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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Originalaufrisses des nördlichen Thurmes im Jahre 1814. Dieser und die
andern früher im Domarchiv aufbewahrten Pläne waren spurlos verschwunden-
In Folge des Friedens von Luneville (9. Febr. 1801) war das Domarchiv in
Darmstadt zwischen den Fürsten getheilt und die Pläne des Domes dabei
in alle Wiude zerstreut worden. Eines der Pergamente war auch auf den
Speicher des Gasthauses "Zur Traube" in Darmstadt gerathen und wurde dort
in nützlicher Weise verwendet, um Bohnen daraus zu trocknen. Dreizehn Jahre
später, gab die dortige Landwehr einen Ball in genanntem Gasthause für die
heimkehrenden Freiwilligen. Der Wirth suchte auf seinem Speicher Material
zu einem für das Fest bestimmten Transparentbilde, fand das Pergament und
brachte es dem Maler See! atz, welcher es vor dem Untergange rettete und
es dem Oberbaurath Moller in Darmstadt übergab. Dieses Pergament war
der Originalaufriß des nördlichen Domes. Und merkwürdig, im folgenden
Jahre (1815) wurde von Boisseree das fehlende Gegenstück dieses Planes, der
Aufriß des südlichen Domes, sammt dein ganzen mittleren Kirchengiebel, außerdem
der Originalgrundriß und die östliche Origiualansicht des südlichen Thurmes
aufgefunden. Boisseree sand in einem damals erschienenen Werke über fran¬
zösische Baudenkmäler eine Zeichnung, die er als die eines Mittelfensters des
Kölner Domes erkannte. Er forschte sofort beim Herausgeber nach und erfuhr,
daß dieses Fenster ein Theil aus einem großen Kirchenrisse sei. Im December
1815 war Boisseree Eigenthümer dieses Risses, sowie noch zweier kleineren; er
hatte sie um 500 Francs ankaufen lassen. Als er sie erhielt und sie aufrollte,
sah er sofort, daß es, wie er vermuthet hatte, die oben bezeichneten Original¬
risse des Domes waren. Wie diese offenbar der Kölner Bauhütte entstammen¬
den Pläne nach Frankreich gerathen waren, wissen wir nicht. Vielleicht waren
sie schon vor Alters weggekommen, indem sie etwa einem nach auswärts be¬
rufenen Meister anvertraut wurden, vielleicht waren sie auch bei der oben er¬
wähnten Theilung des Domarchivs nach Frankreich gewandert. Merkwürdig
ist, daß der von Boisseree entdeckte Thurmaufriß gerade das passende Gegenstück
zu dem in Darmstadt gefundenen bildete. Von welch unersetzlichen Werth diese
Pläne für das Studium wie für den späteren Ausbau des Domes sein mußten,
ist klar. Sie sind jetzt unter Glas und Rahmen in der Maternus- und in der
Johanniskapelle des Domes aufgehängt.

Mit dem großen Domwerke Boisserces ging es unterdessen langsam vor¬
wärts. Die Zeichnungen waren schon im Frühjahr 1812 vollendet, aber der
Stich der Platten in so colossalem Format nahm sehr viel Zeit und Mühe in
Anspruch. Die ersten sechs wurden in Deutschland, die übrigen zwölf in Paris
gestochen; dort erfolgte anch der Druck des ganzen Werkes, der ebenfalls viele
Schwierigkeiten bereitete, worüber Boisseree sehr in seinen Briefen klagt, Er


Originalaufrisses des nördlichen Thurmes im Jahre 1814. Dieser und die
andern früher im Domarchiv aufbewahrten Pläne waren spurlos verschwunden-
In Folge des Friedens von Luneville (9. Febr. 1801) war das Domarchiv in
Darmstadt zwischen den Fürsten getheilt und die Pläne des Domes dabei
in alle Wiude zerstreut worden. Eines der Pergamente war auch auf den
Speicher des Gasthauses „Zur Traube" in Darmstadt gerathen und wurde dort
in nützlicher Weise verwendet, um Bohnen daraus zu trocknen. Dreizehn Jahre
später, gab die dortige Landwehr einen Ball in genanntem Gasthause für die
heimkehrenden Freiwilligen. Der Wirth suchte auf seinem Speicher Material
zu einem für das Fest bestimmten Transparentbilde, fand das Pergament und
brachte es dem Maler See! atz, welcher es vor dem Untergange rettete und
es dem Oberbaurath Moller in Darmstadt übergab. Dieses Pergament war
der Originalaufriß des nördlichen Domes. Und merkwürdig, im folgenden
Jahre (1815) wurde von Boisseree das fehlende Gegenstück dieses Planes, der
Aufriß des südlichen Domes, sammt dein ganzen mittleren Kirchengiebel, außerdem
der Originalgrundriß und die östliche Origiualansicht des südlichen Thurmes
aufgefunden. Boisseree sand in einem damals erschienenen Werke über fran¬
zösische Baudenkmäler eine Zeichnung, die er als die eines Mittelfensters des
Kölner Domes erkannte. Er forschte sofort beim Herausgeber nach und erfuhr,
daß dieses Fenster ein Theil aus einem großen Kirchenrisse sei. Im December
1815 war Boisseree Eigenthümer dieses Risses, sowie noch zweier kleineren; er
hatte sie um 500 Francs ankaufen lassen. Als er sie erhielt und sie aufrollte,
sah er sofort, daß es, wie er vermuthet hatte, die oben bezeichneten Original¬
risse des Domes waren. Wie diese offenbar der Kölner Bauhütte entstammen¬
den Pläne nach Frankreich gerathen waren, wissen wir nicht. Vielleicht waren
sie schon vor Alters weggekommen, indem sie etwa einem nach auswärts be¬
rufenen Meister anvertraut wurden, vielleicht waren sie auch bei der oben er¬
wähnten Theilung des Domarchivs nach Frankreich gewandert. Merkwürdig
ist, daß der von Boisseree entdeckte Thurmaufriß gerade das passende Gegenstück
zu dem in Darmstadt gefundenen bildete. Von welch unersetzlichen Werth diese
Pläne für das Studium wie für den späteren Ausbau des Domes sein mußten,
ist klar. Sie sind jetzt unter Glas und Rahmen in der Maternus- und in der
Johanniskapelle des Domes aufgehängt.

Mit dem großen Domwerke Boisserces ging es unterdessen langsam vor¬
wärts. Die Zeichnungen waren schon im Frühjahr 1812 vollendet, aber der
Stich der Platten in so colossalem Format nahm sehr viel Zeit und Mühe in
Anspruch. Die ersten sechs wurden in Deutschland, die übrigen zwölf in Paris
gestochen; dort erfolgte anch der Druck des ganzen Werkes, der ebenfalls viele
Schwierigkeiten bereitete, worüber Boisseree sehr in seinen Briefen klagt, Er


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[0154] Originalaufrisses des nördlichen Thurmes im Jahre 1814. Dieser und die andern früher im Domarchiv aufbewahrten Pläne waren spurlos verschwunden- In Folge des Friedens von Luneville (9. Febr. 1801) war das Domarchiv in Darmstadt zwischen den Fürsten getheilt und die Pläne des Domes dabei in alle Wiude zerstreut worden. Eines der Pergamente war auch auf den Speicher des Gasthauses „Zur Traube" in Darmstadt gerathen und wurde dort in nützlicher Weise verwendet, um Bohnen daraus zu trocknen. Dreizehn Jahre später, gab die dortige Landwehr einen Ball in genanntem Gasthause für die heimkehrenden Freiwilligen. Der Wirth suchte auf seinem Speicher Material zu einem für das Fest bestimmten Transparentbilde, fand das Pergament und brachte es dem Maler See! atz, welcher es vor dem Untergange rettete und es dem Oberbaurath Moller in Darmstadt übergab. Dieses Pergament war der Originalaufriß des nördlichen Domes. Und merkwürdig, im folgenden Jahre (1815) wurde von Boisseree das fehlende Gegenstück dieses Planes, der Aufriß des südlichen Domes, sammt dein ganzen mittleren Kirchengiebel, außerdem der Originalgrundriß und die östliche Origiualansicht des südlichen Thurmes aufgefunden. Boisseree sand in einem damals erschienenen Werke über fran¬ zösische Baudenkmäler eine Zeichnung, die er als die eines Mittelfensters des Kölner Domes erkannte. Er forschte sofort beim Herausgeber nach und erfuhr, daß dieses Fenster ein Theil aus einem großen Kirchenrisse sei. Im December 1815 war Boisseree Eigenthümer dieses Risses, sowie noch zweier kleineren; er hatte sie um 500 Francs ankaufen lassen. Als er sie erhielt und sie aufrollte, sah er sofort, daß es, wie er vermuthet hatte, die oben bezeichneten Original¬ risse des Domes waren. Wie diese offenbar der Kölner Bauhütte entstammen¬ den Pläne nach Frankreich gerathen waren, wissen wir nicht. Vielleicht waren sie schon vor Alters weggekommen, indem sie etwa einem nach auswärts be¬ rufenen Meister anvertraut wurden, vielleicht waren sie auch bei der oben er¬ wähnten Theilung des Domarchivs nach Frankreich gewandert. Merkwürdig ist, daß der von Boisseree entdeckte Thurmaufriß gerade das passende Gegenstück zu dem in Darmstadt gefundenen bildete. Von welch unersetzlichen Werth diese Pläne für das Studium wie für den späteren Ausbau des Domes sein mußten, ist klar. Sie sind jetzt unter Glas und Rahmen in der Maternus- und in der Johanniskapelle des Domes aufgehängt. Mit dem großen Domwerke Boisserces ging es unterdessen langsam vor¬ wärts. Die Zeichnungen waren schon im Frühjahr 1812 vollendet, aber der Stich der Platten in so colossalem Format nahm sehr viel Zeit und Mühe in Anspruch. Die ersten sechs wurden in Deutschland, die übrigen zwölf in Paris gestochen; dort erfolgte anch der Druck des ganzen Werkes, der ebenfalls viele Schwierigkeiten bereitete, worüber Boisseree sehr in seinen Briefen klagt, Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/154>, abgerufen am 28.12.2024.