Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

der Erzbischof das Jahr zuvor gekrönt hatte, und andere Fürsten bei der Grund¬
steinlegung anwesend gewesen, wie Boissen'e berichtet und wie anch neuestens
noch angenommen wird, ist nicht erwiesen und ist auch unwahrscheinlich.

So war der Anfang gemacht zur Ausführung des schon seit längerer Zeit
bestehendes Beschlusses. Welcher Art aber war nun derselbe? Bezog sich dieser
Beschluß auf einen totalen Neubau und wurde in Folge desselben im Jahre
1247 der Grundplan des, ganzen Baues mit seinem fünfschiffiger Langhause
und deu bestehenden Dimensionen entworfen, oder beschloß man zunächst nur,
den alten Bau durch einen großen, prachtvollen, im neuen Stil erbauten Chor
zu vergrößern und wurde also im Jahre 1247 nur der Plan des Chores
entworfen, währeud Beschluß und Plan des übrigen Baues das Werk eiuer 70
Jahre späteren Zeit waren? Wir flehen hier vor einer Frage, die seit dein
Jahre 1846 Gegellstand lebhafter gelehrter Discussion geworden und die uoch
uicht endgiltig entschieden ist, weil wir keine Urkunden besitzen, die ganz unzwei¬
deutige Beweise lieferten.

Bis zum Jahre 1846 war man nach dem Vorgänge Boisserees, des
ersten wissenschaftlichen Erforschers des Domes, überzeugt, daß der Beschluß
des Jahres 1247 sich auf einen totalen Neubau bezogen habe und damals der
Grundplan entworfen worden sei, nach welchen! der ganze heutige Dom erbaut
ist. An dieser Ueberzeugung hielt Boisseree zeitlebens fest. Mau wußte damals
noch nichts von Gründen, die gegen diese zunächstliegende Ansicht sprachen.
Boissere betrachtete das ganze Bauwerk als ein so vollendet harmonisches, ein¬
heitliches Ganze, als eine so aus einem Guß geschaffene Composition, daß sie
seiner Ansicht nach nur mit einem Male, als die Schöpfung eines Meisters
entstanden sein konnte. Eine stückweise Entstehung des Planes, eine Mitwirkung
zweier oder mehrerer zeitlich getrennter Meister an demselben, erschien ihm un¬
möglich, er hielt eine solche Annahme für eine Herabwürdigung des unvergleich¬
lichen Werkes. Daß es aber mit dieser Einheitlichkeit doch etwas anders steht,
und daß sie die einheitliche Entstehung des Planes nicht gerade nothwendig
voraussetzt, werden wir weiter unten sehen. Aus der damals angenommenen
völligen Zerstörung des Domes durch den Brand vom Jahre 1248 schloß man
dann, daß jedenfalls nach demselben der totale Neubau zur Nothwendigkeit
wurde. Daß man darin im Irrthum war, und daß der Brand nur geringe
Dimensionen hatte, haben wir schon oben bemerkt. Es wurden aber auch gegen
die ganze Ansicht Boisserees von den Archivforschern Lacomblet und Harleß
(zuerst im Jahre 1846) gewichtige Gründe geltend gemacht. In Kürze sind es
die folgenden.

Die Bulle vom 21. Mai 1248 spricht nur voll einer prachtvollen Repa¬
ratur (i'SMi'in'o cmpiuiit), eine Inschrift von 1320 nur von dem Verdienste einer


der Erzbischof das Jahr zuvor gekrönt hatte, und andere Fürsten bei der Grund¬
steinlegung anwesend gewesen, wie Boissen'e berichtet und wie anch neuestens
noch angenommen wird, ist nicht erwiesen und ist auch unwahrscheinlich.

So war der Anfang gemacht zur Ausführung des schon seit längerer Zeit
bestehendes Beschlusses. Welcher Art aber war nun derselbe? Bezog sich dieser
Beschluß auf einen totalen Neubau und wurde in Folge desselben im Jahre
1247 der Grundplan des, ganzen Baues mit seinem fünfschiffiger Langhause
und deu bestehenden Dimensionen entworfen, oder beschloß man zunächst nur,
den alten Bau durch einen großen, prachtvollen, im neuen Stil erbauten Chor
zu vergrößern und wurde also im Jahre 1247 nur der Plan des Chores
entworfen, währeud Beschluß und Plan des übrigen Baues das Werk eiuer 70
Jahre späteren Zeit waren? Wir flehen hier vor einer Frage, die seit dein
Jahre 1846 Gegellstand lebhafter gelehrter Discussion geworden und die uoch
uicht endgiltig entschieden ist, weil wir keine Urkunden besitzen, die ganz unzwei¬
deutige Beweise lieferten.

