
schwer schädigten, und zwar meist um eines verhältnißmäßig kleinen Landstrei¬
fens willen, Rußland und England sich mit weit geringerem Kraftaufwande zu
Herren weiter und höchst werthvoller Gebiete gemacht. Indeß Deutschland in
seiner Besorgnis; vor der von Frankreich her drohenden Gefahr sich um die


sehen einerseits und die britischen andrerseits. Es wäre keineswegs unmöglich,
daß Frankreich sich dann nach andern Freunden umsehe und dabei auch
frühere Feinde nicht verschmähte. Nichts weniger als undenkbar wäre
es, daß es in jenem Falle zu einer Verständigung zwischen Paris, Wien und
Berlin käme."

Diese Gedanken haben noch jetzt ihre volle Berechtigung, wenn auch eine
förmliche Coalition Frankreichs mit den beiden verbündeten Kaiserreichen sicher
noch nicht so nahe ist, als im Interesse des Friedens zu wünschen wäre und
von manchem vielleicht geglaubt wird. Daß auch sie unter der angegebenen
Voraussetzung möglich sein würde, leidet keinen Zweifel. Daß Frankreich eine
Republik ist, steht ihr nicht im Wege, und der Wunsch, sich für die Niederlage
von 1870 und 1871 zu rächen und die dabei erlittenen Verluste wett zu machen,
mag sich zwar einem Bündnisse mit Deutschland jetzt noch entgegenstellen, man
mag in weiten Kreisen Frankreichs den Frankfurter Frieden noch als bloßzvor-
läufigen Abschluß der Kriegsperiode, nicht als Grundlage und Beginn eines
neuen, dauernden Zustandes betrachten, dadurch ist aber nicht ausgeschlossen, daß
die Franzosen einmal und vielleicht bald den Vorschlägen kühler Vernunft und
nüchterner Politik den Vorrang vor unfruchtbaren Gefühlsregungen einräumen
und dabei einsehen werden, daß ihre Interessen im Süden und Südosten und
eine Förderung derselben durch Deutschland und Oesterreich-Ungarn schwerer
wiegen als eine etwaige Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen. Wer hätte
nach 1866 für möglich gehalten, daß Oesterreich eine so innige Verbindung mit
dem deutschen Reiche eingehen könnte, als sie bald nachher vom deutschen Reichs¬
kanzler ins Auge gefaßt und später zu Stande gebracht wurde?

Ein Wiener Blatt veröffentlichte vor kurzem angeblich aus der Feder eines
deutschen Reichstagsabgeordneten stammende Andeutungen über Verhandlungen,
die zwischen dem Fürsten Bismarck und dem französischen Botschafter am Ber¬
liner Hofe stattgefunden und den Zweck gehabt haben sollten, ein Bündniß zwi¬
schen Frankreich, Deutschland und Oesterreich-Ungarn vorzubereiten. Diese
Nachricht wird in der Gestalt, in welcher sie auftrat, schwerlich richtig sein.
Aber ein Körnchen Wahrheit kann ihr zu Grunde liegen. Auf alle Fälle lassen
die Gedanken, ans Grund deren verhandelt worden sein sollte, sich hören.

In der That haben, während die drei Großmächte Mitteleuropas sich seit
Jahrhunderten wiederholt befehdeten, Ströme von Blut vergossen und den
Wohlstand ihrer Völker nach längeren oder kürzeren Pausen immer von neuem
schwer schädigten, und zwar meist um eines verhältnißmäßig kleinen Landstrei¬
fens willen, Rußland und England sich mit weit geringerem Kraftaufwande zu
Herren weiter und höchst werthvoller Gebiete gemacht. Indeß Deutschland in
seiner Besorgnis; vor der von Frankreich her drohenden Gefahr sich um die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/170>, abgerufen am 28.12.2024.