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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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rechnet, welche eine Fülle von Meisterwerken geschaffen hat, in denen Religion
und Kunst, aufs innigste verschmolzen, ihre Herrlichkeit offenbaren, hat einen
Anspruch darauf, eine religiöse Erneuerung hoffen zu dürfen. Als Bedingungen,
eine solche vorzubereiten, erscheinen Mariano die Wahl der Geistlichen, der
Schutz des niederen Klerus gegen den höheren, gemeinsame Erziehungs- und
Unterrichts-Jnstitute für Klerus und Laien, Aufhebung des Cölibats, Theilnahme
der Laien an der Verwaltung der Kirchengüter und der Fürsorge für Gottes¬
dienst, Armenpflege und Volksschule, endlich Pflege der Religion in den öffent¬
lichen Schulen. Mit aller Entschiedenheit spricht sich Mariano gegen die reli¬
gionslosen Schulen aus und will dem Religionsunterricht in den Schulen eine
hervorragende Stellung gesichert wissen. Die religionslose Schule ist ihm eine
Schule der Laster, der Leidenschaften und Verderbniß, während er in der von
der Religion bestimmten Schule einen Quell der Idealität, der Zucht und Sitt¬
lichkeit erkennt. Wenn Italien diese Wege beträte, so könnte es auf ihnen einer
Reformation entgegen geführt werden, die selbst freilich aus den Tiefen des
Gemüthes und des Geistes hervorgehen müßte. Werden sich diese Hoffnungen
erfüllen? Wir antworten mit Mariano: "Um die Nation zur Besinnung zu
bringen, bedarf es vielleicht einer harten Prüfung. Aus dem Uebermaße des
Uebels wird vielleicht das Heil entspringen. Unter diesem Gesichtspunkte er¬
scheint das Papstthum, dieser Erbfeind der Nation, als Italiens bester Freund.
Es ist, so gern man sich auch das Gegentheil einreden will, doch im Grnnde
die einzige Wolke am Himmel italienischer Sorglosigkeit und könnte die einzige
Macht sein, welche Italien einst zwingen wird, sich selbst und seine Innerlichkeit
wieder zu finden."

Nicht minder ernste Klagen und Anklagen sind es, welche der Abschnitt
"Deutschland und das Christenthum" enthält. Je höher dem Verfasser die Auf¬
gabe erscheint, deren Lösung von Deutschland erwartet werde, je fester er davon
überzeugt ist, daß es zum Hort christlicher Idealität, religiöser Vertiefung, ethi¬
scher Verinnerlichung bestimmt sei, desto schmerzlicher erfüllt ihn das Bild,
welches Deutschland jetzt biete: seine Abwendung auf eine ausschließlich nach
außen gerichtete Thätigkeit und Hand in Hand damit gehend die Herrschaft des
Skepticismus und Materialismus. In dem Herabsinken Deutschlands von der
idealen Höhe, die es so lange behauptet, sieht er vor allem das Werk eines
flachen, zersetzenden, ideenlosen Liberalismus. Auch der sogenannte Culturkampf,
wenigstens die Gesichtspunkte, unter denen er begonnen und geführt wurde, mi߬
billigt er. Die Kollision mit der Curie sei freilich unvermeidlich gewesen, aber
man hätte in dieselbe vom evangelisch-protestantischen Boden aus eintreten müssen,
statt beide Kirchen in den Kampf hineinzuziehen. Halten wir einen Augenblick
hier inne. Daß die großen politischen Aufgaben der letzten fünfzehn Jahre


rechnet, welche eine Fülle von Meisterwerken geschaffen hat, in denen Religion
und Kunst, aufs innigste verschmolzen, ihre Herrlichkeit offenbaren, hat einen
Anspruch darauf, eine religiöse Erneuerung hoffen zu dürfen. Als Bedingungen,
eine solche vorzubereiten, erscheinen Mariano die Wahl der Geistlichen, der
Schutz des niederen Klerus gegen den höheren, gemeinsame Erziehungs- und
Unterrichts-Jnstitute für Klerus und Laien, Aufhebung des Cölibats, Theilnahme
der Laien an der Verwaltung der Kirchengüter und der Fürsorge für Gottes¬
dienst, Armenpflege und Volksschule, endlich Pflege der Religion in den öffent¬
lichen Schulen. Mit aller Entschiedenheit spricht sich Mariano gegen die reli¬
gionslosen Schulen aus und will dem Religionsunterricht in den Schulen eine
hervorragende Stellung gesichert wissen. Die religionslose Schule ist ihm eine
Schule der Laster, der Leidenschaften und Verderbniß, während er in der von
der Religion bestimmten Schule einen Quell der Idealität, der Zucht und Sitt¬
lichkeit erkennt. Wenn Italien diese Wege beträte, so könnte es auf ihnen einer
Reformation entgegen geführt werden, die selbst freilich aus den Tiefen des
Gemüthes und des Geistes hervorgehen müßte. Werden sich diese Hoffnungen
erfüllen? Wir antworten mit Mariano: „Um die Nation zur Besinnung zu
bringen, bedarf es vielleicht einer harten Prüfung. Aus dem Uebermaße des
Uebels wird vielleicht das Heil entspringen. Unter diesem Gesichtspunkte er¬
scheint das Papstthum, dieser Erbfeind der Nation, als Italiens bester Freund.
Es ist, so gern man sich auch das Gegentheil einreden will, doch im Grnnde
die einzige Wolke am Himmel italienischer Sorglosigkeit und könnte die einzige
Macht sein, welche Italien einst zwingen wird, sich selbst und seine Innerlichkeit
wieder zu finden."

Nicht minder ernste Klagen und Anklagen sind es, welche der Abschnitt
„Deutschland und das Christenthum" enthält. Je höher dem Verfasser die Auf¬
gabe erscheint, deren Lösung von Deutschland erwartet werde, je fester er davon
überzeugt ist, daß es zum Hort christlicher Idealität, religiöser Vertiefung, ethi¬
scher Verinnerlichung bestimmt sei, desto schmerzlicher erfüllt ihn das Bild,
welches Deutschland jetzt biete: seine Abwendung auf eine ausschließlich nach
außen gerichtete Thätigkeit und Hand in Hand damit gehend die Herrschaft des
Skepticismus und Materialismus. In dem Herabsinken Deutschlands von der
idealen Höhe, die es so lange behauptet, sieht er vor allem das Werk eines
flachen, zersetzenden, ideenlosen Liberalismus. Auch der sogenannte Culturkampf,
wenigstens die Gesichtspunkte, unter denen er begonnen und geführt wurde, mi߬
billigt er. Die Kollision mit der Curie sei freilich unvermeidlich gewesen, aber
man hätte in dieselbe vom evangelisch-protestantischen Boden aus eintreten müssen,
statt beide Kirchen in den Kampf hineinzuziehen. Halten wir einen Augenblick
hier inne. Daß die großen politischen Aufgaben der letzten fünfzehn Jahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/524>, abgerufen am 23.07.2024.