Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.angethan und zugemuthet, was ihm in einem Staate, wo Gewissensfreiheit und angethan und zugemuthet, was ihm in einem Staate, wo Gewissensfreiheit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147756"/> <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309" next="#ID_311"> angethan und zugemuthet, was ihm in einem Staate, wo Gewissensfreiheit und<lb/> Respect vor der persönlichen Ueberzeugung ein unantastbarer Rechtsgrundsatz ist,<lb/> nicht angethan und zugemuthet werden sollte: es wird ihm eben nicht gegeben,<lb/> was ihm seinem ihm eigenthümlichen religiösen Bekenntnisse nach gehört, viel¬<lb/> mehr wird ihm eben dies genommen, nachdem es doch eine vielhundertjährige<lb/> Geschichte hindurch ihm zugehört hat und in unbestrittener rechtlicher Uebung<lb/> gewesen ist. Dagegen giebt man dem Judenthum, was es bisher nicht gehabt<lb/> hat, nämlich nicht bloß eine formelle Gleichstellung mit den Christen vor dein<lb/> Gesetze überhaupt, sondern auch einen Eid, der genau seiner religiösen Ueber¬<lb/> zeugung entspricht, ja man zwingt sogar den Christen, sich diesen ihm nicht ent¬<lb/> sprechenden Eid zugleich mit den Juden und zu Gunsten des Judentums ge¬<lb/> fallen zu lassen. Gewiß eine eigenthümliche Art, eine Gleichberechtigung vor<lb/> dem Gesetze herzustellen, wenn man nur die Glaubeusgestalt des einen als be¬<lb/> rechtigt vor dem Gesetze anerkannt und den anderen zwingt, sich dieser ihm<lb/> fremdartigen, ja von ihm verworfenen Glaubensgestalt gemäß zu verhalten.<lb/> Wirkliche Gleichheit könnte hier doch in der That nur dadurch hergestellt werdeu,<lb/> daß man eben jedem das Seinige gäbe, d. h. daß man jeden den Eid nach<lb/> einer solchen Formel schwören ließe, die ein Ausdruck seiner anerkannten und<lb/> ihn: vom Staate gewährleisteten Ueberzeugung wäre, und das um so mehr, als<lb/> sich bei Ableistung des Eides der Staat ja selbst auf das religiöse Gebiet be¬<lb/> giebt und von da aus sich eine Hilfe holt, weil er mit den ihm eigenthümlichen<lb/> Mitteln nicht ausreicht, und als auch noch weiter hinzugefügt werden darf, daß<lb/> die religiösen Ueberzeugungen, um die sichs hier handelt, doch in Wahrheit nicht<lb/> etwas sind, das man nicht zu respectieren brauchte, nicht etwas bloß Indivi¬<lb/> duelles und Willkürliches und das von der Persönlichkeit des Menschen hinweg¬<lb/> gethan werden könnte, sondern im Gegentheil der innerliche Lebensgrund, auf<lb/> welchem der Mensch mit seiner ganzen Persönlichkeit steht und von dem man<lb/> ihn nicht ablösen darf, wenn man namentlich das von ihm erlangen will, wozu<lb/> ihn der Eid antreiben soll, Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Wenn sich irgendwo<lb/> zeigt, daß mit einer bloß äußerlichen Gleichförmigkeit noch lange nicht eine wirk¬<lb/> liche Gleichheit hergestellt werden kann, daß im Gegentheil durch sie gar leicht<lb/> nichts anderes als die allerpeinlichste Ungleichheit in der persönlichen Behand¬<lb/> lung hervorgebracht wird, daß man aber, um zu einer wirklichen Gleichheit zu<lb/> gelangen, auch die persönlichen Unterschiede beachten muß, welche nun einmal<lb/> unter den Menschen vorhanden sind, so ist es hier der Fall, wo sichs um die<lb/> Formulierung des Eides handelt als einer Angelegenheit, bei der doch alles in<lb/> den persönlichen Lebensmittelpunkt des Einzelnen, in sein Gewissen, zurückgeht,<lb/> und ganz bestimmt muß hier die Forderung aufgestellt werden: Soll über¬<lb/> haupt noch ein Eid als letztes Mittel, die Wahrheit an den Tag zu bringen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
angethan und zugemuthet, was ihm in einem Staate, wo Gewissensfreiheit und
Respect vor der persönlichen Ueberzeugung ein unantastbarer Rechtsgrundsatz ist,
nicht angethan und zugemuthet werden sollte: es wird ihm eben nicht gegeben,
was ihm seinem ihm eigenthümlichen religiösen Bekenntnisse nach gehört, viel¬
mehr wird ihm eben dies genommen, nachdem es doch eine vielhundertjährige
Geschichte hindurch ihm zugehört hat und in unbestrittener rechtlicher Uebung
gewesen ist. Dagegen giebt man dem Judenthum, was es bisher nicht gehabt
hat, nämlich nicht bloß eine formelle Gleichstellung mit den Christen vor dein
Gesetze überhaupt, sondern auch einen Eid, der genau seiner religiösen Ueber¬
zeugung entspricht, ja man zwingt sogar den Christen, sich diesen ihm nicht ent¬
sprechenden Eid zugleich mit den Juden und zu Gunsten des Judentums ge¬
fallen zu lassen. Gewiß eine eigenthümliche Art, eine Gleichberechtigung vor
dem Gesetze herzustellen, wenn man nur die Glaubeusgestalt des einen als be¬
rechtigt vor dem Gesetze anerkannt und den anderen zwingt, sich dieser ihm
fremdartigen, ja von ihm verworfenen Glaubensgestalt gemäß zu verhalten.
Wirkliche Gleichheit könnte hier doch in der That nur dadurch hergestellt werdeu,
daß man eben jedem das Seinige gäbe, d. h. daß man jeden den Eid nach
einer solchen Formel schwören ließe, die ein Ausdruck seiner anerkannten und
ihn: vom Staate gewährleisteten Ueberzeugung wäre, und das um so mehr, als
sich bei Ableistung des Eides der Staat ja selbst auf das religiöse Gebiet be¬
giebt und von da aus sich eine Hilfe holt, weil er mit den ihm eigenthümlichen
Mitteln nicht ausreicht, und als auch noch weiter hinzugefügt werden darf, daß
die religiösen Ueberzeugungen, um die sichs hier handelt, doch in Wahrheit nicht
etwas sind, das man nicht zu respectieren brauchte, nicht etwas bloß Indivi¬
duelles und Willkürliches und das von der Persönlichkeit des Menschen hinweg¬
gethan werden könnte, sondern im Gegentheil der innerliche Lebensgrund, auf
welchem der Mensch mit seiner ganzen Persönlichkeit steht und von dem man
ihn nicht ablösen darf, wenn man namentlich das von ihm erlangen will, wozu
ihn der Eid antreiben soll, Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Wenn sich irgendwo
zeigt, daß mit einer bloß äußerlichen Gleichförmigkeit noch lange nicht eine wirk¬
liche Gleichheit hergestellt werden kann, daß im Gegentheil durch sie gar leicht
nichts anderes als die allerpeinlichste Ungleichheit in der persönlichen Behand¬
lung hervorgebracht wird, daß man aber, um zu einer wirklichen Gleichheit zu
gelangen, auch die persönlichen Unterschiede beachten muß, welche nun einmal
unter den Menschen vorhanden sind, so ist es hier der Fall, wo sichs um die
Formulierung des Eides handelt als einer Angelegenheit, bei der doch alles in
den persönlichen Lebensmittelpunkt des Einzelnen, in sein Gewissen, zurückgeht,
und ganz bestimmt muß hier die Forderung aufgestellt werden: Soll über¬
haupt noch ein Eid als letztes Mittel, die Wahrheit an den Tag zu bringen,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |