Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.unser Volk ethisch ärmer, uicht reicher gemacht habe", nicht zu einer Steigerung, unser Volk ethisch ärmer, uicht reicher gemacht habe», nicht zu einer Steigerung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147619"/> <p xml:id="ID_1447" prev="#ID_1446" next="#ID_1448"> unser Volk ethisch ärmer, uicht reicher gemacht habe», nicht zu einer Steigerung,<lb/> sondern zu einer Minderung seines religiösen und sittlichen Capitals geführt<lb/> haben, ist eine unleugbare Thatsache; daß der Liberalismus hierbei eine große<lb/> Schuld trägt, steht ebenso fest. Der festländische Liberalismus unterscheidet sich<lb/> dadurch vom englischen, daß dieser mit lebendigem, kirchlichem Sinn, mit streng<lb/> conservativer Gesinnung auf religiösem Gebiete sich wohl vereinigt, während<lb/> jener, vom französischen Geiste genährt, mit Antipathie oder Jndifferentismus,<lb/> die kirchlichen Interessen bald feindlich zurückstößt, bald kühl ablehnt. Auf der<lb/> anderen Seite ist aber auch die conservative Partei in Deutschland nicht ohne<lb/> Schuld. Wohl kann sie sich dessen rühmen, allezeit für die Rechte der Kirche,<lb/> für die Pflege christlicher Gesinnung im Volke eingetreten zu sein, aber sie hat<lb/> nicht in demselben Maße auch die nationale Idee hochgehalten, hat dieselbe so¬<lb/> gar als mit Liberalismus und Revolution verflochten zurückgeschoben. So wurde<lb/> der Liberalismus allein der Träger der nationalen Idee. Kein Wunder, daß,<lb/> als diese nun Wirklichkeit wurde, die Herrschaft in die Hände des Liberalismus<lb/> überging. Wie ganz anders würde sich die Entwicklung gestaltet haben, wenn<lb/> die conservative Partei im geeinten Deutschland eine Verwirklichung ihres Ge¬<lb/> dankens hätte erkennen können! Aber auch was den Culturkampf angeht, können<lb/> wir dem Verfasser nicht zustimmen. Dieser Kampf hätte vom protestantischen<lb/> Standpunkt aus geführt werden sollen? Eine unmögliche Forderung an den<lb/> Staat, der eben die Führung des deutschen Reiches begonnen hatte und die<lb/> Heeresfolge von Millionen Katholiken beanspruchte; eine ungeeignete Basis für<lb/> eine Gesetzgebung, die sich enthalten wollte, in das Innere des religiöse» Lebens<lb/> einzugreifen und sich nur darauf beschwuren wollte, die Rechte des Staates und<lb/> der nationalen Bildung zu vertreten, die keine größeren Zugeständnisse von der<lb/> Curie heischte, als welche diese längst in katholischen Ländern gewährt. Es ist<lb/> eine andere Frage, ob der Staat gut gethan hat, die evangelische Kirche dieser<lb/> Gesetzgebung zu unterwerfen, oder ob er nicht richtiger gehandelt haben würde,<lb/> wenn er diese ganz aus dem Spiele gelassen hätte. Die evangelische Kirche, die<lb/> in den engsten und innigsten Beziehungen zum Staate steht, in deren Annalen<lb/> keine Collision mit ihm, nur die Erweisungen loyalster Haltung verzeichnet sind,<lb/> die zu den Maigesetzen gar keinen Anlaß gegeben hat, durfte auch nicht von<lb/> ihnen berührt werden. Die Maigesetze hätten von vornherein sich auf eine<lb/> Regelung der Beziehungen des Staates zur Curie beschränken sollen. Daß dies<lb/> uicht geschehen ist, können wir nur als eine Unterlassungssünde des Staates<lb/> bezeichnen, die schwerwiegende Folgen gehabt hat. In ihr sehen wir den Grund,<lb/> daß der große Haufe in dem gegenwärtigen Kampfe nicht einen Conflict des<lb/> Staates mit der Curie, sondern einen Streit desselben gegen alles, was Kirche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
unser Volk ethisch ärmer, uicht reicher gemacht habe», nicht zu einer Steigerung,
sondern zu einer Minderung seines religiösen und sittlichen Capitals geführt
haben, ist eine unleugbare Thatsache; daß der Liberalismus hierbei eine große
Schuld trägt, steht ebenso fest. Der festländische Liberalismus unterscheidet sich
dadurch vom englischen, daß dieser mit lebendigem, kirchlichem Sinn, mit streng
conservativer Gesinnung auf religiösem Gebiete sich wohl vereinigt, während
jener, vom französischen Geiste genährt, mit Antipathie oder Jndifferentismus,
die kirchlichen Interessen bald feindlich zurückstößt, bald kühl ablehnt. Auf der
anderen Seite ist aber auch die conservative Partei in Deutschland nicht ohne
Schuld. Wohl kann sie sich dessen rühmen, allezeit für die Rechte der Kirche,
für die Pflege christlicher Gesinnung im Volke eingetreten zu sein, aber sie hat
nicht in demselben Maße auch die nationale Idee hochgehalten, hat dieselbe so¬
gar als mit Liberalismus und Revolution verflochten zurückgeschoben. So wurde
der Liberalismus allein der Träger der nationalen Idee. Kein Wunder, daß,
als diese nun Wirklichkeit wurde, die Herrschaft in die Hände des Liberalismus
überging. Wie ganz anders würde sich die Entwicklung gestaltet haben, wenn
die conservative Partei im geeinten Deutschland eine Verwirklichung ihres Ge¬
dankens hätte erkennen können! Aber auch was den Culturkampf angeht, können
wir dem Verfasser nicht zustimmen. Dieser Kampf hätte vom protestantischen
Standpunkt aus geführt werden sollen? Eine unmögliche Forderung an den
Staat, der eben die Führung des deutschen Reiches begonnen hatte und die
Heeresfolge von Millionen Katholiken beanspruchte; eine ungeeignete Basis für
eine Gesetzgebung, die sich enthalten wollte, in das Innere des religiöse» Lebens
einzugreifen und sich nur darauf beschwuren wollte, die Rechte des Staates und
der nationalen Bildung zu vertreten, die keine größeren Zugeständnisse von der
Curie heischte, als welche diese längst in katholischen Ländern gewährt. Es ist
eine andere Frage, ob der Staat gut gethan hat, die evangelische Kirche dieser
Gesetzgebung zu unterwerfen, oder ob er nicht richtiger gehandelt haben würde,
wenn er diese ganz aus dem Spiele gelassen hätte. Die evangelische Kirche, die
in den engsten und innigsten Beziehungen zum Staate steht, in deren Annalen
keine Collision mit ihm, nur die Erweisungen loyalster Haltung verzeichnet sind,
die zu den Maigesetzen gar keinen Anlaß gegeben hat, durfte auch nicht von
ihnen berührt werden. Die Maigesetze hätten von vornherein sich auf eine
Regelung der Beziehungen des Staates zur Curie beschränken sollen. Daß dies
uicht geschehen ist, können wir nur als eine Unterlassungssünde des Staates
bezeichnen, die schwerwiegende Folgen gehabt hat. In ihr sehen wir den Grund,
daß der große Haufe in dem gegenwärtigen Kampfe nicht einen Conflict des
Staates mit der Curie, sondern einen Streit desselben gegen alles, was Kirche
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |