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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Neubau und die Errichtung eines fünfschiffigeu Langhauses von den gegen¬
wärtigen Dimensionen beschlossen und der Plau dazu entworfen worden sei.
Gegen die archivalischen Argumente machte Kugler geltend, daß die betreffenden
Stellen eine verschiedene Auffassung zulassen, Springer, daß es sich bei den
Domherren und Stiftern von Memorien um subjektive Meinungen handle. Die
positiven Gründe beider Forscher siud architectonisch-technischer Natur. Kugler
faud in dem monströsen Verhältniß der Höhe zur Läuge des Chorraumes,
Springer in der statischen Nothwendigkeit einer diesem colossalen Ban entsprechen¬
den Gegenstütze den Beweis für die ursprüngliche Absicht eines totalen Neubaues.
Dagegen wandte Schnaase ein, daß wir über den alten Dom zu wenig unterrichtet
seien, um über solche Fragen zu entscheiden, ferner, daß die Baumeister des
Mittelalters in Bezug auf Harmonie wie auch auf statische Gründe nicht so
fernpulös gewesen seien. Auch beweise das fünfhundertjährige fragmentarische
Bestehen des Domchores seine Haltbarkeit für sich allein.

Kugler und Springer stützten sich aber noch auf ein weiteres Argument.
Die Ostwände des Querschiffes, welche neben dem Chor schon im 14. Jahr¬
hundert aufgeführt waren, und die alten Fundamente des südlichen Querschiffes
zeigen klar die Absicht an, dem Querschiff die gegenwärtige Ausdehnung zu
geben, was wiederum einem fünfschiffigeu Langhaus entspräche. Der Bau eines
solchen wäre sonach von Anfang an beabsichtigt gewesen. Nun meinte Schnaase
allerdings, es fehle der Beweis dafür, daß diese Anlagen, um die es sich handle,
vor der Zeit, wo man den Beschluß zum Weiterball der westlichen Theile faßte,
also vor dem Jahre 1319 entstanden seien; gegen die Untersuchungen Zwirners,
denen zufolge diese Anlagen allerdings vor genannter Zeit und gleichzeitig mit
dem Chor entstanden wären, machte er ebenfall Einwendungen; das Gegentheil ist
aber auch nicht erwiesen. Man sieht, die Sache ist ziemlich verwickelt. Jeden¬
falls bliebe es immerhin auffallend, wenn man beabsichtigt hätte, einen so gran¬
diosen, prachtvollen Chor mit dem einfach gebauten alten Dome zusammen¬
zustellen, wenn schon ein derartiges Verfahren bei anderen Kirchen geübt wurde.

Eine endgiltige Entscheidung -- dies wird aus dem Dargelegten hervorge¬
gangen sein -- ist bis gegenwärtig nicht gegeben. Viele haben sich Schnaase an¬
geschlossen, doch hat auch die ältere Ansicht manche gewichtige Vertreter, darunter
den kürzlich verstorbenen gelehrten Kölner Archivar Dr. Euren, den Verfasser
der ausgezeichneten historischen Einleitung zu dein Domwerke voll Schmitz (1871).
Euren schließt sich der Ansicht vom ursprünglichen Beschluß und Plan des totalen
Neubaues an, erklärt aber zugleich, daß der Plan, welcher der Ausführung
des Querschiffes lind des Langhauses zu Grunde gelegen, nicht der ursprüng¬
liche, sondern ein im 14. lind 15. Jahrhundert nach den damaligen Vauprin-
cipien veränderter gewesen sei. Welches aber der Umfang dieser Veränderungen


Neubau und die Errichtung eines fünfschiffigeu Langhauses von den gegen¬
wärtigen Dimensionen beschlossen und der Plau dazu entworfen worden sei.
Gegen die archivalischen Argumente machte Kugler geltend, daß die betreffenden
Stellen eine verschiedene Auffassung zulassen, Springer, daß es sich bei den
Domherren und Stiftern von Memorien um subjektive Meinungen handle. Die
positiven Gründe beider Forscher siud architectonisch-technischer Natur. Kugler
faud in dem monströsen Verhältniß der Höhe zur Läuge des Chorraumes,
Springer in der statischen Nothwendigkeit einer diesem colossalen Ban entsprechen¬
den Gegenstütze den Beweis für die ursprüngliche Absicht eines totalen Neubaues.
Dagegen wandte Schnaase ein, daß wir über den alten Dom zu wenig unterrichtet
seien, um über solche Fragen zu entscheiden, ferner, daß die Baumeister des
Mittelalters in Bezug auf Harmonie wie auch auf statische Gründe nicht so
fernpulös gewesen seien. Auch beweise das fünfhundertjährige fragmentarische
Bestehen des Domchores seine Haltbarkeit für sich allein.

Kugler und Springer stützten sich aber noch auf ein weiteres Argument.
Die Ostwände des Querschiffes, welche neben dem Chor schon im 14. Jahr¬
hundert aufgeführt waren, und die alten Fundamente des südlichen Querschiffes
zeigen klar die Absicht an, dem Querschiff die gegenwärtige Ausdehnung zu
geben, was wiederum einem fünfschiffigeu Langhaus entspräche. Der Bau eines
solchen wäre sonach von Anfang an beabsichtigt gewesen. Nun meinte Schnaase
allerdings, es fehle der Beweis dafür, daß diese Anlagen, um die es sich handle,
vor der Zeit, wo man den Beschluß zum Weiterball der westlichen Theile faßte,
also vor dem Jahre 1319 entstanden seien; gegen die Untersuchungen Zwirners,
denen zufolge diese Anlagen allerdings vor genannter Zeit und gleichzeitig mit
dem Chor entstanden wären, machte er ebenfall Einwendungen; das Gegentheil ist
aber auch nicht erwiesen. Man sieht, die Sache ist ziemlich verwickelt. Jeden¬
falls bliebe es immerhin auffallend, wenn man beabsichtigt hätte, einen so gran¬
diosen, prachtvollen Chor mit dem einfach gebauten alten Dome zusammen¬
zustellen, wenn schon ein derartiges Verfahren bei anderen Kirchen geübt wurde.

Eine endgiltige Entscheidung — dies wird aus dem Dargelegten hervorge¬
gangen sein — ist bis gegenwärtig nicht gegeben. Viele haben sich Schnaase an¬
geschlossen, doch hat auch die ältere Ansicht manche gewichtige Vertreter, darunter
den kürzlich verstorbenen gelehrten Kölner Archivar Dr. Euren, den Verfasser
der ausgezeichneten historischen Einleitung zu dein Domwerke voll Schmitz (1871).
Euren schließt sich der Ansicht vom ursprünglichen Beschluß und Plan des totalen
Neubaues an, erklärt aber zugleich, daß der Plan, welcher der Ausführung
des Querschiffes lind des Langhauses zu Grunde gelegen, nicht der ursprüng¬
liche, sondern ein im 14. lind 15. Jahrhundert nach den damaligen Vauprin-
cipien veränderter gewesen sei. Welches aber der Umfang dieser Veränderungen


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[0122] Neubau und die Errichtung eines fünfschiffigeu Langhauses von den gegen¬ wärtigen Dimensionen beschlossen und der Plau dazu entworfen worden sei. Gegen die archivalischen Argumente machte Kugler geltend, daß die betreffenden Stellen eine verschiedene Auffassung zulassen, Springer, daß es sich bei den Domherren und Stiftern von Memorien um subjektive Meinungen handle. Die positiven Gründe beider Forscher siud architectonisch-technischer Natur. Kugler faud in dem monströsen Verhältniß der Höhe zur Läuge des Chorraumes, Springer in der statischen Nothwendigkeit einer diesem colossalen Ban entsprechen¬ den Gegenstütze den Beweis für die ursprüngliche Absicht eines totalen Neubaues. Dagegen wandte Schnaase ein, daß wir über den alten Dom zu wenig unterrichtet seien, um über solche Fragen zu entscheiden, ferner, daß die Baumeister des Mittelalters in Bezug auf Harmonie wie auch auf statische Gründe nicht so fernpulös gewesen seien. Auch beweise das fünfhundertjährige fragmentarische Bestehen des Domchores seine Haltbarkeit für sich allein. Kugler und Springer stützten sich aber noch auf ein weiteres Argument. Die Ostwände des Querschiffes, welche neben dem Chor schon im 14. Jahr¬ hundert aufgeführt waren, und die alten Fundamente des südlichen Querschiffes zeigen klar die Absicht an, dem Querschiff die gegenwärtige Ausdehnung zu geben, was wiederum einem fünfschiffigeu Langhaus entspräche. Der Bau eines solchen wäre sonach von Anfang an beabsichtigt gewesen. Nun meinte Schnaase allerdings, es fehle der Beweis dafür, daß diese Anlagen, um die es sich handle, vor der Zeit, wo man den Beschluß zum Weiterball der westlichen Theile faßte, also vor dem Jahre 1319 entstanden seien; gegen die Untersuchungen Zwirners, denen zufolge diese Anlagen allerdings vor genannter Zeit und gleichzeitig mit dem Chor entstanden wären, machte er ebenfall Einwendungen; das Gegentheil ist aber auch nicht erwiesen. Man sieht, die Sache ist ziemlich verwickelt. Jeden¬ falls bliebe es immerhin auffallend, wenn man beabsichtigt hätte, einen so gran¬ diosen, prachtvollen Chor mit dem einfach gebauten alten Dome zusammen¬ zustellen, wenn schon ein derartiges Verfahren bei anderen Kirchen geübt wurde. Eine endgiltige Entscheidung — dies wird aus dem Dargelegten hervorge¬ gangen sein — ist bis gegenwärtig nicht gegeben. Viele haben sich Schnaase an¬ geschlossen, doch hat auch die ältere Ansicht manche gewichtige Vertreter, darunter den kürzlich verstorbenen gelehrten Kölner Archivar Dr. Euren, den Verfasser der ausgezeichneten historischen Einleitung zu dein Domwerke voll Schmitz (1871). Euren schließt sich der Ansicht vom ursprünglichen Beschluß und Plan des totalen Neubaues an, erklärt aber zugleich, daß der Plan, welcher der Ausführung des Querschiffes lind des Langhauses zu Grunde gelegen, nicht der ursprüng¬ liche, sondern ein im 14. lind 15. Jahrhundert nach den damaligen Vauprin- cipien veränderter gewesen sei. Welches aber der Umfang dieser Veränderungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/122>, abgerufen am 28.12.2024.