Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

übergeben. Im Jahre 1447 war der südliche Thurm bis zum dritten Geschoß,
d. h. bis zu einer Höhe von 55 Metern (die heutigen Thürme sind 157 Meter
hoch) vorgerückt, und unter dem oben aufgestellten Krähn, dem jahrhunderte-
langen Warzeicheu Kölns, wurden die alten Domglocken aufgehängt. Dombau¬
meister war damals Nicolaus von Buren (geht. 1446); auf ihn folgten
noch Conrad Kuyn und Johann von Frankenberg. Aber schon unter
den beiden letzteren wurde wenig mehr gebant; man glaubte nicht mehr an eine
Vollendung des Riesenwerkes. Zu Ende des 15. Jahrhunderts wurde das
Erdgeschoß des nördlichen Thurmes und zu Anfang des 16. Jahrhunderts das
Schiff bis zur Kapitälhöhe der Nebengänge vollendet. Man wölbte noch die
nördliche Nebenhalle, die mit dem nördlichen Thurme verbunden wurde, schmückte
die Halle mit gemalten Fenstern, die von verschiedenen Fürsten gestiftet wurden,
und versah das Ganze mit einem provisorischen Dache. Von dieser Zeit, dem
Anfang des 16. Jahrhunderts an, wurde nicht mehr weitergebaut. Die alte
Bauperiode des Domes war abgeschlossen, eine neue begann erst dreihundert
Jahre später. Zwischen dem östlichen Theile des Baues mit dem vollendeten
Chöre und dem westlichen, mit den: angefangenen Thurmbau lag eine weite,
klaffende Lücke. So stand der riesige Torso dreihundert Jahre.

Daß während der Wirren des dreißigjährigen Krieges nicht am Dome ge¬
baut wurde, ist begreiflich; später aber schwanden Interesse und Verständniß
sür die Kunst des Mittelalters in Deutschland mehr und mehr und machte"
mit dem 18. Jahrhundert einer Abneigung, ja fast einer Feindschaft Platz, wie
solche erst durch die Periode der Aufklärung mit ihrem Widerwillen gegen das
dunkle Mittelalter und dann durch die classische Periode mit ihrer alleinige"
Verehrung der Antike naturgemäß entstehen mußte. Es kam dahin, daß mau
die Werke der altdeutschen Maler in staubigen Winkeln liegen ließ, viele alt¬
deutsche Kirchen entweder auf den Abbruch verkaufte (so z. B. am Rhein) oder
in "nützliche Anstalten" umwandelte, die alten Burgruinen als Kornspeicher und
zu ähnlichen Zwecken gebrauchte und die ehrwürdigen Rathhäuser "geschmackvoll"
modernisierte. Die alten Dome überließ man ihrem Schicksal, und sie blieben
eigentlich nur stehen, weil unsere Altvorderen gar so unangenehm fest gebant
hatten.

Auch der Dom zu Köln hatte kaum ein besseres Loos. Zwar fand er auch
in jenen Zeiten einzelne Bewunderer und Verehrer, aber für seine Unterhaltung
geschah so gut wie nichts, abgesehen von einigen modernisierenden Verunstal¬
tungen. Als im Verlaufe der ersten französischen Revolution die Franzosen
Köln besetzten, und das Domkapitel durch rasche Flucht den Dom preisgab,
kam es so weit, daß er zu einem Fouragemagazin eingerichtet wurde. Und fast
kam es noch weiter. Im Jahre 1801 ging man mit dem horribeln Gedanken


übergeben. Im Jahre 1447 war der südliche Thurm bis zum dritten Geschoß,
d. h. bis zu einer Höhe von 55 Metern (die heutigen Thürme sind 157 Meter
hoch) vorgerückt, und unter dem oben aufgestellten Krähn, dem jahrhunderte-
langen Warzeicheu Kölns, wurden die alten Domglocken aufgehängt. Dombau¬
meister war damals Nicolaus von Buren (geht. 1446); auf ihn folgten
noch Conrad Kuyn und Johann von Frankenberg. Aber schon unter
den beiden letzteren wurde wenig mehr gebant; man glaubte nicht mehr an eine
Vollendung des Riesenwerkes. Zu Ende des 15. Jahrhunderts wurde das
Erdgeschoß des nördlichen Thurmes und zu Anfang des 16. Jahrhunderts das
Schiff bis zur Kapitälhöhe der Nebengänge vollendet. Man wölbte noch die
nördliche Nebenhalle, die mit dem nördlichen Thurme verbunden wurde, schmückte
die Halle mit gemalten Fenstern, die von verschiedenen Fürsten gestiftet wurden,
und versah das Ganze mit einem provisorischen Dache. Von dieser Zeit, dem
Anfang des 16. Jahrhunderts an, wurde nicht mehr weitergebaut. Die alte
Bauperiode des Domes war abgeschlossen, eine neue begann erst dreihundert
Jahre später. Zwischen dem östlichen Theile des Baues mit dem vollendeten
Chöre und dem westlichen, mit den: angefangenen Thurmbau lag eine weite,
klaffende Lücke. So stand der riesige Torso dreihundert Jahre.

Daß während der Wirren des dreißigjährigen Krieges nicht am Dome ge¬
baut wurde, ist begreiflich; später aber schwanden Interesse und Verständniß
sür die Kunst des Mittelalters in Deutschland mehr und mehr und machte»
mit dem 18. Jahrhundert einer Abneigung, ja fast einer Feindschaft Platz, wie
solche erst durch die Periode der Aufklärung mit ihrem Widerwillen gegen das
dunkle Mittelalter und dann durch die classische Periode mit ihrer alleinige»
Verehrung der Antike naturgemäß entstehen mußte. Es kam dahin, daß mau
die Werke der altdeutschen Maler in staubigen Winkeln liegen ließ, viele alt¬
deutsche Kirchen entweder auf den Abbruch verkaufte (so z. B. am Rhein) oder
in „nützliche Anstalten" umwandelte, die alten Burgruinen als Kornspeicher und
zu ähnlichen Zwecken gebrauchte und die ehrwürdigen Rathhäuser „geschmackvoll"
modernisierte. Die alten Dome überließ man ihrem Schicksal, und sie blieben
eigentlich nur stehen, weil unsere Altvorderen gar so unangenehm fest gebant
hatten.

Auch der Dom zu Köln hatte kaum ein besseres Loos. Zwar fand er auch
in jenen Zeiten einzelne Bewunderer und Verehrer, aber für seine Unterhaltung
geschah so gut wie nichts, abgesehen von einigen modernisierenden Verunstal¬
tungen. Als im Verlaufe der ersten französischen Revolution die Franzosen
Köln besetzten, und das Domkapitel durch rasche Flucht den Dom preisgab,
kam es so weit, daß er zu einem Fouragemagazin eingerichtet wurde. Und fast
kam es noch weiter. Im Jahre 1801 ging man mit dem horribeln Gedanken


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147797"/>
          <p xml:id="ID_415" prev="#ID_414"> übergeben. Im Jahre 1447 war der südliche Thurm bis zum dritten Geschoß,<lb/>
d. h. bis zu einer Höhe von 55 Metern (die heutigen Thürme sind 157 Meter<lb/>
hoch) vorgerückt, und unter dem oben aufgestellten Krähn, dem jahrhunderte-<lb/>
langen Warzeicheu Kölns, wurden die alten Domglocken aufgehängt. Dombau¬<lb/>
meister war damals Nicolaus von Buren (geht. 1446); auf ihn folgten<lb/>
noch Conrad Kuyn und Johann von Frankenberg. Aber schon unter<lb/>
den beiden letzteren wurde wenig mehr gebant; man glaubte nicht mehr an eine<lb/>
Vollendung des Riesenwerkes. Zu Ende des 15. Jahrhunderts wurde das<lb/>
Erdgeschoß des nördlichen Thurmes und zu Anfang des 16. Jahrhunderts das<lb/>
Schiff bis zur Kapitälhöhe der Nebengänge vollendet. Man wölbte noch die<lb/>
nördliche Nebenhalle, die mit dem nördlichen Thurme verbunden wurde, schmückte<lb/>
die Halle mit gemalten Fenstern, die von verschiedenen Fürsten gestiftet wurden,<lb/>
und versah das Ganze mit einem provisorischen Dache. Von dieser Zeit, dem<lb/>
Anfang des 16. Jahrhunderts an, wurde nicht mehr weitergebaut. Die alte<lb/>
Bauperiode des Domes war abgeschlossen, eine neue begann erst dreihundert<lb/>
Jahre später. Zwischen dem östlichen Theile des Baues mit dem vollendeten<lb/>
Chöre und dem westlichen, mit den: angefangenen Thurmbau lag eine weite,<lb/>
klaffende Lücke. So stand der riesige Torso dreihundert Jahre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_416"> Daß während der Wirren des dreißigjährigen Krieges nicht am Dome ge¬<lb/>
baut wurde, ist begreiflich; später aber schwanden Interesse und Verständniß<lb/>
sür die Kunst des Mittelalters in Deutschland mehr und mehr und machte»<lb/>
mit dem 18. Jahrhundert einer Abneigung, ja fast einer Feindschaft Platz, wie<lb/>
solche erst durch die Periode der Aufklärung mit ihrem Widerwillen gegen das<lb/>
dunkle Mittelalter und dann durch die classische Periode mit ihrer alleinige»<lb/>
Verehrung der Antike naturgemäß entstehen mußte. Es kam dahin, daß mau<lb/>
die Werke der altdeutschen Maler in staubigen Winkeln liegen ließ, viele alt¬<lb/>
deutsche Kirchen entweder auf den Abbruch verkaufte (so z. B. am Rhein) oder<lb/>
in &#x201E;nützliche Anstalten" umwandelte, die alten Burgruinen als Kornspeicher und<lb/>
zu ähnlichen Zwecken gebrauchte und die ehrwürdigen Rathhäuser &#x201E;geschmackvoll"<lb/>
modernisierte. Die alten Dome überließ man ihrem Schicksal, und sie blieben<lb/>
eigentlich nur stehen, weil unsere Altvorderen gar so unangenehm fest gebant<lb/>
hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_417" next="#ID_418"> Auch der Dom zu Köln hatte kaum ein besseres Loos. Zwar fand er auch<lb/>
in jenen Zeiten einzelne Bewunderer und Verehrer, aber für seine Unterhaltung<lb/>
geschah so gut wie nichts, abgesehen von einigen modernisierenden Verunstal¬<lb/>
tungen. Als im Verlaufe der ersten französischen Revolution die Franzosen<lb/>
Köln besetzten, und das Domkapitel durch rasche Flucht den Dom preisgab,<lb/>
kam es so weit, daß er zu einem Fouragemagazin eingerichtet wurde. Und fast<lb/>
kam es noch weiter. Im Jahre 1801 ging man mit dem horribeln Gedanken</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] übergeben. Im Jahre 1447 war der südliche Thurm bis zum dritten Geschoß, d. h. bis zu einer Höhe von 55 Metern (die heutigen Thürme sind 157 Meter hoch) vorgerückt, und unter dem oben aufgestellten Krähn, dem jahrhunderte- langen Warzeicheu Kölns, wurden die alten Domglocken aufgehängt. Dombau¬ meister war damals Nicolaus von Buren (geht. 1446); auf ihn folgten noch Conrad Kuyn und Johann von Frankenberg. Aber schon unter den beiden letzteren wurde wenig mehr gebant; man glaubte nicht mehr an eine Vollendung des Riesenwerkes. Zu Ende des 15. Jahrhunderts wurde das Erdgeschoß des nördlichen Thurmes und zu Anfang des 16. Jahrhunderts das Schiff bis zur Kapitälhöhe der Nebengänge vollendet. Man wölbte noch die nördliche Nebenhalle, die mit dem nördlichen Thurme verbunden wurde, schmückte die Halle mit gemalten Fenstern, die von verschiedenen Fürsten gestiftet wurden, und versah das Ganze mit einem provisorischen Dache. Von dieser Zeit, dem Anfang des 16. Jahrhunderts an, wurde nicht mehr weitergebaut. Die alte Bauperiode des Domes war abgeschlossen, eine neue begann erst dreihundert Jahre später. Zwischen dem östlichen Theile des Baues mit dem vollendeten Chöre und dem westlichen, mit den: angefangenen Thurmbau lag eine weite, klaffende Lücke. So stand der riesige Torso dreihundert Jahre. Daß während der Wirren des dreißigjährigen Krieges nicht am Dome ge¬ baut wurde, ist begreiflich; später aber schwanden Interesse und Verständniß sür die Kunst des Mittelalters in Deutschland mehr und mehr und machte» mit dem 18. Jahrhundert einer Abneigung, ja fast einer Feindschaft Platz, wie solche erst durch die Periode der Aufklärung mit ihrem Widerwillen gegen das dunkle Mittelalter und dann durch die classische Periode mit ihrer alleinige» Verehrung der Antike naturgemäß entstehen mußte. Es kam dahin, daß mau die Werke der altdeutschen Maler in staubigen Winkeln liegen ließ, viele alt¬ deutsche Kirchen entweder auf den Abbruch verkaufte (so z. B. am Rhein) oder in „nützliche Anstalten" umwandelte, die alten Burgruinen als Kornspeicher und zu ähnlichen Zwecken gebrauchte und die ehrwürdigen Rathhäuser „geschmackvoll" modernisierte. Die alten Dome überließ man ihrem Schicksal, und sie blieben eigentlich nur stehen, weil unsere Altvorderen gar so unangenehm fest gebant hatten. Auch der Dom zu Köln hatte kaum ein besseres Loos. Zwar fand er auch in jenen Zeiten einzelne Bewunderer und Verehrer, aber für seine Unterhaltung geschah so gut wie nichts, abgesehen von einigen modernisierenden Verunstal¬ tungen. Als im Verlaufe der ersten französischen Revolution die Franzosen Köln besetzten, und das Domkapitel durch rasche Flucht den Dom preisgab, kam es so weit, daß er zu einem Fouragemagazin eingerichtet wurde. Und fast kam es noch weiter. Im Jahre 1801 ging man mit dem horribeln Gedanken

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/150>, abgerufen am 28.12.2024.