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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Vergrößerung. Die Urkunden aus den Meinorienstiftungen der Jahre 1274
bis 1319 berichten über die einzelnen Anordnungen der Stifter, und ans diesen
geht hervor, daß sie von eiueiu Abbrüche des alten Theiles des Gebäudes nichts
wußten. Darunter sind aber Mitglieder des Domkapitels, die über den Be¬
schluß unterrichtet sein mußten. Aus diesen und anderen Nachrichten folgerte
die archivalische Forschung, daß in der Zeit von 1248 --1318 nur beschlossen
war, die alte Domkirche durch eiuen prachtvollen Chor zu vergrößern, wie dies
ja das ganze Mittelalter hindurch an vielen Kirchen, so in demselben Jahr¬
hundert an der Kathedrale zu Maus (1219) und etwa gleichzeitig mit dem
Kölner Bau an der Kathedrale zu Tournay mit glücklichem Erfolge geschah.

Der archivalischen Forschung schloß sich Schnaase an und wies zugleich
zuerst darauf hiu, daß innere, architektonische Gründe dagegen sprechen, daß der
.Grundplan des Ganzen einheitlich, von einem einzigen Meister entworfen worden
sei. Diese Grüude sind kurz folgende. Der Plan des Chores ist, wie unzwei¬
felhaft feststeht, eine genaue Nachahmung der Kathedrale vou Amiens. Der
übrige Theil des Domes bildet zwar mit dem Chor ein harmonisches Ganze,
aber in ganz anderer Weise als in Amiens und bei deu übrigen gleichzeitigen
französischen Kathedrale,?. Bei diesen ist der gerade Theil des Chores fünf-
schiffig, das Langhaus aber dessen ungeachtet nur dreischiffig; das Querschiff ist
deshalb nur um ein Joch über die Breite des fünfschiffiger Chores ausladend.
Im Kölner Dom dagegen ist die imposantere Anlage, ein fünfschisfiges Lang¬
haus, ausgeführt, und das Kreuzschiff ist mit zwei Arkade" ausladend. Dadurch
ist im Grundriß eine so deutliche Ausprägung der Kreuzform erzielt, wie wir
es bei keiner der französischen Kathedralen des 13. und 14. Jahrhunderts finden.
Der Plan des Kreuzschiffes und des Langhauses ist also ein eigenthümlicher
und zeigt eine großartige, aber etwas abstracte Consequenz, wodurch er mehr
dem Geiste des 14. Jahrhunderts, der Späthgothik, als der Frühzeit dieses
Stiles entspricht. Wenn der Plan des Kreuzschiffes und des Langhauses von
demselben Meister herrührte wie der des Chores, so müßte mau erwarten, daß
er sich auch bei der Anlage der erstere" den Grundsätzen der französischen
Schule angeschlossen hätte, da er beim Chöre seinem französischen Vorbilde so
genau gefolgt ist. Diese Argumentation Schnaases stimmt einerseits mit den
archivalische" Ergebnissen, würde aber auch andererseits mit der Annahme ver¬
einbar sein, daß Beschluß und Plan eines totalen Neubaues im Jahre 1247
existierten, daß aber beim Bau des Querschiffes und Langhauses uicht der ursprüng¬
liche, sondern ein neuer oder veränderter Plan benutzt wurde.

Gegen die Argumente der Archivforscher und Schnaases sind in den Jahren
^59 und 1860 Kugler und Springer aufgetreten und haben wieder die
ältere Ausicht vertheidigt, daß in den Jahren 124? und 1248 ein völliger


Grenzboten IV. 1880. 16

Vergrößerung. Die Urkunden aus den Meinorienstiftungen der Jahre 1274
bis 1319 berichten über die einzelnen Anordnungen der Stifter, und ans diesen
geht hervor, daß sie von eiueiu Abbrüche des alten Theiles des Gebäudes nichts
wußten. Darunter sind aber Mitglieder des Domkapitels, die über den Be¬
schluß unterrichtet sein mußten. Aus diesen und anderen Nachrichten folgerte
die archivalische Forschung, daß in der Zeit von 1248 —1318 nur beschlossen
war, die alte Domkirche durch eiuen prachtvollen Chor zu vergrößern, wie dies
ja das ganze Mittelalter hindurch an vielen Kirchen, so in demselben Jahr¬
hundert an der Kathedrale zu Maus (1219) und etwa gleichzeitig mit dem
Kölner Bau an der Kathedrale zu Tournay mit glücklichem Erfolge geschah.

