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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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u. a. eine recht unklare Bestimmung enthält, nach welcher nnr diejenigen deir
Vortheil des Gesetzes genießen, welche in Folge der Verschuldung des Arbeit¬
gebers oder seines Beauftragten verunglückt sind. Baare führt in seinem
bekannten Promemorm ans, daß die Frage, wer und wann einer Beauftragter
sei, zu einer Menge von Processen und in diesen zu den subtilsten Interpreta¬
tionen geführt habe. Es ist vorgekommen, daß ein Meister einem Arbeiter
beauftragte, eine Maschine zu Putzen; der Arbeiter, statt den Auftrag selber aus¬
zuführen und die Maschine reglementsmäßig still zu stellen, veranlaßt einen
Mitarbeiter, die Arbeit für ihn zu thun; dieser putzt die im Gange befindliche
Maschine und verunglückt dabei. Der erstere Arbeiter wurde nun von den Ge¬
richten als Beantragter auch in Bezug auf seine Mitarbeiter angesehen. Durch
die Geneigtheit der Communen, den Beschädigtem Armenatteste auszustellen, und
durch die Einräumung einer zweijährigen Frist zur Klageanstellung, sowie
durch das System der Versicherungen, welche erst nach rechtskräftiger Verurthei-
lung des Arbeitgebers zahlen, kommt fast jeder Unfall zum processualischen
Austrag. Baare schlägt sechsmonatliche Antragsfrist und, wenn schweres Krank-
sein nachgewiesen wird, eine Verlängerung auf fernere sechs Monate vor. Die
Unfälle seien meistens durch deu Verunglückten oder seine Mitarbeiter verschul¬
det, und je mehr dies zutreffe, um so mehr suche der Beschädigte die Anstren¬
gung des Processes hinauszuschieben und in der Zwischenzeit Unterstützung aus
der Krankenkasse oder vom Arbeitgeber direct zu erlangen. Auch die Zeugen¬
aussagen würden erfahrungsmäßig immer unzuverlässiger mit der Zeit, und je
mehr das natürliche Mitleid des Mitarbeiters die Schärfe seines Gedächt¬
nisses überwiege, desto mehr überwiege auch die menschliche Schwäche, Mitleid,
Interessensolidarität und Opposition gegen den Arbeitgeber das Pflichtgefühl.
Endlich pflege die Thatsache der Unfall - Versicherung naturgemäß einen ge¬
wissen dein Arbeiter günstigen Einfluß auf die Entscheidung der Richter zu
üben, denn nach dem unzweckmäßigen Z 6 habe das Gericht über die Wahrheit
der thatsächlichen Behauptungen unter Berücksichtigung des gestimmten Inhalts
der Verhandlungen nach freier Ueberzeugung zu entscheiden, und nach 8 7 anch
über die Höhe des Schadens nach freiem Ermessen zu erkennen. In Folge
dessen seien Erkenntnisse erlassen, in welchen die Richter, beeinflußt von ihrer
natürlichen Sympathie für den Verunglückten und gestützt auf die genannten
Bestimmungen des Gesetzes, entgegen den klaren und präcisen Gutachten der
technischen Sachverständige", wonach jedes Verschulden eines Dritten in Abrede
gestellt wurde, doch uach ihrer freien Ueberzeugung den Arbeitgeber zu einer
Entschädigung verurtheilt hätten. Baare führt dabei ein allerdings eigenthüm¬
liches Erkenntniß eines süddeutschen Appellativusgerichts an, in welchem es heißt:
"Nicht von entscheidender Bedeutung, aber doch unterstützend war die heute vom


u. a. eine recht unklare Bestimmung enthält, nach welcher nnr diejenigen deir
Vortheil des Gesetzes genießen, welche in Folge der Verschuldung des Arbeit¬
gebers oder seines Beauftragten verunglückt sind. Baare führt in seinem
bekannten Promemorm ans, daß die Frage, wer und wann einer Beauftragter
sei, zu einer Menge von Processen und in diesen zu den subtilsten Interpreta¬
tionen geführt habe. Es ist vorgekommen, daß ein Meister einem Arbeiter
beauftragte, eine Maschine zu Putzen; der Arbeiter, statt den Auftrag selber aus¬
zuführen und die Maschine reglementsmäßig still zu stellen, veranlaßt einen
Mitarbeiter, die Arbeit für ihn zu thun; dieser putzt die im Gange befindliche
Maschine und verunglückt dabei. Der erstere Arbeiter wurde nun von den Ge¬
richten als Beantragter auch in Bezug auf seine Mitarbeiter angesehen. Durch
die Geneigtheit der Communen, den Beschädigtem Armenatteste auszustellen, und
durch die Einräumung einer zweijährigen Frist zur Klageanstellung, sowie
durch das System der Versicherungen, welche erst nach rechtskräftiger Verurthei-
lung des Arbeitgebers zahlen, kommt fast jeder Unfall zum processualischen
Austrag. Baare schlägt sechsmonatliche Antragsfrist und, wenn schweres Krank-
sein nachgewiesen wird, eine Verlängerung auf fernere sechs Monate vor. Die
Unfälle seien meistens durch deu Verunglückten oder seine Mitarbeiter verschul¬
det, und je mehr dies zutreffe, um so mehr suche der Beschädigte die Anstren¬
gung des Processes hinauszuschieben und in der Zwischenzeit Unterstützung aus
der Krankenkasse oder vom Arbeitgeber direct zu erlangen. Auch die Zeugen¬
aussagen würden erfahrungsmäßig immer unzuverlässiger mit der Zeit, und je
mehr das natürliche Mitleid des Mitarbeiters die Schärfe seines Gedächt¬
nisses überwiege, desto mehr überwiege auch die menschliche Schwäche, Mitleid,
Interessensolidarität und Opposition gegen den Arbeitgeber das Pflichtgefühl.
Endlich pflege die Thatsache der Unfall - Versicherung naturgemäß einen ge¬
wissen dein Arbeiter günstigen Einfluß auf die Entscheidung der Richter zu
üben, denn nach dem unzweckmäßigen Z 6 habe das Gericht über die Wahrheit
der thatsächlichen Behauptungen unter Berücksichtigung des gestimmten Inhalts
der Verhandlungen nach freier Ueberzeugung zu entscheiden, und nach 8 7 anch
über die Höhe des Schadens nach freiem Ermessen zu erkennen. In Folge
dessen seien Erkenntnisse erlassen, in welchen die Richter, beeinflußt von ihrer
natürlichen Sympathie für den Verunglückten und gestützt auf die genannten
Bestimmungen des Gesetzes, entgegen den klaren und präcisen Gutachten der
technischen Sachverständige«, wonach jedes Verschulden eines Dritten in Abrede
gestellt wurde, doch uach ihrer freien Ueberzeugung den Arbeitgeber zu einer
Entschädigung verurtheilt hätten. Baare führt dabei ein allerdings eigenthüm¬
liches Erkenntniß eines süddeutschen Appellativusgerichts an, in welchem es heißt:
»Nicht von entscheidender Bedeutung, aber doch unterstützend war die heute vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/143>, abgerufen am 28.12.2024.