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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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geschworen werden, dann muß derselbe auch dem religiösen Bewußtsein des
Schwörenden homogen sein.

Dazu kommt aber noch ein anderes Bedenken. Die beabsichtigte Gleichheit
vor dem Gesetze durch eine bis auf das dürftigste Maß von Unbestimmtheit
herabgedrttckt Eidesformel herzustellen ist auch in sofern eine Unmöglichkeit, als,
wenn man auch sagen wollte, es stehe dem Christen ja doch frei, in Gedanken
den ganzen Gehalt seines religiösen Bewußtseins in die dürftige Eidesformel
hineinzulegen, es doch auch Leute giebt, die selbst unter dieser Bedingung nicht
im Stande sind, die Eidesformel sich anzueignen, ja, die überhaupt keinen Eid
zu leisten vermögen, auch wenn seine Formel noch so farblos wäre, ohne ihrem
religiösen Bewußtsein Gewalt anzuthun, ohne zu Verleugneru ihrer, wenn auch
immerhin objectiv irrthümlichen, so doch subjectiv wahrhaftigen Ueberzeugung
zu werden. Erwähnt seien da zuerst jene christlichen Seelen, deren feste und
gewiß doch sehr ehrenwerthe Ueberzeugung es ist, daß der Christ keinen Eid
leisten dürfe, daß die Ableistung eines Eides, in welcher Form es auch immer
sei, von dem Stifter ihrer Religion ausdrücklich verboten sei, daß einen Eid
zu schwören also nichts anderes sei als ein offenbarer Ungehorsam gegen
Gottes Gebot und deßhalb auch durchaus gegen ihr in Gottes Wort gebundenes
Gewissen. Die so denken, sind freilich nicht fehr zahlreich in Deutschland, aber
sie sind doch vorhanden, und soll ihnen nun Gewalt angethan werden, auch wenn
wir Anderen vielleicht meinen, daß sie im Irrthum seien? Man könnte ihnen
allerdings entgegnen: Wenn die Quäker und Mennoniten bei ihren Eides¬
verweigerungen sich auf Matthäus S, 33 fg. berufen, so sind sie in einem Irr¬
thum der Auslegung befangen, und es ist ja anch gewiß, daß die christliche
Kirche in ihren großen Hauptdenvminationen diese Worte ihres Stifters anders
ausgelegt hat und noch auslegt, als jene kleinen, oft mit viel Ungunst ange¬
sehenen Secten. Allein abgesehen davon, daß die richtige Auslegung dieser
Worte doch im Grunde immer noch zweifelhaft ist, wenigstens noch immer keine
Einstimmigkeit über dieselbe hat erzielt werden können, ja daß jene den Eid
verwerfenden Secten sogar den Wortlaut der angezogenen Stelle der Bergrede
für sich haben, so ist doch eins klar und unwiderleglich, daß die Quäker und
Mennoniten ihre strenge Auslegung dieser Worte Christi nicht etwa aus Leicht¬
sinn oder gar aus Trotz gegen die Anordnungen der Obrigkeit, daß sie dieselbe
im Gegentheil aus sehr ernster und gewissenhafter Ueberzeugung festhalten, daß
es eben die an den Wortlaut sich heftende, wenn auch irrthümliche Auslegung
ist, an die sie in ihrem Gewissen sich gebunden fühlen, und wie dürfte man da
von ihnen verlangen, überhaupt einen Eid nach irgend einer Formel auszu-
schwören? Wie dürfte es der Staat, der doch gar nicht berufen ist, Formeln
und Normen für die Bestätigung des religiöse" Bewußtseins aufzustellen? Müßte


geschworen werden, dann muß derselbe auch dem religiösen Bewußtsein des
Schwörenden homogen sein.

