Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.heißt, zu erkennen glaubte, daß dieser Streit eine Erschütterung des religiösen Hand in Hand mit den? sogenannten Culturkampfe sind zwei andere Neu¬ Können wir nur uuter gewissen Beschränkungen die Beurtheilung, die *) König Friedrich Wilhelm IV. erklärte in der Cabinets-Ordre vom 8. Juni 1857 dem
Ev. Ober-Kirchen-Rathe: "Ihnen ist bekannt, daß nach meiner Ueberzeugung eine völlig correcte Behandlung der Ehescheidungssache durch die Kirche erst dann möglich sein wird, wenn dieselbe durch die Gestattung der bürgerlichen Ehe auch für solche Personen, welche aus der Landeskirche nicht ausgeschieden sind, gänzlich von allen menschlichen Rücksichten befreit sein wird." heißt, zu erkennen glaubte, daß dieser Streit eine Erschütterung des religiösen Hand in Hand mit den? sogenannten Culturkampfe sind zwei andere Neu¬ Können wir nur uuter gewissen Beschränkungen die Beurtheilung, die *) König Friedrich Wilhelm IV. erklärte in der Cabinets-Ordre vom 8. Juni 1857 dem
Ev. Ober-Kirchen-Rathe: „Ihnen ist bekannt, daß nach meiner Ueberzeugung eine völlig correcte Behandlung der Ehescheidungssache durch die Kirche erst dann möglich sein wird, wenn dieselbe durch die Gestattung der bürgerlichen Ehe auch für solche Personen, welche aus der Landeskirche nicht ausgeschieden sind, gänzlich von allen menschlichen Rücksichten befreit sein wird." <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147620"/> <p xml:id="ID_1448" prev="#ID_1447"> heißt, zu erkennen glaubte, daß dieser Streit eine Erschütterung des religiösen<lb/> Bewußtseins im Volke zur Folge gehabt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1449"> Hand in Hand mit den? sogenannten Culturkampfe sind zwei andere Neu¬<lb/> ordnungen getreten, deren wir ebenfalls hier gedenken müssen. Die Einführung<lb/> der Civilehe und die Aufhebung der Inspection über die Volksschule als einer<lb/> mit dem Pfarramt organisch verbundenen Institution. Was hier vom Staate<lb/> geschehen ist, ist ein über die Grenzen des Nothwendigen hinausgehender legis¬<lb/> latorischer Act, wiederum ein Erzeugnis; des nach abstracter Schablone operi-<lb/> renden Liberalismus. Die Einführung der Civilehe schwebte in der Luft, noch<lb/> ehe an den Culturkampf gedacht wurde, und es waren nicht bloß der Kirche<lb/> feindliche Geister, die sie verlangten; es waren ebenso warme Freunde der<lb/> Kirche, welche für sie eintraten, im Interesse der freien Bewegung der letzteren<lb/> auf dem Gebiete der Eheschließung.^) Aber die Wünsche dieser Männer gingen<lb/> ans die facultative, nicht auf die obligatorische Civilehe. Es ist bekannt, daß<lb/> der Gesetzentwurf über die erstere den preußischen Kammern in den Jahren<lb/> 1859—1861 vorgelegt wurde, aber an dem Widerspruch des Herrenhauses scheiterte.<lb/> Auch hier sehen wir die conservative Partei eine schwere Schuld auf sich laden.<lb/> Wäre damals die facultative Civilehe in Preußen eingeführt worden, so wäre<lb/> das deutsche Reich der obligatorischen Civilehe entgangen, und die Schäden, die<lb/> sie in religiöser und sittlicher Beziehung zur Folge gehabt hat, wären unserem<lb/> Volke erspart geblieben. Auch die Umwandlung der Schulinspectiou des geist¬<lb/> lichen Amts in eine zufällig mit diesem verbundene Thätigkeit bedauern wir.<lb/> Sie hat dazu beigetragen, die Autorität jenes zu mindern und den der Kirche<lb/> feindlichen Geist der Lehrer zu steigern. Es wäre vollkommen ausreichend ge¬<lb/> wesen, wenn den untauglichen Geistlichen die Schulinspection genommen worden<lb/> wäre. Es ist nicht conservativ, um momentaner Erfolge willen organische In¬<lb/> stitutionen aufzuheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1450" next="#ID_1451"> Können wir nur uuter gewissen Beschränkungen die Beurtheilung, die<lb/> Mariano dem gegenwärtigen Verhältniß zwischen Staat und Kirche zu Theil<lb/> werden läßt, uns aneignen, so gilt dies auch in Beziehung auf die Werthschätz¬<lb/> ung der Leistungen deutscher Wissenschaft in unseren Tagen. Abgesehen von<lb/> den historischen Studien, deren umfassende Gelehrsamkeit und idealisirende Kraft<lb/> er anerkennt, ist er von unserer wissenschaftlichen Arbeit wenig befriedigt. Sehr</p><lb/> <note xml:id="FID_103" place="foot"> *) König Friedrich Wilhelm IV. erklärte in der Cabinets-Ordre vom 8. Juni 1857 dem<lb/> Ev. Ober-Kirchen-Rathe: „Ihnen ist bekannt, daß nach meiner Ueberzeugung eine völlig<lb/> correcte Behandlung der Ehescheidungssache durch die Kirche erst dann möglich sein wird,<lb/> wenn dieselbe durch die Gestattung der bürgerlichen Ehe auch für solche Personen, welche<lb/> aus der Landeskirche nicht ausgeschieden sind, gänzlich von allen menschlichen Rücksichten<lb/> befreit sein wird."</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0526]
heißt, zu erkennen glaubte, daß dieser Streit eine Erschütterung des religiösen
Bewußtseins im Volke zur Folge gehabt hat.
