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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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jenigen der hervorragendsten einheimischen Kunstgattung, der Malerei. Die
wenigen plastischen Freigruppen, wie in S. Giovanni in Bragora oder in S.
Giovanni Elemosinario, sind als flüchtige Improvisationen von untergeordneter
künstlerischer Bedeutung, und nur zwei Reliefdarstellungen, beide undatirt und
ohne sicher zu bestimmenden Ursprung, nehmen ein größeres Interesse in An¬
spruch. Die eine derselben, im Vorraum der Sakristei von S. Maria della
Salute befindlich, wird von der Localtradition auf Antonio Dentone zurück¬
geführt und würde sonach der zweiten Hälfte des 15. oder dem Anfange des
16. Jahrhunderts angehören. Sie umfaßt außer der Hauptgruppe noch sechs
Heiligenfiguren von ungefähr ^ Lebensgröße und hat zum Hintergrunde eine
von Mauern umgebene Stadt auf einem Berge. Die Hauptgruppe hält sich
innerhalb des den zuletzt berührten Darstellungen zu Grunde liegenden Schemas,
wie es, um dies hier nachzuholen, innerhalb der Toscanischen Plastik schon von
Donatello an der einen Kanzel von S. Lorenzo angewandt worden war.
Indeß zeigt die Anatomie des nackten Körpers eine Oberflächlichkeit, die mit
den sicheren Werken des Dentone ebensowenig in Einklang steht wie die unbe¬
holfene und schwunglose Draperie der Madonna; auch der Gesichtsausdruck der
letzteren weist entweder auf eine frühere Entstehungszeit oder auf die Hand
eines geringeren Zeitgenossen jenes Meisters hin. Die letztere Annahme wird
wahrscheinlich gemacht durch die augenfälligen Anklänge des Leichnams an die
Figur des durch S. Antonius vom Beinbruch geheilten Jünglings in dem laut
Inschrift von Tutilo Lombards herrührenden Relief in der Kapelle des Heiligen
zu Padua, welche vermuthlich mit ihrem stark zurückgebogenen Haupte und dein
wellenförmig herabfallenden Haar, desgleichen mit der durch den Reliefstil ver¬
anlaßten Drehung des Oberkörpers entweder direct als Vorbild gedient hat
oder indirect durch eine andere Reliefdarstellung, welche in S. Lio zu Venedig
den Altar rechts vom Chöre schmückt und auf Tutilo Lombard" felbst zu¬
rückgeführt wird. Die Hauptgruppe dieses Reliefs, die von vier Heiligen um¬
geben wird, ist in der Composition der eben besprochenen nahe verwandt, der
Kopf Christi zeigt dieselben Eigenthümlichkeiten, nur daß die detaillirte Behand¬
lung des Haares dem Paduaner Relief noch näher kommt, während im Uebrigen
namentlich die mangelhafte Bildung des Oberkörpers die Urheberschaft des
Tutilo stark in Frage stellt. Auch das Antlitz der Madonna, in der Weise
eines Crivelli vom Schmerz gewaltsam verzerrt, entfernt sich weit von der Art
des im Ausdruck des Affects ziemlich maßvollen Meisters. Trotzdem bildet nach
unserer Ueberzeugung das erwähnte Relief desselben zu Padua die Voraus¬
setzung für diese wie die in der Salute befindliche Darstellung.

Zu nennen ist ferner das Relief, welches die Lünette an dem von Jacopo
Sansovino errichteten Grabmal des Dogen Venier 1556) in S. Salvatore


jenigen der hervorragendsten einheimischen Kunstgattung, der Malerei. Die
wenigen plastischen Freigruppen, wie in S. Giovanni in Bragora oder in S.
Giovanni Elemosinario, sind als flüchtige Improvisationen von untergeordneter
künstlerischer Bedeutung, und nur zwei Reliefdarstellungen, beide undatirt und
ohne sicher zu bestimmenden Ursprung, nehmen ein größeres Interesse in An¬
spruch. Die eine derselben, im Vorraum der Sakristei von S. Maria della
Salute befindlich, wird von der Localtradition auf Antonio Dentone zurück¬
geführt und würde sonach der zweiten Hälfte des 15. oder dem Anfange des
16. Jahrhunderts angehören. Sie umfaßt außer der Hauptgruppe noch sechs
Heiligenfiguren von ungefähr ^ Lebensgröße und hat zum Hintergrunde eine
von Mauern umgebene Stadt auf einem Berge. Die Hauptgruppe hält sich
innerhalb des den zuletzt berührten Darstellungen zu Grunde liegenden Schemas,
wie es, um dies hier nachzuholen, innerhalb der Toscanischen Plastik schon von
Donatello an der einen Kanzel von S. Lorenzo angewandt worden war.
Indeß zeigt die Anatomie des nackten Körpers eine Oberflächlichkeit, die mit
den sicheren Werken des Dentone ebensowenig in Einklang steht wie die unbe¬
holfene und schwunglose Draperie der Madonna; auch der Gesichtsausdruck der
letzteren weist entweder auf eine frühere Entstehungszeit oder auf die Hand
eines geringeren Zeitgenossen jenes Meisters hin. Die letztere Annahme wird
wahrscheinlich gemacht durch die augenfälligen Anklänge des Leichnams an die
Figur des durch S. Antonius vom Beinbruch geheilten Jünglings in dem laut
Inschrift von Tutilo Lombards herrührenden Relief in der Kapelle des Heiligen
zu Padua, welche vermuthlich mit ihrem stark zurückgebogenen Haupte und dein
wellenförmig herabfallenden Haar, desgleichen mit der durch den Reliefstil ver¬
anlaßten Drehung des Oberkörpers entweder direct als Vorbild gedient hat
oder indirect durch eine andere Reliefdarstellung, welche in S. Lio zu Venedig
den Altar rechts vom Chöre schmückt und auf Tutilo Lombard» felbst zu¬
rückgeführt wird. Die Hauptgruppe dieses Reliefs, die von vier Heiligen um¬
geben wird, ist in der Composition der eben besprochenen nahe verwandt, der
Kopf Christi zeigt dieselben Eigenthümlichkeiten, nur daß die detaillirte Behand¬
lung des Haares dem Paduaner Relief noch näher kommt, während im Uebrigen
namentlich die mangelhafte Bildung des Oberkörpers die Urheberschaft des
Tutilo stark in Frage stellt. Auch das Antlitz der Madonna, in der Weise
eines Crivelli vom Schmerz gewaltsam verzerrt, entfernt sich weit von der Art
des im Ausdruck des Affects ziemlich maßvollen Meisters. Trotzdem bildet nach
unserer Ueberzeugung das erwähnte Relief desselben zu Padua die Voraus¬
setzung für diese wie die in der Salute befindliche Darstellung.