Dazu kommt aber noch ein anderes Bedenken. Die beabsichtigte Gleichheit
vor dem Gesetze durch eine bis auf das dürftigste Maß von Unbestimmtheit
herabgedrttckt Eidesformel herzustellen ist auch in sofern eine Unmöglichkeit, als,
wenn man auch sagen wollte, es stehe dem Christen ja doch frei, in Gedanken
den ganzen Gehalt seines religiösen Bewußtseins in die dürftige Eidesformel
hineinzulegen, es doch auch Leute giebt, die selbst unter dieser Bedingung nicht
im Stande sind, die Eidesformel sich anzueignen, ja, die überhaupt keinen Eid
zu leisten vermögen, auch wenn seine Formel noch so farblos wäre, ohne ihrem
religiösen Bewußtsein Gewalt anzuthun, ohne zu Verleugneru ihrer, wenn auch
immerhin objectiv irrthümlichen, so doch subjectiv wahrhaftigen Ueberzeugung
zu werden. Erwähnt seien da zuerst jene christlichen Seelen, deren feste und
gewiß doch sehr ehrenwerthe Ueberzeugung es ist, daß der Christ keinen Eid
leisten dürfe, daß die Ableistung eines Eides, in welcher Form es auch immer
sei, von dem Stifter ihrer Religion ausdrücklich verboten sei, daß einen Eid
zu schwören also nichts anderes sei als ein offenbarer Ungehorsam gegen
Gottes Gebot und deßhalb auch durchaus gegen ihr in Gottes Wort gebundenes
Gewissen. Die so denken, sind freilich nicht fehr zahlreich in Deutschland, aber
sie sind doch vorhanden, und soll ihnen nun Gewalt angethan werden, auch wenn
wir Anderen vielleicht meinen, daß sie im Irrthum seien? Man könnte ihnen
allerdings entgegnen: Wenn die Quäker und Mennoniten bei ihren Eides¬
verweigerungen sich auf Matthäus S, 33 fg. berufen, so sind sie in einem Irr¬
thum der Auslegung befangen, und es ist ja anch gewiß, daß die christliche
Kirche in ihren großen Hauptdenvminationen diese Worte ihres Stifters anders
ausgelegt hat und noch auslegt, als jene kleinen, oft mit viel Ungunst ange¬
sehenen Secten. Allein abgesehen davon, daß die richtige Auslegung dieser
Worte doch im Grunde immer noch zweifelhaft ist, wenigstens noch immer keine
Einstimmigkeit über dieselbe hat erzielt werden können, ja daß jene den Eid
verwerfenden Secten sogar den Wortlaut der angezogenen Stelle der Bergrede
für sich haben, so ist doch eins klar und unwiderleglich, daß die Quäker und
Mennoniten ihre strenge Auslegung dieser Worte Christi nicht etwa aus Leicht¬
sinn oder gar aus Trotz gegen die Anordnungen der Obrigkeit, daß sie dieselbe
im Gegentheil aus sehr ernster und gewissenhafter Ueberzeugung festhalten, daß
es eben die an den Wortlaut sich heftende, wenn auch irrthümliche Auslegung
ist, an die sie in ihrem Gewissen sich gebunden fühlen, und wie dürfte man da
von ihnen verlangen, überhaupt einen Eid nach irgend einer Formel auszu-
schwören? Wie dürfte es der Staat, der doch gar nicht berufen ist, Formeln
und Normen für die Bestätigung des religiöse» Bewußtseins aufzustellen? Müßte


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[0110] geschworen werden, dann muß derselbe auch dem religiösen Bewußtsein des Schwörenden homogen sein. Dazu kommt aber noch ein anderes Bedenken. Die beabsichtigte Gleichheit vor dem Gesetze durch eine bis auf das dürftigste Maß von Unbestimmtheit herabgedrttckt Eidesformel herzustellen ist auch in sofern eine Unmöglichkeit, als, wenn man auch sagen wollte, es stehe dem Christen ja doch frei, in Gedanken den ganzen Gehalt seines religiösen Bewußtseins in die dürftige Eidesformel hineinzulegen, es doch auch Leute giebt, die selbst unter dieser Bedingung nicht im Stande sind, die Eidesformel sich anzueignen, ja, die überhaupt keinen Eid zu leisten vermögen, auch wenn seine Formel noch so farblos wäre, ohne ihrem religiösen Bewußtsein Gewalt anzuthun, ohne zu Verleugneru ihrer, wenn auch immerhin objectiv irrthümlichen, so doch subjectiv wahrhaftigen Ueberzeugung zu werden. Erwähnt seien da zuerst jene christlichen Seelen, deren feste und gewiß doch sehr ehrenwerthe Ueberzeugung es ist, daß der Christ keinen Eid leisten dürfe, daß die Ableistung eines Eides, in welcher Form es auch immer sei, von dem Stifter ihrer Religion ausdrücklich verboten sei, daß einen Eid zu schwören also nichts anderes sei als ein offenbarer Ungehorsam gegen Gottes Gebot und deßhalb auch durchaus gegen ihr in Gottes Wort gebundenes Gewissen. Die so denken, sind freilich nicht fehr zahlreich in Deutschland, aber sie sind doch vorhanden, und soll ihnen nun Gewalt angethan werden, auch wenn wir Anderen vielleicht meinen, daß sie im Irrthum seien? Man könnte ihnen allerdings entgegnen: Wenn die Quäker und Mennoniten bei ihren Eides¬ verweigerungen sich auf Matthäus S, 33 fg. berufen, so sind sie in einem Irr¬ thum der Auslegung befangen, und es ist ja anch gewiß, daß die christliche Kirche in ihren großen Hauptdenvminationen diese Worte ihres Stifters anders ausgelegt hat und noch auslegt, als jene kleinen, oft mit viel Ungunst ange¬ sehenen Secten. Allein abgesehen davon, daß die richtige Auslegung dieser Worte doch im Grunde immer noch zweifelhaft ist, wenigstens noch immer keine Einstimmigkeit über dieselbe hat erzielt werden können, ja daß jene den Eid verwerfenden Secten sogar den Wortlaut der angezogenen Stelle der Bergrede für sich haben, so ist doch eins klar und unwiderleglich, daß die Quäker und Mennoniten ihre strenge Auslegung dieser Worte Christi nicht etwa aus Leicht¬ sinn oder gar aus Trotz gegen die Anordnungen der Obrigkeit, daß sie dieselbe im Gegentheil aus sehr ernster und gewissenhafter Ueberzeugung festhalten, daß es eben die an den Wortlaut sich heftende, wenn auch irrthümliche Auslegung ist, an die sie in ihrem Gewissen sich gebunden fühlen, und wie dürfte man da von ihnen verlangen, überhaupt einen Eid nach irgend einer Formel auszu- schwören? Wie dürfte es der Staat, der doch gar nicht berufen ist, Formeln und Normen für die Bestätigung des religiöse» Bewußtseins aufzustellen? Müßte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/110>, abgerufen am 28.12.2024.