Bis zum Jahre 1846 war man nach dem Vorgänge Boisserees, des
ersten wissenschaftlichen Erforschers des Domes, überzeugt, daß der Beschluß
des Jahres 1247 sich auf einen totalen Neubau bezogen habe und damals der
Grundplan entworfen worden sei, nach welchen! der ganze heutige Dom erbaut
ist. An dieser Ueberzeugung hielt Boisseree zeitlebens fest. Mau wußte damals
noch nichts von Gründen, die gegen diese zunächstliegende Ansicht sprachen.
Boissere betrachtete das ganze Bauwerk als ein so vollendet harmonisches, ein¬
heitliches Ganze, als eine so aus einem Guß geschaffene Composition, daß sie
seiner Ansicht nach nur mit einem Male, als die Schöpfung eines Meisters
entstanden sein konnte. Eine stückweise Entstehung des Planes, eine Mitwirkung
zweier oder mehrerer zeitlich getrennter Meister an demselben, erschien ihm un¬
möglich, er hielt eine solche Annahme für eine Herabwürdigung des unvergleich¬
lichen Werkes. Daß es aber mit dieser Einheitlichkeit doch etwas anders steht,
und daß sie die einheitliche Entstehung des Planes nicht gerade nothwendig
voraussetzt, werden wir weiter unten sehen. Aus der damals angenommenen
völligen Zerstörung des Domes durch den Brand vom Jahre 1248 schloß man
dann, daß jedenfalls nach demselben der totale Neubau zur Nothwendigkeit
wurde. Daß man darin im Irrthum war, und daß der Brand nur geringe
Dimensionen hatte, haben wir schon oben bemerkt. Es wurden aber auch gegen
die ganze Ansicht Boisserees von den Archivforschern Lacomblet und Harleß
(zuerst im Jahre 1846) gewichtige Gründe geltend gemacht. In Kürze sind es
die folgenden.

Die Bulle vom 21. Mai 1248 spricht nur voll einer prachtvollen Repa¬
ratur (i'SMi'in'o cmpiuiit), eine Inschrift von 1320 nur von dem Verdienste einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147767"/>
          <p xml:id="ID_334" prev="#ID_333"> der Erzbischof das Jahr zuvor gekrönt hatte, und andere Fürsten bei der Grund¬<lb/>
steinlegung anwesend gewesen, wie Boissen'e berichtet und wie anch neuestens<lb/>
noch angenommen wird, ist nicht erwiesen und ist auch unwahrscheinlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_335"> So war der Anfang gemacht zur Ausführung des schon seit längerer Zeit<lb/>
bestehendes Beschlusses. Welcher Art aber war nun derselbe? Bezog sich dieser<lb/>
Beschluß auf einen totalen Neubau und wurde in Folge desselben im Jahre<lb/>
1247 der Grundplan des, ganzen Baues mit seinem fünfschiffiger Langhause<lb/>
und deu bestehenden Dimensionen entworfen, oder beschloß man zunächst nur,<lb/>
den alten Bau durch einen großen, prachtvollen, im neuen Stil erbauten Chor<lb/>
zu vergrößern und wurde also im Jahre 1247 nur der Plan des Chores<lb/>
entworfen, währeud Beschluß und Plan des übrigen Baues das Werk eiuer 70<lb/>
Jahre späteren Zeit waren? Wir flehen hier vor einer Frage, die seit dein<lb/>
Jahre 1846 Gegellstand lebhafter gelehrter Discussion geworden und die uoch<lb/>
uicht endgiltig entschieden ist, weil wir keine Urkunden besitzen, die ganz unzwei¬<lb/>
deutige Beweise lieferten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_336"> Bis zum Jahre 1846 war man nach dem Vorgänge Boisserees, des<lb/>
ersten wissenschaftlichen Erforschers des Domes, überzeugt, daß der Beschluß<lb/>
des Jahres 1247 sich auf einen totalen Neubau bezogen habe und damals der<lb/>
Grundplan entworfen worden sei, nach welchen! der ganze heutige Dom erbaut<lb/>
ist. An dieser Ueberzeugung hielt Boisseree zeitlebens fest. Mau wußte damals<lb/>
noch nichts von Gründen, die gegen diese zunächstliegende Ansicht sprachen.<lb/>
Boissere betrachtete das ganze Bauwerk als ein so vollendet harmonisches, ein¬<lb/>
heitliches Ganze, als eine so aus einem Guß geschaffene Composition, daß sie<lb/>
seiner Ansicht nach nur mit einem Male, als die Schöpfung eines Meisters<lb/>
entstanden sein konnte. Eine stückweise Entstehung des Planes, eine Mitwirkung<lb/>
zweier oder mehrerer zeitlich getrennter Meister an demselben, erschien ihm un¬<lb/>
möglich, er hielt eine solche Annahme für eine Herabwürdigung des unvergleich¬<lb/>
lichen Werkes. Daß es aber mit dieser Einheitlichkeit doch etwas anders steht,<lb/>
und daß sie die einheitliche Entstehung des Planes nicht gerade nothwendig<lb/>
voraussetzt, werden wir weiter unten sehen. Aus der damals angenommenen<lb/>
völligen Zerstörung des Domes durch den Brand vom Jahre 1248 schloß man<lb/>
dann, daß jedenfalls nach demselben der totale Neubau zur Nothwendigkeit<lb/>
wurde. Daß man darin im Irrthum war, und daß der Brand nur geringe<lb/>
Dimensionen hatte, haben wir schon oben bemerkt. Es wurden aber auch gegen<lb/>
die ganze Ansicht Boisserees von den Archivforschern Lacomblet und Harleß<lb/>
(zuerst im Jahre 1846) gewichtige Gründe geltend gemacht. In Kürze sind es<lb/>
die folgenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_337" next="#ID_338"> Die Bulle vom 21. Mai 1248 spricht nur voll einer prachtvollen Repa¬<lb/>
ratur (i'SMi'in'o cmpiuiit), eine Inschrift von 1320 nur von dem Verdienste einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] der Erzbischof das Jahr zuvor gekrönt hatte, und andere Fürsten bei der Grund¬ steinlegung anwesend gewesen, wie Boissen'e berichtet und wie anch neuestens noch angenommen wird, ist nicht erwiesen und ist auch unwahrscheinlich. So war der Anfang gemacht zur Ausführung des schon seit längerer Zeit bestehendes Beschlusses. Welcher Art aber war nun derselbe? Bezog sich dieser Beschluß auf einen totalen Neubau und wurde in Folge desselben im Jahre 1247 der Grundplan des, ganzen Baues mit seinem fünfschiffiger Langhause und deu bestehenden Dimensionen entworfen, oder beschloß man zunächst nur, den alten Bau durch einen großen, prachtvollen, im neuen Stil erbauten Chor zu vergrößern und wurde also im Jahre 1247 nur der Plan des Chores entworfen, währeud Beschluß und Plan des übrigen Baues das Werk eiuer 70 Jahre späteren Zeit waren? Wir flehen hier vor einer Frage, die seit dein Jahre 1846 Gegellstand lebhafter gelehrter Discussion geworden und die uoch uicht endgiltig entschieden ist, weil wir keine Urkunden besitzen, die ganz unzwei¬ deutige Beweise lieferten. Bis zum Jahre 1846 war man nach dem Vorgänge Boisserees, des ersten wissenschaftlichen Erforschers des Domes, überzeugt, daß der Beschluß des Jahres 1247 sich auf einen totalen Neubau bezogen habe und damals der Grundplan entworfen worden sei, nach welchen! der ganze heutige Dom erbaut ist. An dieser Ueberzeugung hielt Boisseree zeitlebens fest. Mau wußte damals noch nichts von Gründen, die gegen diese zunächstliegende Ansicht sprachen. Boissere betrachtete das ganze Bauwerk als ein so vollendet harmonisches, ein¬ heitliches Ganze, als eine so aus einem Guß geschaffene Composition, daß sie seiner Ansicht nach nur mit einem Male, als die Schöpfung eines Meisters entstanden sein konnte. Eine stückweise Entstehung des Planes, eine Mitwirkung zweier oder mehrerer zeitlich getrennter Meister an demselben, erschien ihm un¬ möglich, er hielt eine solche Annahme für eine Herabwürdigung des unvergleich¬ lichen Werkes. Daß es aber mit dieser Einheitlichkeit doch etwas anders steht, und daß sie die einheitliche Entstehung des Planes nicht gerade nothwendig voraussetzt, werden wir weiter unten sehen. Aus der damals angenommenen völligen Zerstörung des Domes durch den Brand vom Jahre 1248 schloß man dann, daß jedenfalls nach demselben der totale Neubau zur Nothwendigkeit wurde. Daß man darin im Irrthum war, und daß der Brand nur geringe Dimensionen hatte, haben wir schon oben bemerkt. Es wurden aber auch gegen die ganze Ansicht Boisserees von den Archivforschern Lacomblet und Harleß (zuerst im Jahre 1846) gewichtige Gründe geltend gemacht. In Kürze sind es die folgenden. Die Bulle vom 21. Mai 1248 spricht nur voll einer prachtvollen Repa¬ ratur (i'SMi'in'o cmpiuiit), eine Inschrift von 1320 nur von dem Verdienste einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/120>, abgerufen am 28.12.2024.