Zu nennen ist ferner das Relief, welches die Lünette an dem von Jacopo
Sansovino errichteten Grabmal des Dogen Venier 1556) in S. Salvatore


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[0071] jenigen der hervorragendsten einheimischen Kunstgattung, der Malerei. Die wenigen plastischen Freigruppen, wie in S. Giovanni in Bragora oder in S. Giovanni Elemosinario, sind als flüchtige Improvisationen von untergeordneter künstlerischer Bedeutung, und nur zwei Reliefdarstellungen, beide undatirt und ohne sicher zu bestimmenden Ursprung, nehmen ein größeres Interesse in An¬ spruch. Die eine derselben, im Vorraum der Sakristei von S. Maria della Salute befindlich, wird von der Localtradition auf Antonio Dentone zurück¬ geführt und würde sonach der zweiten Hälfte des 15. oder dem Anfange des 16. Jahrhunderts angehören. Sie umfaßt außer der Hauptgruppe noch sechs Heiligenfiguren von ungefähr ^ Lebensgröße und hat zum Hintergrunde eine von Mauern umgebene Stadt auf einem Berge. Die Hauptgruppe hält sich innerhalb des den zuletzt berührten Darstellungen zu Grunde liegenden Schemas, wie es, um dies hier nachzuholen, innerhalb der Toscanischen Plastik schon von Donatello an der einen Kanzel von S. Lorenzo angewandt worden war. Indeß zeigt die Anatomie des nackten Körpers eine Oberflächlichkeit, die mit den sicheren Werken des Dentone ebensowenig in Einklang steht wie die unbe¬ holfene und schwunglose Draperie der Madonna; auch der Gesichtsausdruck der letzteren weist entweder auf eine frühere Entstehungszeit oder auf die Hand eines geringeren Zeitgenossen jenes Meisters hin. Die letztere Annahme wird wahrscheinlich gemacht durch die augenfälligen Anklänge des Leichnams an die Figur des durch S. Antonius vom Beinbruch geheilten Jünglings in dem laut Inschrift von Tutilo Lombards herrührenden Relief in der Kapelle des Heiligen zu Padua, welche vermuthlich mit ihrem stark zurückgebogenen Haupte und dein wellenförmig herabfallenden Haar, desgleichen mit der durch den Reliefstil ver¬ anlaßten Drehung des Oberkörpers entweder direct als Vorbild gedient hat oder indirect durch eine andere Reliefdarstellung, welche in S. Lio zu Venedig den Altar rechts vom Chöre schmückt und auf Tutilo Lombard» felbst zu¬ rückgeführt wird. Die Hauptgruppe dieses Reliefs, die von vier Heiligen um¬ geben wird, ist in der Composition der eben besprochenen nahe verwandt, der Kopf Christi zeigt dieselben Eigenthümlichkeiten, nur daß die detaillirte Behand¬ lung des Haares dem Paduaner Relief noch näher kommt, während im Uebrigen namentlich die mangelhafte Bildung des Oberkörpers die Urheberschaft des Tutilo stark in Frage stellt. Auch das Antlitz der Madonna, in der Weise eines Crivelli vom Schmerz gewaltsam verzerrt, entfernt sich weit von der Art des im Ausdruck des Affects ziemlich maßvollen Meisters. Trotzdem bildet nach unserer Ueberzeugung das erwähnte Relief desselben zu Padua die Voraus¬ setzung für diese wie die in der Salute befindliche Darstellung. Zu nennen ist ferner das Relief, welches die Lünette an dem von Jacopo Sansovino errichteten Grabmal des Dogen Venier 1556) in S. Salvatore

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/71>, abgerufen am 25.08.2024.