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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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diese Weise entgegengekommen ist, um sie auch hinsichtlich der Eidesleistung mit
ihren "christlichen Mitbürgern" gleichzustellen. Genau genommen darf man so¬
gar sagen, durch die neue Eidesformel ist der Eid auf das Niveau des Juden-
thums gestellt worden, auf das Niveau jeues abstracten Deismus, der dem
modernen Judenthum vor allen Dingen charakteristisch ist, wenn man nicht gar
sagen will, die neue Eidesformel sei so farblos und in ihrer Fassung so un¬
bestimmt, daß selbst diejenigen sich noch zu ihr verstehen können, sür welche
"Gott" nichts anderes mehr ist, als nur noch ein Name, an dessen Erwähnung
für sie sich keine bestimmte Vorstellung mehr knüpft, dem sie aber im Stande
sind, eben seiner Unbestimmtheit wegen, irgend einen ihnen zusagenden Inhalt
und, Werth zu verleihen. Jedenfalls scheint diesen Eid jeder leisten zu können,
der auf dem Niveau eines gewissen religiösen Durchschnittsbewußtseins steht,
und eine formelle Gleichheit vor dem Gesetze wäre denn damit auch auf diesem
Gebiete öffentlichen Lebens hergestellt.

Ob aber auch eine materielle Gleichheit, die doch allein darin gefunden
werden könnte, daß man vor dem Gesetze und von Seiten desselben jeden in
sofern gleichbehandelte, daß man ihn behandelte nach Maßgabe seiner anerkann¬
ten Religionsüberzeugung und ihm verstattete, bei einem religiösen Acte, wie
es der Eid doch in eminentein Sinne ist, seine Ueberzeugung auch in der ihr
angemessenen Form zum vollen Ausdrucke zu bringen? Diese Frage muß
aufs bestimmteste verneint werden, und ganz besonders sind es die Christen,
die bei der Formulierung des Eides, wie er jetzt geschworen werden soll, zu
kurz gekommen und wirklich im Vergleich mit den Juden sehr ungleich behan¬
delt worden sind. Wir können uns ja denken, daß das heutige Judenthum ein
Interesse daran hat, den alten "Judeneid" mit seinen Absonderlichkeiten abge¬
stellt zu sehen, um auf diese Weise eine Gleichstellung mit der christlich-deutschen
Bevölkerung zu erlangen, unter der sie leben, zumal da es ihnen darum zu
thun sein muß, den Unterschied zwischen ihnen und ihren "christlichen Mitbür¬
gern", den sie sonst aufs bestimmteste festhalten, vor dem Gesetze des Staates
in den Hintergrund treten zu lassen. Aber die Christen? Sollen sie sich ge¬
fallen lassen müssen, ihre christlich correcte Eidesformel so umgestaltet zu sehen,
daß alles eigentlich christliche daraus hinweg gethan wird, nur damit auch die
Juden im Stande seien, die gleiche Eidesformel mit ihnen zu gebrauchen? Durch
dies Herabdrücken des Eides auf das Niveau eines religiösen Bewußtseins, das
entschieden nicht das christliche ist, durch dies Hinwegthum alles dessen aus der
Eidesleistung, wodurch sich das Christenthum vom Judenthum unterscheidet und
wodurch es dem Christen bisher verstattet war, da wo der Staat ihn in sein
christliches Glaubeusbewußtsein verwies, auch dies Bewußtsein zu einem ihm
selbst angemessenen Ausdrucke zu bringen, wird dem Christen in der That etwas


diese Weise entgegengekommen ist, um sie auch hinsichtlich der Eidesleistung mit
ihren „christlichen Mitbürgern" gleichzustellen. Genau genommen darf man so¬
gar sagen, durch die neue Eidesformel ist der Eid auf das Niveau des Juden-
thums gestellt worden, auf das Niveau jeues abstracten Deismus, der dem
modernen Judenthum vor allen Dingen charakteristisch ist, wenn man nicht gar
sagen will, die neue Eidesformel sei so farblos und in ihrer Fassung so un¬
bestimmt, daß selbst diejenigen sich noch zu ihr verstehen können, sür welche
„Gott" nichts anderes mehr ist, als nur noch ein Name, an dessen Erwähnung
für sie sich keine bestimmte Vorstellung mehr knüpft, dem sie aber im Stande
sind, eben seiner Unbestimmtheit wegen, irgend einen ihnen zusagenden Inhalt
und, Werth zu verleihen. Jedenfalls scheint diesen Eid jeder leisten zu können,
der auf dem Niveau eines gewissen religiösen Durchschnittsbewußtseins steht,
und eine formelle Gleichheit vor dem Gesetze wäre denn damit auch auf diesem
Gebiete öffentlichen Lebens hergestellt.

Ob aber auch eine materielle Gleichheit, die doch allein darin gefunden
werden könnte, daß man vor dem Gesetze und von Seiten desselben jeden in
sofern gleichbehandelte, daß man ihn behandelte nach Maßgabe seiner anerkann¬
ten Religionsüberzeugung und ihm verstattete, bei einem religiösen Acte, wie
es der Eid doch in eminentein Sinne ist, seine Ueberzeugung auch in der ihr
angemessenen Form zum vollen Ausdrucke zu bringen? Diese Frage muß
aufs bestimmteste verneint werden, und ganz besonders sind es die Christen,
die bei der Formulierung des Eides, wie er jetzt geschworen werden soll, zu
kurz gekommen und wirklich im Vergleich mit den Juden sehr ungleich behan¬
delt worden sind. Wir können uns ja denken, daß das heutige Judenthum ein
Interesse daran hat, den alten „Judeneid" mit seinen Absonderlichkeiten abge¬
stellt zu sehen, um auf diese Weise eine Gleichstellung mit der christlich-deutschen
Bevölkerung zu erlangen, unter der sie leben, zumal da es ihnen darum zu
thun sein muß, den Unterschied zwischen ihnen und ihren „christlichen Mitbür¬
gern", den sie sonst aufs bestimmteste festhalten, vor dem Gesetze des Staates
in den Hintergrund treten zu lassen. Aber die Christen? Sollen sie sich ge¬
fallen lassen müssen, ihre christlich correcte Eidesformel so umgestaltet zu sehen,
daß alles eigentlich christliche daraus hinweg gethan wird, nur damit auch die
Juden im Stande seien, die gleiche Eidesformel mit ihnen zu gebrauchen? Durch
dies Herabdrücken des Eides auf das Niveau eines religiösen Bewußtseins, das
entschieden nicht das christliche ist, durch dies Hinwegthum alles dessen aus der
Eidesleistung, wodurch sich das Christenthum vom Judenthum unterscheidet und
wodurch es dem Christen bisher verstattet war, da wo der Staat ihn in sein
christliches Glaubeusbewußtsein verwies, auch dies Bewußtsein zu einem ihm
selbst angemessenen Ausdrucke zu bringen, wird dem Christen in der That etwas


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[0108] diese Weise entgegengekommen ist, um sie auch hinsichtlich der Eidesleistung mit ihren „christlichen Mitbürgern" gleichzustellen. Genau genommen darf man so¬ gar sagen, durch die neue Eidesformel ist der Eid auf das Niveau des Juden- thums gestellt worden, auf das Niveau jeues abstracten Deismus, der dem modernen Judenthum vor allen Dingen charakteristisch ist, wenn man nicht gar sagen will, die neue Eidesformel sei so farblos und in ihrer Fassung so un¬ bestimmt, daß selbst diejenigen sich noch zu ihr verstehen können, sür welche „Gott" nichts anderes mehr ist, als nur noch ein Name, an dessen Erwähnung für sie sich keine bestimmte Vorstellung mehr knüpft, dem sie aber im Stande sind, eben seiner Unbestimmtheit wegen, irgend einen ihnen zusagenden Inhalt und, Werth zu verleihen. Jedenfalls scheint diesen Eid jeder leisten zu können, der auf dem Niveau eines gewissen religiösen Durchschnittsbewußtseins steht, und eine formelle Gleichheit vor dem Gesetze wäre denn damit auch auf diesem Gebiete öffentlichen Lebens hergestellt. Ob aber auch eine materielle Gleichheit, die doch allein darin gefunden werden könnte, daß man vor dem Gesetze und von Seiten desselben jeden in sofern gleichbehandelte, daß man ihn behandelte nach Maßgabe seiner anerkann¬ ten Religionsüberzeugung und ihm verstattete, bei einem religiösen Acte, wie es der Eid doch in eminentein Sinne ist, seine Ueberzeugung auch in der ihr angemessenen Form zum vollen Ausdrucke zu bringen? Diese Frage muß aufs bestimmteste verneint werden, und ganz besonders sind es die Christen, die bei der Formulierung des Eides, wie er jetzt geschworen werden soll, zu kurz gekommen und wirklich im Vergleich mit den Juden sehr ungleich behan¬ delt worden sind. Wir können uns ja denken, daß das heutige Judenthum ein Interesse daran hat, den alten „Judeneid" mit seinen Absonderlichkeiten abge¬ stellt zu sehen, um auf diese Weise eine Gleichstellung mit der christlich-deutschen Bevölkerung zu erlangen, unter der sie leben, zumal da es ihnen darum zu thun sein muß, den Unterschied zwischen ihnen und ihren „christlichen Mitbür¬ gern", den sie sonst aufs bestimmteste festhalten, vor dem Gesetze des Staates in den Hintergrund treten zu lassen. Aber die Christen? Sollen sie sich ge¬ fallen lassen müssen, ihre christlich correcte Eidesformel so umgestaltet zu sehen, daß alles eigentlich christliche daraus hinweg gethan wird, nur damit auch die Juden im Stande seien, die gleiche Eidesformel mit ihnen zu gebrauchen? Durch dies Herabdrücken des Eides auf das Niveau eines religiösen Bewußtseins, das entschieden nicht das christliche ist, durch dies Hinwegthum alles dessen aus der Eidesleistung, wodurch sich das Christenthum vom Judenthum unterscheidet und wodurch es dem Christen bisher verstattet war, da wo der Staat ihn in sein christliches Glaubeusbewußtsein verwies, auch dies Bewußtsein zu einem ihm selbst angemessenen Ausdrucke zu bringen, wird dem Christen in der That etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/108>, abgerufen am 28.12.2024.