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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Pieta*) die Scene noch dramatischer gestaltete. Der Christusleichnam liegt in
Profilansicht ausgestreckt auf der Bahre; hinter ihm steht die Madonna mit
gefalteten Händen, das schöne Antlitz in tiefstem Schmerz zum Himmel erhebend,
eine Gestalt von ergreifender Wirkung. Zu ihren Seiten steht je ein klagender
Engel. Etwas völlig neues hat Guido Reni mit dieser Komposition freilich
nicht geschaffen. Ein Stich des Marcanton, angeblich nach Raffael, zeigt im
allgemeinen die gleiche Anordnung der beiden Hauptfiguren. Auch die Marmor-
gruppe in der Grotta des Doms von Urbino, von welcher Gian Bologna
den prächtigen Christusleichnam fertigte, während die hinter diesem stehende und
auf ihn niederbückende Maria erst später von schwächerer Hand hinzugefügt
wurde, zeigt die nämliche Gruppirung.

Als eine Combination aus verschiedenen früheren Darstellungsarten erscheint
das ebenfalls in der Pinakothek von Bologna befindliche Gemälde des Ales-
sandro Tiarini (1577 -- 1668)**). Die Madonna sitzt auf der Bahre und
hält, das Antlitz des Sohnes in stiller Trauer betrachtend, mit der Rechte"
das Haupt, mit der Linken die Hand des Sohnes, der mit dem Oberkörper
ans ihrem Schoße, mit den Beinen auf der Bahre ruht. Es sind die letzten
Augenblicke fixirt, die der Bestattung vorausgehen: Joseph von Arimathia deutet
bereits auf den Eingang der Gruft im Hintergrunde; die lauten Schmerzens-
ansbrüche der Mutter find jenem Zustande starrer Erschöpfung gewichen, in dem
die Thräne nicht mehr fließt und die Klage des Mundes verstummt ist. In
wirksamen Contrast dazu steht die leidenschaftliche Erregung der weiblichen
Gestalt, die zu Füßen des Todten händeringend niederkniee. Der im Vorder-
grunde knieende Johannes, der die Dornenkrone ergriffen hat und wehmüthig
betrachtet, steht freilich nur in loser Beziehung zu den Hauptfiguren und erinnert
in seiner äußeren Bewegung stark an das Arrangirte theatralischer Tableaux.
Auch in dem Aufbau der Komposition spricht sich eine auf theatralischen Effect
gerichtete Tendenz aus, die recht fühlbar wird, wenn man z. B. einen Vergleich
mit dem berühmten Gemälde des Perugino anstellt, welches bei doppelter Fignren-
zahl alles künstlich Gemachte in der Gruppirung aufs glücklichste vermeidet.
Einer solchen Lösung der Aufgabe gegenüber erscheint die Schöpfung des Tia¬
rini bei aller technischen Routine zu ihrem Nachtheil schon sehr modern.

Die Betonung der pathologischen Seite, die bei Correggio hervortrat, fand
besonders Nachfolge in der Venezianischen und Florentiner Malerei. Sie trat
bereits hervor bei Cima da Conegliano in dem figurenreichen Gemälde
der Modeneser Sammlung (Ur. 143), in welchem neben dem auf einen: Steine




") Bologna, Pinakothek Ur. 134; aus dem Jahre 1616.
**) Ur. 132. Eine kleinere Darstelln"" des Gegenstandes von demselben Künstler be¬
findet sich unter Ur. 711 in der Pinakothek zu Modena.

Pieta*) die Scene noch dramatischer gestaltete. Der Christusleichnam liegt in
Profilansicht ausgestreckt auf der Bahre; hinter ihm steht die Madonna mit
gefalteten Händen, das schöne Antlitz in tiefstem Schmerz zum Himmel erhebend,
eine Gestalt von ergreifender Wirkung. Zu ihren Seiten steht je ein klagender
Engel. Etwas völlig neues hat Guido Reni mit dieser Komposition freilich
nicht geschaffen. Ein Stich des Marcanton, angeblich nach Raffael, zeigt im
allgemeinen die gleiche Anordnung der beiden Hauptfiguren. Auch die Marmor-
gruppe in der Grotta des Doms von Urbino, von welcher Gian Bologna
den prächtigen Christusleichnam fertigte, während die hinter diesem stehende und
auf ihn niederbückende Maria erst später von schwächerer Hand hinzugefügt
wurde, zeigt die nämliche Gruppirung.

Als eine Combination aus verschiedenen früheren Darstellungsarten erscheint
das ebenfalls in der Pinakothek von Bologna befindliche Gemälde des Ales-
sandro Tiarini (1577 — 1668)**). Die Madonna sitzt auf der Bahre und
hält, das Antlitz des Sohnes in stiller Trauer betrachtend, mit der Rechte»
das Haupt, mit der Linken die Hand des Sohnes, der mit dem Oberkörper
ans ihrem Schoße, mit den Beinen auf der Bahre ruht. Es sind die letzten
Augenblicke fixirt, die der Bestattung vorausgehen: Joseph von Arimathia deutet
bereits auf den Eingang der Gruft im Hintergrunde; die lauten Schmerzens-
ansbrüche der Mutter find jenem Zustande starrer Erschöpfung gewichen, in dem
die Thräne nicht mehr fließt und die Klage des Mundes verstummt ist. In
wirksamen Contrast dazu steht die leidenschaftliche Erregung der weiblichen
Gestalt, die zu Füßen des Todten händeringend niederkniee. Der im Vorder-
grunde knieende Johannes, der die Dornenkrone ergriffen hat und wehmüthig
betrachtet, steht freilich nur in loser Beziehung zu den Hauptfiguren und erinnert
in seiner äußeren Bewegung stark an das Arrangirte theatralischer Tableaux.
Auch in dem Aufbau der Komposition spricht sich eine auf theatralischen Effect
gerichtete Tendenz aus, die recht fühlbar wird, wenn man z. B. einen Vergleich
mit dem berühmten Gemälde des Perugino anstellt, welches bei doppelter Fignren-
zahl alles künstlich Gemachte in der Gruppirung aufs glücklichste vermeidet.
Einer solchen Lösung der Aufgabe gegenüber erscheint die Schöpfung des Tia¬
rini bei aller technischen Routine zu ihrem Nachtheil schon sehr modern.

Die Betonung der pathologischen Seite, die bei Correggio hervortrat, fand
besonders Nachfolge in der Venezianischen und Florentiner Malerei. Sie trat
bereits hervor bei Cima da Conegliano in dem figurenreichen Gemälde
der Modeneser Sammlung (Ur. 143), in welchem neben dem auf einen: Steine




») Bologna, Pinakothek Ur. 134; aus dem Jahre 1616.
**) Ur. 132. Eine kleinere Darstelln»» des Gegenstandes von demselben Künstler be¬
findet sich unter Ur. 711 in der Pinakothek zu Modena.
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[0076] Pieta*) die Scene noch dramatischer gestaltete. Der Christusleichnam liegt in Profilansicht ausgestreckt auf der Bahre; hinter ihm steht die Madonna mit gefalteten Händen, das schöne Antlitz in tiefstem Schmerz zum Himmel erhebend, eine Gestalt von ergreifender Wirkung. Zu ihren Seiten steht je ein klagender Engel. Etwas völlig neues hat Guido Reni mit dieser Komposition freilich nicht geschaffen. Ein Stich des Marcanton, angeblich nach Raffael, zeigt im allgemeinen die gleiche Anordnung der beiden Hauptfiguren. Auch die Marmor- gruppe in der Grotta des Doms von Urbino, von welcher Gian Bologna den prächtigen Christusleichnam fertigte, während die hinter diesem stehende und auf ihn niederbückende Maria erst später von schwächerer Hand hinzugefügt wurde, zeigt die nämliche Gruppirung. Als eine Combination aus verschiedenen früheren Darstellungsarten erscheint das ebenfalls in der Pinakothek von Bologna befindliche Gemälde des Ales- sandro Tiarini (1577 — 1668)**). Die Madonna sitzt auf der Bahre und hält, das Antlitz des Sohnes in stiller Trauer betrachtend, mit der Rechte» das Haupt, mit der Linken die Hand des Sohnes, der mit dem Oberkörper ans ihrem Schoße, mit den Beinen auf der Bahre ruht. Es sind die letzten Augenblicke fixirt, die der Bestattung vorausgehen: Joseph von Arimathia deutet bereits auf den Eingang der Gruft im Hintergrunde; die lauten Schmerzens- ansbrüche der Mutter find jenem Zustande starrer Erschöpfung gewichen, in dem die Thräne nicht mehr fließt und die Klage des Mundes verstummt ist. In wirksamen Contrast dazu steht die leidenschaftliche Erregung der weiblichen Gestalt, die zu Füßen des Todten händeringend niederkniee. Der im Vorder- grunde knieende Johannes, der die Dornenkrone ergriffen hat und wehmüthig betrachtet, steht freilich nur in loser Beziehung zu den Hauptfiguren und erinnert in seiner äußeren Bewegung stark an das Arrangirte theatralischer Tableaux. Auch in dem Aufbau der Komposition spricht sich eine auf theatralischen Effect gerichtete Tendenz aus, die recht fühlbar wird, wenn man z. B. einen Vergleich mit dem berühmten Gemälde des Perugino anstellt, welches bei doppelter Fignren- zahl alles künstlich Gemachte in der Gruppirung aufs glücklichste vermeidet. Einer solchen Lösung der Aufgabe gegenüber erscheint die Schöpfung des Tia¬ rini bei aller technischen Routine zu ihrem Nachtheil schon sehr modern. Die Betonung der pathologischen Seite, die bei Correggio hervortrat, fand besonders Nachfolge in der Venezianischen und Florentiner Malerei. Sie trat bereits hervor bei Cima da Conegliano in dem figurenreichen Gemälde der Modeneser Sammlung (Ur. 143), in welchem neben dem auf einen: Steine ») Bologna, Pinakothek Ur. 134; aus dem Jahre 1616. **) Ur. 132. Eine kleinere Darstelln»» des Gegenstandes von demselben Künstler be¬ findet sich unter Ur. 711 in der Pinakothek zu Modena.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/76>, abgerufen am 23.07.2024.