Der archivalischen Forschung schloß sich Schnaase an und wies zugleich
zuerst darauf hiu, daß innere, architektonische Gründe dagegen sprechen, daß der
.Grundplan des Ganzen einheitlich, von einem einzigen Meister entworfen worden
sei. Diese Grüude sind kurz folgende. Der Plan des Chores ist, wie unzwei¬
felhaft feststeht, eine genaue Nachahmung der Kathedrale vou Amiens. Der
übrige Theil des Domes bildet zwar mit dem Chor ein harmonisches Ganze,
aber in ganz anderer Weise als in Amiens und bei deu übrigen gleichzeitigen
französischen Kathedrale,?. Bei diesen ist der gerade Theil des Chores fünf-
schiffig, das Langhaus aber dessen ungeachtet nur dreischiffig; das Querschiff ist
deshalb nur um ein Joch über die Breite des fünfschiffiger Chores ausladend.
Im Kölner Dom dagegen ist die imposantere Anlage, ein fünfschisfiges Lang¬
haus, ausgeführt, und das Kreuzschiff ist mit zwei Arkade» ausladend. Dadurch
ist im Grundriß eine so deutliche Ausprägung der Kreuzform erzielt, wie wir
es bei keiner der französischen Kathedralen des 13. und 14. Jahrhunderts finden.
Der Plan des Kreuzschiffes und des Langhauses ist also ein eigenthümlicher
und zeigt eine großartige, aber etwas abstracte Consequenz, wodurch er mehr
dem Geiste des 14. Jahrhunderts, der Späthgothik, als der Frühzeit dieses
Stiles entspricht. Wenn der Plan des Kreuzschiffes und des Langhauses von
demselben Meister herrührte wie der des Chores, so müßte mau erwarten, daß
er sich auch bei der Anlage der erstere» den Grundsätzen der französischen
Schule angeschlossen hätte, da er beim Chöre seinem französischen Vorbilde so
genau gefolgt ist. Diese Argumentation Schnaases stimmt einerseits mit den
archivalische» Ergebnissen, würde aber auch andererseits mit der Annahme ver¬
einbar sein, daß Beschluß und Plan eines totalen Neubaues im Jahre 1247
existierten, daß aber beim Bau des Querschiffes und Langhauses uicht der ursprüng¬
liche, sondern ein neuer oder veränderter Plan benutzt wurde.

Gegen die Argumente der Archivforscher und Schnaases sind in den Jahren
^59 und 1860 Kugler und Springer aufgetreten und haben wieder die
ältere Ausicht vertheidigt, daß in den Jahren 124? und 1248 ein völliger


Grenzboten IV. 1880. 16
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[0121] Vergrößerung. Die Urkunden aus den Meinorienstiftungen der Jahre 1274 bis 1319 berichten über die einzelnen Anordnungen der Stifter, und ans diesen geht hervor, daß sie von eiueiu Abbrüche des alten Theiles des Gebäudes nichts wußten. Darunter sind aber Mitglieder des Domkapitels, die über den Be¬ schluß unterrichtet sein mußten. Aus diesen und anderen Nachrichten folgerte die archivalische Forschung, daß in der Zeit von 1248 —1318 nur beschlossen war, die alte Domkirche durch eiuen prachtvollen Chor zu vergrößern, wie dies ja das ganze Mittelalter hindurch an vielen Kirchen, so in demselben Jahr¬ hundert an der Kathedrale zu Maus (1219) und etwa gleichzeitig mit dem Kölner Bau an der Kathedrale zu Tournay mit glücklichem Erfolge geschah. Der archivalischen Forschung schloß sich Schnaase an und wies zugleich zuerst darauf hiu, daß innere, architektonische Gründe dagegen sprechen, daß der .Grundplan des Ganzen einheitlich, von einem einzigen Meister entworfen worden sei. Diese Grüude sind kurz folgende. Der Plan des Chores ist, wie unzwei¬ felhaft feststeht, eine genaue Nachahmung der Kathedrale vou Amiens. Der übrige Theil des Domes bildet zwar mit dem Chor ein harmonisches Ganze, aber in ganz anderer Weise als in Amiens und bei deu übrigen gleichzeitigen französischen Kathedrale,?. Bei diesen ist der gerade Theil des Chores fünf- schiffig, das Langhaus aber dessen ungeachtet nur dreischiffig; das Querschiff ist deshalb nur um ein Joch über die Breite des fünfschiffiger Chores ausladend. Im Kölner Dom dagegen ist die imposantere Anlage, ein fünfschisfiges Lang¬ haus, ausgeführt, und das Kreuzschiff ist mit zwei Arkade» ausladend. Dadurch ist im Grundriß eine so deutliche Ausprägung der Kreuzform erzielt, wie wir es bei keiner der französischen Kathedralen des 13. und 14. Jahrhunderts finden. Der Plan des Kreuzschiffes und des Langhauses ist also ein eigenthümlicher und zeigt eine großartige, aber etwas abstracte Consequenz, wodurch er mehr dem Geiste des 14. Jahrhunderts, der Späthgothik, als der Frühzeit dieses Stiles entspricht. Wenn der Plan des Kreuzschiffes und des Langhauses von demselben Meister herrührte wie der des Chores, so müßte mau erwarten, daß er sich auch bei der Anlage der erstere» den Grundsätzen der französischen Schule angeschlossen hätte, da er beim Chöre seinem französischen Vorbilde so genau gefolgt ist. Diese Argumentation Schnaases stimmt einerseits mit den archivalische» Ergebnissen, würde aber auch andererseits mit der Annahme ver¬ einbar sein, daß Beschluß und Plan eines totalen Neubaues im Jahre 1247 existierten, daß aber beim Bau des Querschiffes und Langhauses uicht der ursprüng¬ liche, sondern ein neuer oder veränderter Plan benutzt wurde. Gegen die Argumente der Archivforscher und Schnaases sind in den Jahren ^59 und 1860 Kugler und Springer aufgetreten und haben wieder die ältere Ausicht vertheidigt, daß in den Jahren 124? und 1248 ein völliger Grenzboten IV. 1880. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/121>, abgerufen am 28.12.2024.