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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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keit der gewerblichen Schiedsgerichte hängt aber gerade von dem richtig vertheilten
Einflüsse ab, welcher beiden Theilen in der Konstituierung des Gerichts zuge¬
messen ist. Baare meint: "Man könnte auch vielleicht Gewerbeschiedsgerichte
constituieren, wobei Arbeitgeber und Arbeiter unter dem Präsidium eines Juristen
zusammentreten und wobei der Fabrikinspector gewissermaßen als Unparteiischer
hinzugezogen werden kann. Allerdings dürften diese Beamten nicht wie jetzt
in der Regel nur Theoretiker, sie müßten dem Kreise praktischer Techniker ent¬
nommen sein, frei von der ihnen vielfach beiwohnenden Auffassung, daß ihr
Beruf sie zum Anwalt der Arbeiter und zum Gegner der Arbeitgeber stempele.
Erst nachdem ein solches Schiedsgericht sein Urtheil gesprochen hat, dürfte Klage
auf Grund des Reichshaftpflichtgesetzes von den ordentlichen Gerichten angenommen
werden. Derartige Verhandlungen sind am besten geeignet, Processe zu ver¬
meiden und der dadurch entstehenden erbitterten Stimmung des Arbeiters gegen
den Arbeitgeber vorzubeugen." Ferner will Waare den Gerichtshof für Haft-
pflichtprvcesse ähnlich constituieren wie unsere Handelsgerichte, mit der Be¬
stimmung, daß mindestens ein technischer Sachverständiger dem Richterkolleginm
angehört.

Demgegenüber erheben sich nun freilich gewisse Bedenken, welche sich gerade
aus der praktischen Erfahrung aufdrängen. Die Verhältnisse zwischen Arbeiter
und Unternehmer in der Großindustrie liegen praktisch sehr viel anders wie in
Solingen. Weit entfernt von einem verständnißvollen, fast kollegialischer Zu¬
sammenwirken, welches aus dem Zusammenfließen der Grenzen zwischen Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer in Solingen seine Begründung herleitet, steht der
Arbeiter der Großindustrie und der Großstadt seinem Brodherrn isoliert, fremd
und nur zu oft unzufrieden und feindselig gegenüber. Aufgabe des Staates ist
es, diese Gegensätze zu mildern und Organisationen zu schaffen, welche beide
durch größeres Verständniß der Rechte und Pflichten eines jeden versöhnend
näher bringen. Die Solinger Organisation hat unzweifelhaft eine principiell
richtige Bedeutung, sie kann aber nicht ohne weiteres auf vollständig anders
geartete Verhältnisse übertragen werden. Wir find allerdings mit Baare der
Meinung, daß gewerbliche Schiedsgerichte als erste Instanz für Unfallprocesse
zu constituieren sind, und lassen uns dafür die Solinger Organisation im all¬
gemeinen principiell als Muster dienen. Der juristische Vorsitzende ist unbedingt
zu acceptieren, denn es entspricht dem Character eines Schiedsgerichts, daß es
einen Obmann habe, welcher bei Stimmengleichheit entscheidet. Es liegt aber
dann in den natürlichen Umständen, daß das Uebergewicht auf Seiten der
Arbeitgeber ist, und daß die Partei der Arbeiter einer Kräftigung bedarf. Dazu
ist vor allem der Fabrikinspector berufen. In, der Person des Fabrikinspectors
wird das sachliche von dem persönlichen Moment gestärkt. Er steht seinem


keit der gewerblichen Schiedsgerichte hängt aber gerade von dem richtig vertheilten
Einflüsse ab, welcher beiden Theilen in der Konstituierung des Gerichts zuge¬
messen ist. Baare meint: „Man könnte auch vielleicht Gewerbeschiedsgerichte
constituieren, wobei Arbeitgeber und Arbeiter unter dem Präsidium eines Juristen
zusammentreten und wobei der Fabrikinspector gewissermaßen als Unparteiischer
hinzugezogen werden kann. Allerdings dürften diese Beamten nicht wie jetzt
in der Regel nur Theoretiker, sie müßten dem Kreise praktischer Techniker ent¬
nommen sein, frei von der ihnen vielfach beiwohnenden Auffassung, daß ihr
Beruf sie zum Anwalt der Arbeiter und zum Gegner der Arbeitgeber stempele.
Erst nachdem ein solches Schiedsgericht sein Urtheil gesprochen hat, dürfte Klage
auf Grund des Reichshaftpflichtgesetzes von den ordentlichen Gerichten angenommen
werden. Derartige Verhandlungen sind am besten geeignet, Processe zu ver¬
meiden und der dadurch entstehenden erbitterten Stimmung des Arbeiters gegen
den Arbeitgeber vorzubeugen." Ferner will Waare den Gerichtshof für Haft-
pflichtprvcesse ähnlich constituieren wie unsere Handelsgerichte, mit der Be¬
stimmung, daß mindestens ein technischer Sachverständiger dem Richterkolleginm
angehört.