Hand in Hand mit den? sogenannten Culturkampfe sind zwei andere Neu¬
ordnungen getreten, deren wir ebenfalls hier gedenken müssen. Die Einführung
der Civilehe und die Aufhebung der Inspection über die Volksschule als einer
mit dem Pfarramt organisch verbundenen Institution. Was hier vom Staate
geschehen ist, ist ein über die Grenzen des Nothwendigen hinausgehender legis¬
latorischer Act, wiederum ein Erzeugnis; des nach abstracter Schablone operi-
renden Liberalismus. Die Einführung der Civilehe schwebte in der Luft, noch
ehe an den Culturkampf gedacht wurde, und es waren nicht bloß der Kirche
feindliche Geister, die sie verlangten; es waren ebenso warme Freunde der
Kirche, welche für sie eintraten, im Interesse der freien Bewegung der letzteren
auf dem Gebiete der Eheschließung.^) Aber die Wünsche dieser Männer gingen
ans die facultative, nicht auf die obligatorische Civilehe. Es ist bekannt, daß
der Gesetzentwurf über die erstere den preußischen Kammern in den Jahren
1859—1861 vorgelegt wurde, aber an dem Widerspruch des Herrenhauses scheiterte.
Auch hier sehen wir die conservative Partei eine schwere Schuld auf sich laden.
Wäre damals die facultative Civilehe in Preußen eingeführt worden, so wäre
das deutsche Reich der obligatorischen Civilehe entgangen, und die Schäden, die
sie in religiöser und sittlicher Beziehung zur Folge gehabt hat, wären unserem
Volke erspart geblieben. Auch die Umwandlung der Schulinspectiou des geist¬
lichen Amts in eine zufällig mit diesem verbundene Thätigkeit bedauern wir.
Sie hat dazu beigetragen, die Autorität jenes zu mindern und den der Kirche
feindlichen Geist der Lehrer zu steigern. Es wäre vollkommen ausreichend ge¬
wesen, wenn den untauglichen Geistlichen die Schulinspection genommen worden
wäre. Es ist nicht conservativ, um momentaner Erfolge willen organische In¬
stitutionen aufzuheben.
Können wir nur uuter gewissen Beschränkungen die Beurtheilung, die
Mariano dem gegenwärtigen Verhältniß zwischen Staat und Kirche zu Theil
werden läßt, uns aneignen, so gilt dies auch in Beziehung auf die Werthschätz¬
ung der Leistungen deutscher Wissenschaft in unseren Tagen. Abgesehen von
den historischen Studien, deren umfassende Gelehrsamkeit und idealisirende Kraft
er anerkennt, ist er von unserer wissenschaftlichen Arbeit wenig befriedigt. Sehr
*) König Friedrich Wilhelm IV. erklärte in der Cabinets-Ordre vom 8. Juni 1857 dem
Ev. Ober-Kirchen-Rathe: „Ihnen ist bekannt, daß nach meiner Ueberzeugung eine völlig
correcte Behandlung der Ehescheidungssache durch die Kirche erst dann möglich sein wird,
wenn dieselbe durch die Gestattung der bürgerlichen Ehe auch für solche Personen, welche
aus der Landeskirche nicht ausgeschieden sind, gänzlich von allen menschlichen Rücksichten
befreit sein wird."
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |