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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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dem Künstler zugleich Gelegenheit, seine Beherrschung der Zeichnung zur Gel¬
tung zu bringen, namentlich beim Leichnam, der in voller Vorderansicht erscheint
und dessen zurückgebogenes Antlitz meisterhaft verkürzt ist. Muß auch einge¬
räumt werden, daß der innere Gehalt der Scene zu ergreifenden Ausdruck ge¬
langt, der auch hier durch eine mit der Gruppe harmouirende, von dunklem
Gewölk überschattete Landschaft gesteigert wird, so ist doch andererseits nicht zu
verkennen, daß hier bereits auf einen theatralischen Effect hingearbeitet ist.

Etwas abweichend gestaltete die Gruppe Annibale Caracci in einem
Bilde des Palazzo Doria zu Rom*). Der Christusleichnam liegt ebenfalls am
Boden, sein Haupt ruht auf dem rechten Knie der Mutter, von dieser, die ihn
trauernd anblickt, mit der Rechten unterstützt, während ihre geöffnete Linke, die
sie vor sich emporhebt, das stumme Selbstgespräch in ihrem Innern andeutet.
Der rechte Arm des Todten hängt schlaff herab, der linke wird von einem
kleinen Engel gehalten. Diese Composition, vou der sich eine Wiederholung
vou der Hand desselben Künstlers im Museum von Neapel**), eine andere von
Passignano in Galleria Rospigliosi zu Rom befindet, wurde uicht allem für
die Malerei, sondern auch für die Plastik zum Theil bestimmend, wie z. B. ein
anonymes, übrigens mittelmäßig gearbeitetes Relief in S. Croce in Gernsa-
lemme zeigt; unter den Malern, die sie adoptirten, sind einzelne in der Akademie
zu Bologna vertretene, wie Lucio Massari (1596 --1635) f) und Ercole
Procaccini (1596--1676)ff) Lelio Orsi (1511 -- 1588) in der Galerie von
Modena (Ur. 402) n. a. zu nennen, und bis in die neuere und neueste Zeit
herein findet sie sich beispielsweise von Tiepolofff) und Gagliardi^f) mit
geringen Abweichungen verwendet.

Doch auch der Auffassung Correggios hat sich Annibale Caracci ange¬
schlossen in einer schon von Jul. Meyer **f) angeführten Composition der Pina¬
kothek zu Parma, ferner in einem Gemälde, das, in Pariser Privatbesitz be¬
findlich, uns nur aus einem Stich von Roullet bekannt ist; hier liegt das
Haupt des todten Christus der ohnmächtige" Madonna im Schoße, die ihrer¬
seits von einer knieenden Gestalt gestützt wird, während von der anderen Seite
noch zwei Gestalten zur Hilfeleistung herbeieilen.

Bei bloßen Variationen der von den Caracci gegebenen Vorbilder blieb aber
die Bologneser Schule nicht stehen. Der bedeutendste Vertreter dieser eklektischen
Richtung, Guido Reni war es, der in seiner berühmten Madonna della








*) srg,nah Ur. 13. -- *") 7. Saal Ur. 1.
***) Schüler des Cigoli, eigen". Dom. Cresli, 1SSS-1613.
f) 3. Saal Ur. 111. -- ff) Vorraum Ur. 234.
fff) Venedig, Museum Correr Ur. 311.
"""f) Correggio, S. 306.
*f) In der Kirche S. Marco zu Rom, 4. Kapelle rechts. -

dem Künstler zugleich Gelegenheit, seine Beherrschung der Zeichnung zur Gel¬
tung zu bringen, namentlich beim Leichnam, der in voller Vorderansicht erscheint
und dessen zurückgebogenes Antlitz meisterhaft verkürzt ist. Muß auch einge¬
räumt werden, daß der innere Gehalt der Scene zu ergreifenden Ausdruck ge¬
langt, der auch hier durch eine mit der Gruppe harmouirende, von dunklem
Gewölk überschattete Landschaft gesteigert wird, so ist doch andererseits nicht zu
verkennen, daß hier bereits auf einen theatralischen Effect hingearbeitet ist.

Etwas abweichend gestaltete die Gruppe Annibale Caracci in einem
Bilde des Palazzo Doria zu Rom*). Der Christusleichnam liegt ebenfalls am
Boden, sein Haupt ruht auf dem rechten Knie der Mutter, von dieser, die ihn
trauernd anblickt, mit der Rechten unterstützt, während ihre geöffnete Linke, die
sie vor sich emporhebt, das stumme Selbstgespräch in ihrem Innern andeutet.
Der rechte Arm des Todten hängt schlaff herab, der linke wird von einem
kleinen Engel gehalten. Diese Composition, vou der sich eine Wiederholung
vou der Hand desselben Künstlers im Museum von Neapel**), eine andere von
Passignano in Galleria Rospigliosi zu Rom befindet, wurde uicht allem für
die Malerei, sondern auch für die Plastik zum Theil bestimmend, wie z. B. ein
anonymes, übrigens mittelmäßig gearbeitetes Relief in S. Croce in Gernsa-
lemme zeigt; unter den Malern, die sie adoptirten, sind einzelne in der Akademie
zu Bologna vertretene, wie Lucio Massari (1596 —1635) f) und Ercole
Procaccini (1596—1676)ff) Lelio Orsi (1511 — 1588) in der Galerie von
Modena (Ur. 402) n. a. zu nennen, und bis in die neuere und neueste Zeit
herein findet sie sich beispielsweise von Tiepolofff) und Gagliardi^f) mit
geringen Abweichungen verwendet.

Doch auch der Auffassung Correggios hat sich Annibale Caracci ange¬
schlossen in einer schon von Jul. Meyer **f) angeführten Composition der Pina¬
kothek zu Parma, ferner in einem Gemälde, das, in Pariser Privatbesitz be¬
findlich, uns nur aus einem Stich von Roullet bekannt ist; hier liegt das
Haupt des todten Christus der ohnmächtige» Madonna im Schoße, die ihrer¬
seits von einer knieenden Gestalt gestützt wird, während von der anderen Seite
noch zwei Gestalten zur Hilfeleistung herbeieilen.

Bei bloßen Variationen der von den Caracci gegebenen Vorbilder blieb aber
die Bologneser Schule nicht stehen. Der bedeutendste Vertreter dieser eklektischen
Richtung, Guido Reni war es, der in seiner berühmten Madonna della








*) srg,nah Ur. 13. — *») 7. Saal Ur. 1.
***) Schüler des Cigoli, eigen«. Dom. Cresli, 1SSS-1613.
f) 3. Saal Ur. 111. — ff) Vorraum Ur. 234.
fff) Venedig, Museum Correr Ur. 311.
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[0075] dem Künstler zugleich Gelegenheit, seine Beherrschung der Zeichnung zur Gel¬ tung zu bringen, namentlich beim Leichnam, der in voller Vorderansicht erscheint und dessen zurückgebogenes Antlitz meisterhaft verkürzt ist. Muß auch einge¬ räumt werden, daß der innere Gehalt der Scene zu ergreifenden Ausdruck ge¬ langt, der auch hier durch eine mit der Gruppe harmouirende, von dunklem Gewölk überschattete Landschaft gesteigert wird, so ist doch andererseits nicht zu verkennen, daß hier bereits auf einen theatralischen Effect hingearbeitet ist. Etwas abweichend gestaltete die Gruppe Annibale Caracci in einem Bilde des Palazzo Doria zu Rom*). Der Christusleichnam liegt ebenfalls am Boden, sein Haupt ruht auf dem rechten Knie der Mutter, von dieser, die ihn trauernd anblickt, mit der Rechten unterstützt, während ihre geöffnete Linke, die sie vor sich emporhebt, das stumme Selbstgespräch in ihrem Innern andeutet. Der rechte Arm des Todten hängt schlaff herab, der linke wird von einem kleinen Engel gehalten. Diese Composition, vou der sich eine Wiederholung vou der Hand desselben Künstlers im Museum von Neapel**), eine andere von Passignano in Galleria Rospigliosi zu Rom befindet, wurde uicht allem für die Malerei, sondern auch für die Plastik zum Theil bestimmend, wie z. B. ein anonymes, übrigens mittelmäßig gearbeitetes Relief in S. Croce in Gernsa- lemme zeigt; unter den Malern, die sie adoptirten, sind einzelne in der Akademie zu Bologna vertretene, wie Lucio Massari (1596 —1635) f) und Ercole Procaccini (1596—1676)ff) Lelio Orsi (1511 — 1588) in der Galerie von Modena (Ur. 402) n. a. zu nennen, und bis in die neuere und neueste Zeit herein findet sie sich beispielsweise von Tiepolofff) und Gagliardi^f) mit geringen Abweichungen verwendet. Doch auch der Auffassung Correggios hat sich Annibale Caracci ange¬ schlossen in einer schon von Jul. Meyer **f) angeführten Composition der Pina¬ kothek zu Parma, ferner in einem Gemälde, das, in Pariser Privatbesitz be¬ findlich, uns nur aus einem Stich von Roullet bekannt ist; hier liegt das Haupt des todten Christus der ohnmächtige» Madonna im Schoße, die ihrer¬ seits von einer knieenden Gestalt gestützt wird, während von der anderen Seite noch zwei Gestalten zur Hilfeleistung herbeieilen. Bei bloßen Variationen der von den Caracci gegebenen Vorbilder blieb aber die Bologneser Schule nicht stehen. Der bedeutendste Vertreter dieser eklektischen Richtung, Guido Reni war es, der in seiner berühmten Madonna della *) srg,nah Ur. 13. — *») 7. Saal Ur. 1. ***) Schüler des Cigoli, eigen«. Dom. Cresli, 1SSS-1613. f) 3. Saal Ur. 111. — ff) Vorraum Ur. 234. fff) Venedig, Museum Correr Ur. 311. """f) Correggio, S. 306. *f) In der Kirche S. Marco zu Rom, 4. Kapelle rechts. -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/75>, abgerufen am 25.08.2024.