Demgegenüber erheben sich nun freilich gewisse Bedenken, welche sich gerade
aus der praktischen Erfahrung aufdrängen. Die Verhältnisse zwischen Arbeiter
und Unternehmer in der Großindustrie liegen praktisch sehr viel anders wie in
Solingen. Weit entfernt von einem verständnißvollen, fast kollegialischer Zu¬
sammenwirken, welches aus dem Zusammenfließen der Grenzen zwischen Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer in Solingen seine Begründung herleitet, steht der
Arbeiter der Großindustrie und der Großstadt seinem Brodherrn isoliert, fremd
und nur zu oft unzufrieden und feindselig gegenüber. Aufgabe des Staates ist
es, diese Gegensätze zu mildern und Organisationen zu schaffen, welche beide
durch größeres Verständniß der Rechte und Pflichten eines jeden versöhnend
näher bringen. Die Solinger Organisation hat unzweifelhaft eine principiell
richtige Bedeutung, sie kann aber nicht ohne weiteres auf vollständig anders
geartete Verhältnisse übertragen werden. Wir find allerdings mit Baare der
Meinung, daß gewerbliche Schiedsgerichte als erste Instanz für Unfallprocesse
zu constituieren sind, und lassen uns dafür die Solinger Organisation im all¬
gemeinen principiell als Muster dienen. Der juristische Vorsitzende ist unbedingt
zu acceptieren, denn es entspricht dem Character eines Schiedsgerichts, daß es
einen Obmann habe, welcher bei Stimmengleichheit entscheidet. Es liegt aber
dann in den natürlichen Umständen, daß das Uebergewicht auf Seiten der
Arbeitgeber ist, und daß die Partei der Arbeiter einer Kräftigung bedarf. Dazu
ist vor allem der Fabrikinspector berufen. In, der Person des Fabrikinspectors
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[0146] keit der gewerblichen Schiedsgerichte hängt aber gerade von dem richtig vertheilten Einflüsse ab, welcher beiden Theilen in der Konstituierung des Gerichts zuge¬ messen ist. Baare meint: „Man könnte auch vielleicht Gewerbeschiedsgerichte constituieren, wobei Arbeitgeber und Arbeiter unter dem Präsidium eines Juristen zusammentreten und wobei der Fabrikinspector gewissermaßen als Unparteiischer hinzugezogen werden kann. Allerdings dürften diese Beamten nicht wie jetzt in der Regel nur Theoretiker, sie müßten dem Kreise praktischer Techniker ent¬ nommen sein, frei von der ihnen vielfach beiwohnenden Auffassung, daß ihr Beruf sie zum Anwalt der Arbeiter und zum Gegner der Arbeitgeber stempele. Erst nachdem ein solches Schiedsgericht sein Urtheil gesprochen hat, dürfte Klage auf Grund des Reichshaftpflichtgesetzes von den ordentlichen Gerichten angenommen werden. Derartige Verhandlungen sind am besten geeignet, Processe zu ver¬ meiden und der dadurch entstehenden erbitterten Stimmung des Arbeiters gegen den Arbeitgeber vorzubeugen." Ferner will Waare den Gerichtshof für Haft- pflichtprvcesse ähnlich constituieren wie unsere Handelsgerichte, mit der Be¬ stimmung, daß mindestens ein technischer Sachverständiger dem Richterkolleginm angehört. Demgegenüber erheben sich nun freilich gewisse Bedenken, welche sich gerade aus der praktischen Erfahrung aufdrängen. Die Verhältnisse zwischen Arbeiter und Unternehmer in der Großindustrie liegen praktisch sehr viel anders wie in Solingen. Weit entfernt von einem verständnißvollen, fast kollegialischer Zu¬ sammenwirken, welches aus dem Zusammenfließen der Grenzen zwischen Arbeit¬ geber und Arbeitnehmer in Solingen seine Begründung herleitet, steht der Arbeiter der Großindustrie und der Großstadt seinem Brodherrn isoliert, fremd und nur zu oft unzufrieden und feindselig gegenüber. Aufgabe des Staates ist es, diese Gegensätze zu mildern und Organisationen zu schaffen, welche beide durch größeres Verständniß der Rechte und Pflichten eines jeden versöhnend näher bringen. Die Solinger Organisation hat unzweifelhaft eine principiell richtige Bedeutung, sie kann aber nicht ohne weiteres auf vollständig anders geartete Verhältnisse übertragen werden. Wir find allerdings mit Baare der Meinung, daß gewerbliche Schiedsgerichte als erste Instanz für Unfallprocesse zu constituieren sind, und lassen uns dafür die Solinger Organisation im all¬ gemeinen principiell als Muster dienen. Der juristische Vorsitzende ist unbedingt zu acceptieren, denn es entspricht dem Character eines Schiedsgerichts, daß es einen Obmann habe, welcher bei Stimmengleichheit entscheidet. Es liegt aber dann in den natürlichen Umständen, daß das Uebergewicht auf Seiten der Arbeitgeber ist, und daß die Partei der Arbeiter einer Kräftigung bedarf. Dazu ist vor allem der Fabrikinspector berufen. In, der Person des Fabrikinspectors wird das sachliche von dem persönlichen Moment gestärkt. Er steht seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/146>, abgerufen am 28.12.2024.