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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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um, den Dom auf den Abbruch zu versteigern! Dies wurde glücklich abge¬
wendet, ebenso der einmal projeetierte Verkauf der gemalten Domfeuster an rei¬
sende Engländer. Aber alle Bemühungen einzelner Männer, welche Interesse an
ihm nahmen und seine Wiederherstellung erwirken wollten, blieben erfolglos.
Er wurde mehr und mehr vernachlässigt, und bereits drohte der Verfall.

Endlich kamen wieder bessere Zeiten. Das geschwundene Verständniß und
Interesse für altdeutsche Kunst brach zum ersten Male wieder hervor in dem
jungen Goethe, der als Straßburger Student im Jahre 1771 jene begeisterte
Denkschrift auf Erwin von Steinbach, den Schöpfer des Straßburger Münsters,
schrieb. Noch war es aber ein vorübergehendes Aufleuchten, das in Goethe
selbst bald wieder verschwand. Fünfzehn Jahre später theilte er die allgemeine
Abneigung gegen die altdeutsche Kunst und schrieb von seiner italienischen Reise
aus, er "danke Gott, daß er die Blumenzacken, die Tabakpfeifensäulchen und die
ans Kragsteinlein tanzenden Heiligen auf ewig los sei" -- was freilich, wie wir
unten sehen werden, nicht der Fall war. Erst in den letzten Jahren des 18.
und den ersten des 19. Jahrhunderts begann jene erfolgreiche Bewegung zu
Gunsten der altdeutschen Kunst, welche zu der vollen Wiedererweckung des Inter¬
esses für dieselbe führte, von der wir ein glänzendes Resultat in der Vollendung
des Kölner Domes vor uns haben.

Es war zuerst der große Reisende und kunstsinnige Schriftsteller Georg
Forst er, der in seinen "Ansichten vom Niederrhein" (1791--94) die altdeut¬
schen Baudenkmale und vor allem den Kölner Dom mit liebevollem Ver¬
ständniß schilderte und die Aufmerksamkeit wieder auf sie lenkte. Sodann war
es namentlich die romantische Schule, welcher das deutsche Mittelalter in
ähnlicher Weise sympathisch war wie den Classikern die Antike, und welche mit
aller Wärme für die altdeutsche Kunst eintrat. Dies geschah zunächst durch
drei von universeller Kuustbegeisteruug getragene Schriften: die "Herzenser-
gieszungen eines kunstliebenden Klosterbruders" von Wackenroder, "Stern-
balds Wanderungen" und die "Phantasien über Kunst" von Tieck (1798), denen
Aufsätze vou Görres und die Briefe Friedr. Schlegels in seiner Zeit¬
schrift "Europa" (seit 1803) folgten. Am umfassendsten und erfolgreichsten aber
waren für die Begründung des wissenschaftlichen Studiums der altdeutschen
Kunst zwei Männer thätig, die ebenfalls mit der romantischen Schule zusam¬
menhingen und die von ihnen angebahnte Richtung zum vollen Durchbruch
führten: die beiden Brüder Sulpiz und Melchior Boisseree.

Als Söhne eines angesehenen Handelsherrn in Köln geboren, ersterer am
3. August 1783, letzterer am 23. April 1786, waren sie ebenfalls zum Kauf¬
mannsstande bestimmt, aber ihre Neigungen gingen nach anderen Zielen. Die
Lectüre der obengenannten Schriften der Romantiker über Kunst, der Anblick


um, den Dom auf den Abbruch zu versteigern! Dies wurde glücklich abge¬
wendet, ebenso der einmal projeetierte Verkauf der gemalten Domfeuster an rei¬
sende Engländer. Aber alle Bemühungen einzelner Männer, welche Interesse an
ihm nahmen und seine Wiederherstellung erwirken wollten, blieben erfolglos.
Er wurde mehr und mehr vernachlässigt, und bereits drohte der Verfall.

Endlich kamen wieder bessere Zeiten. Das geschwundene Verständniß und
Interesse für altdeutsche Kunst brach zum ersten Male wieder hervor in dem
jungen Goethe, der als Straßburger Student im Jahre 1771 jene begeisterte
Denkschrift auf Erwin von Steinbach, den Schöpfer des Straßburger Münsters,
schrieb. Noch war es aber ein vorübergehendes Aufleuchten, das in Goethe
selbst bald wieder verschwand. Fünfzehn Jahre später theilte er die allgemeine
Abneigung gegen die altdeutsche Kunst und schrieb von seiner italienischen Reise
aus, er „danke Gott, daß er die Blumenzacken, die Tabakpfeifensäulchen und die
ans Kragsteinlein tanzenden Heiligen auf ewig los sei" — was freilich, wie wir
unten sehen werden, nicht der Fall war. Erst in den letzten Jahren des 18.
und den ersten des 19. Jahrhunderts begann jene erfolgreiche Bewegung zu
Gunsten der altdeutschen Kunst, welche zu der vollen Wiedererweckung des Inter¬
esses für dieselbe führte, von der wir ein glänzendes Resultat in der Vollendung
des Kölner Domes vor uns haben.

Es war zuerst der große Reisende und kunstsinnige Schriftsteller Georg
Forst er, der in seinen „Ansichten vom Niederrhein" (1791—94) die altdeut¬
schen Baudenkmale und vor allem den Kölner Dom mit liebevollem Ver¬
ständniß schilderte und die Aufmerksamkeit wieder auf sie lenkte. Sodann war
es namentlich die romantische Schule, welcher das deutsche Mittelalter in
ähnlicher Weise sympathisch war wie den Classikern die Antike, und welche mit
aller Wärme für die altdeutsche Kunst eintrat. Dies geschah zunächst durch
drei von universeller Kuustbegeisteruug getragene Schriften: die „Herzenser-
gieszungen eines kunstliebenden Klosterbruders" von Wackenroder, „Stern-
balds Wanderungen" und die „Phantasien über Kunst" von Tieck (1798), denen
Aufsätze vou Görres und die Briefe Friedr. Schlegels in seiner Zeit¬
schrift „Europa" (seit 1803) folgten. Am umfassendsten und erfolgreichsten aber
waren für die Begründung des wissenschaftlichen Studiums der altdeutschen
Kunst zwei Männer thätig, die ebenfalls mit der romantischen Schule zusam¬
menhingen und die von ihnen angebahnte Richtung zum vollen Durchbruch
führten: die beiden Brüder Sulpiz und Melchior Boisseree.

Als Söhne eines angesehenen Handelsherrn in Köln geboren, ersterer am
3. August 1783, letzterer am 23. April 1786, waren sie ebenfalls zum Kauf¬
mannsstande bestimmt, aber ihre Neigungen gingen nach anderen Zielen. Die
Lectüre der obengenannten Schriften der Romantiker über Kunst, der Anblick


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/151>, abgerufen am 28.12.2024.