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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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füllt und sich in der Hauptgruppe, die von den knieenden Gestalten des ver¬
storbenen Dogen' und eines Heiligen umgeben ist, ziemlich eng an Michel
Angelos berühmtes Werk anlehnt, eine durch treffliche Raumerfüllung ausge¬
zeichnete Composition, bei ihrer beträchtlichen Höhe im Einzelnen leider wenig
genießbar*).

Eine weit wichtigere Rolle spielt die Pieta in der Venezianischen Malerei.
Eine neue Gestalt gab ihr hier Gian Bellini, der den Gegenstand zu wieder¬
holten Malen in Halbfigurenbildern (so im Palazzo ducale zu Venedig und in
der Brera zu Mailand) behandelte. Er läßt Maria und Johannes den Leich¬
nam aufrecht halten und die übrigen Figuren meist nur als ruhige Zuschauer
an der Situation theilnehmen. So in der sorgfältigen Oelskizze der Uffizien
(Ur. 583), die noch mantegnesken Einfluß bekundet, fo in der Lünette im Dogen¬
palast zu Venedig und, den Beschreibungen nach, in den Exemplaren der Brera,
der Galerie Lochis - Carrara zu Bergamo und der Kathedrale zu Toledo in
Spanien. Von denjenigen Compositionen des Meisters, in denen der Christns-
leichnam von Engeln betrauert erscheint, und deren Echtheit nicht durchgängig
sicher ist, nehmen wir den dieser Abhandlung von vornherein gezogenen Grenzen
gemäß Abstand.

Die um diese Zeit am meisten verbreitete Compositionsweise begegnet uns
dagegen bei Tizian in seinem letzten Werke, welches in der Akademie zu
Venedig aufbewahrt wird (Ur. 33) und laut Inschrift von Palma Giovane,
von dem wir weiterhin eine selbständige Behandlung des Gegenstandes anzu-
führen haben, vollendet worden ist. Die Madonna sitzt vor einer Nische, zu
deren Seiten die Statuen des Moses und der Hellespontischen Sibylle stehen,
und hält mit der Linken das Haupt, mit der Rechten die rechte Hand des
Leichnams, wehmüthig auf denselben herabblickend. Joseph von Arimathia hält
den herabhängenden linken Arm des Todten, während auf der anderen Seite
des Bildes Maria Magdalena in ekstatischer Bewegung mit erhobenen Armen
auf die Gruppe zueilt -- mau sieht, wie sich auch bei den Nebenfiguren gewisse
Motive durch die verschiedenen Perioden und Schulen hindurchziehen. Wahrheit
und Große des Affekts müssen mit Burckhardt°^) auch diesem Gemälde noch
nachgerühmt werden; auffallende Unrichtigkeiten der Zeichnung, wie das offenbar
viel zu kurz gerathene rechte Unterbein der Madonna, erinnern indeß nur zu
sehr an die späte Entstehungszeit des Bildes, welches jedoch immerhin dadurch




*) Von Burckhardt, Cicerone (3. Aufl.) S. 710, nach mir unbekannt gebliebener Quelle
einer anderen Hand zugeschrieben.
**) Cicerone S. 1073; vgl. auch Crowe und Cavalcaselle: 1it,i-in. Ili" Ule -in<1 klar",
II, 413; nach der technischen Seite hin ist das Gemälde in dieser letzteren Besprechung ent¬
schieden überschätzt.

füllt und sich in der Hauptgruppe, die von den knieenden Gestalten des ver¬
storbenen Dogen' und eines Heiligen umgeben ist, ziemlich eng an Michel
Angelos berühmtes Werk anlehnt, eine durch treffliche Raumerfüllung ausge¬
zeichnete Composition, bei ihrer beträchtlichen Höhe im Einzelnen leider wenig
genießbar*).

Eine weit wichtigere Rolle spielt die Pieta in der Venezianischen Malerei.
Eine neue Gestalt gab ihr hier Gian Bellini, der den Gegenstand zu wieder¬
holten Malen in Halbfigurenbildern (so im Palazzo ducale zu Venedig und in
der Brera zu Mailand) behandelte. Er läßt Maria und Johannes den Leich¬
nam aufrecht halten und die übrigen Figuren meist nur als ruhige Zuschauer
an der Situation theilnehmen. So in der sorgfältigen Oelskizze der Uffizien
(Ur. 583), die noch mantegnesken Einfluß bekundet, fo in der Lünette im Dogen¬
palast zu Venedig und, den Beschreibungen nach, in den Exemplaren der Brera,
der Galerie Lochis - Carrara zu Bergamo und der Kathedrale zu Toledo in
Spanien. Von denjenigen Compositionen des Meisters, in denen der Christns-
leichnam von Engeln betrauert erscheint, und deren Echtheit nicht durchgängig
sicher ist, nehmen wir den dieser Abhandlung von vornherein gezogenen Grenzen
gemäß Abstand.

Die um diese Zeit am meisten verbreitete Compositionsweise begegnet uns
dagegen bei Tizian in seinem letzten Werke, welches in der Akademie zu
Venedig aufbewahrt wird (Ur. 33) und laut Inschrift von Palma Giovane,
von dem wir weiterhin eine selbständige Behandlung des Gegenstandes anzu-
führen haben, vollendet worden ist. Die Madonna sitzt vor einer Nische, zu
deren Seiten die Statuen des Moses und der Hellespontischen Sibylle stehen,
und hält mit der Linken das Haupt, mit der Rechten die rechte Hand des
Leichnams, wehmüthig auf denselben herabblickend. Joseph von Arimathia hält
den herabhängenden linken Arm des Todten, während auf der anderen Seite
des Bildes Maria Magdalena in ekstatischer Bewegung mit erhobenen Armen
auf die Gruppe zueilt -- mau sieht, wie sich auch bei den Nebenfiguren gewisse
Motive durch die verschiedenen Perioden und Schulen hindurchziehen. Wahrheit
und Große des Affekts müssen mit Burckhardt°^) auch diesem Gemälde noch
nachgerühmt werden; auffallende Unrichtigkeiten der Zeichnung, wie das offenbar
viel zu kurz gerathene rechte Unterbein der Madonna, erinnern indeß nur zu
sehr an die späte Entstehungszeit des Bildes, welches jedoch immerhin dadurch




*) Von Burckhardt, Cicerone (3. Aufl.) S. 710, nach mir unbekannt gebliebener Quelle
einer anderen Hand zugeschrieben.
**) Cicerone S. 1073; vgl. auch Crowe und Cavalcaselle: 1it,i-in. Ili» Ule -in<1 klar«,
II, 413; nach der technischen Seite hin ist das Gemälde in dieser letzteren Besprechung ent¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/72>, abgerufen am 25.08.2024.