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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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erstarrt, unter der Herrschaft des Papstthums, wie der Verfasser sagt, einge¬
schlafen und gleichsam versteinert. Seinem Katholicismus fehlt die Lebendigkeit.
In Frankreich hat sich doch eine evangelische Kirche bilden können, welche den
Katholicismus schon insofern anregt, als sie zum Gegensatze treibt und dadurch
eine innere Bewegung hervorbringt. Der Protestantismus in Italien ist mit
Feuer und Schwert vernichtet worden. In Frankreich hat es immer Männer
gegeben, die wissenschaftliche Bildung, innerliche Lebendigkeit, Eifer für nationale
Freiheit mit der Treue gegen das Bekenntniß zum Katholicismus zu vereinigen
sich bemühten. Nichts davon findet sich in Italien. Auf der einen Seite sehen
wir eine wissenschaftliche Bildung, die ohne religiösen und ethischen Gehalt mit
Papst Leo X. über "die Fabel von Christo" spottet, aber dabei sich gehorsam vor
Curie und Priesterthum beugt, auf der anderen Seite einen unwissenden, bigotten,
sittenlosen Klerus und Gläubige, deren Frömmigkeit im Aberglauben, Fanatis¬
mus und der mechanischen Verrichtung religiöser Uebungen besteht. Beide Er¬
scheinungen, so sehr sie einander entgegengesetzt sind, stammen aus derselben
Wurzel. Eine religiöse Institution und Tradition, die nicht zu intellectueller
und ethischer Aneignung dargeboten wird, die sich im Bewußtsein nicht immer
wieder erzeugt, muß bei den einen Unglauben, bei den anderen Aberglauben
hervorbringen, muß hier zum Skepticismus dort zum Mechanismus entarten.
Mariano citirt das Wort Macchiavellis: "Wir Italiener haben der Kirche und
den Priestern zunächst dies zu danken, daß wir religionslos und schlecht ge¬
worden sind." Aber auch das neue Italien schließt nach unserem Autor ein
regeuerirendes Princip nicht in sich. Abgesehen vom Heere, dessen er mit hoher
Anerkennung gedenkt, zeigt ihm die Gegenwart Italiens nur ein trübes Bild.
Und auch für das Heer fürchtet er. Denn da für die Pflege der Frömmigkeit
in demselben nichts geschieht, so hat auch hier schon die Religionslosigkeit über¬
Hand genommen und untergräbt die Disciplin. So trostlos urtheilt der Ver¬
fasser über die Zustände seines Vaterlandes, daß er die Behauptung ausspricht:
"Alles in Allem ist das Papstthum immer noch mehr werth als das neue
Italien. Von seiner tausendjährigen Geschichte und der darauf gegründeten
Tradition und Autorität wollen wir ganz absehen. Aber das Papstthum ver¬
tritt eine Welt von Principien, welche, obwohl veraltet, immer noch einen In¬
halt, einen sittlichen Werth bewahren. Ueberdies weiß es, was es will, und
geht mit Festigkeit zum Ziele."

Trotzdem giebt Mariano die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Italiens,
gegründet auf eine religiöse Reformation, nicht auf. Eine Nation, welche die
Mutter von Helden religiöser Begeisterung gewesen ist, welche einen Benedict
von Nursia und einen Franz von AM, einen Thomas von Aquino, einen
Dante und einen Savonarola, einen Rosmini und einen Manzoni zu den ihren


erstarrt, unter der Herrschaft des Papstthums, wie der Verfasser sagt, einge¬
schlafen und gleichsam versteinert. Seinem Katholicismus fehlt die Lebendigkeit.
In Frankreich hat sich doch eine evangelische Kirche bilden können, welche den
Katholicismus schon insofern anregt, als sie zum Gegensatze treibt und dadurch
eine innere Bewegung hervorbringt. Der Protestantismus in Italien ist mit
Feuer und Schwert vernichtet worden. In Frankreich hat es immer Männer
gegeben, die wissenschaftliche Bildung, innerliche Lebendigkeit, Eifer für nationale
Freiheit mit der Treue gegen das Bekenntniß zum Katholicismus zu vereinigen
sich bemühten. Nichts davon findet sich in Italien. Auf der einen Seite sehen
wir eine wissenschaftliche Bildung, die ohne religiösen und ethischen Gehalt mit
Papst Leo X. über „die Fabel von Christo" spottet, aber dabei sich gehorsam vor
Curie und Priesterthum beugt, auf der anderen Seite einen unwissenden, bigotten,
sittenlosen Klerus und Gläubige, deren Frömmigkeit im Aberglauben, Fanatis¬
mus und der mechanischen Verrichtung religiöser Uebungen besteht. Beide Er¬
scheinungen, so sehr sie einander entgegengesetzt sind, stammen aus derselben
Wurzel. Eine religiöse Institution und Tradition, die nicht zu intellectueller
und ethischer Aneignung dargeboten wird, die sich im Bewußtsein nicht immer
wieder erzeugt, muß bei den einen Unglauben, bei den anderen Aberglauben
hervorbringen, muß hier zum Skepticismus dort zum Mechanismus entarten.
Mariano citirt das Wort Macchiavellis: „Wir Italiener haben der Kirche und
den Priestern zunächst dies zu danken, daß wir religionslos und schlecht ge¬
worden sind." Aber auch das neue Italien schließt nach unserem Autor ein
regeuerirendes Princip nicht in sich. Abgesehen vom Heere, dessen er mit hoher
Anerkennung gedenkt, zeigt ihm die Gegenwart Italiens nur ein trübes Bild.
Und auch für das Heer fürchtet er. Denn da für die Pflege der Frömmigkeit
in demselben nichts geschieht, so hat auch hier schon die Religionslosigkeit über¬
Hand genommen und untergräbt die Disciplin. So trostlos urtheilt der Ver¬
fasser über die Zustände seines Vaterlandes, daß er die Behauptung ausspricht:
„Alles in Allem ist das Papstthum immer noch mehr werth als das neue
Italien. Von seiner tausendjährigen Geschichte und der darauf gegründeten
Tradition und Autorität wollen wir ganz absehen. Aber das Papstthum ver¬
tritt eine Welt von Principien, welche, obwohl veraltet, immer noch einen In¬
halt, einen sittlichen Werth bewahren. Ueberdies weiß es, was es will, und
geht mit Festigkeit zum Ziele."

Trotzdem giebt Mariano die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Italiens,
gegründet auf eine religiöse Reformation, nicht auf. Eine Nation, welche die
Mutter von Helden religiöser Begeisterung gewesen ist, welche einen Benedict
von Nursia und einen Franz von AM, einen Thomas von Aquino, einen
Dante und einen Savonarola, einen Rosmini und einen Manzoni zu den ihren


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[0523] erstarrt, unter der Herrschaft des Papstthums, wie der Verfasser sagt, einge¬ schlafen und gleichsam versteinert. Seinem Katholicismus fehlt die Lebendigkeit. In Frankreich hat sich doch eine evangelische Kirche bilden können, welche den Katholicismus schon insofern anregt, als sie zum Gegensatze treibt und dadurch eine innere Bewegung hervorbringt. Der Protestantismus in Italien ist mit Feuer und Schwert vernichtet worden. In Frankreich hat es immer Männer gegeben, die wissenschaftliche Bildung, innerliche Lebendigkeit, Eifer für nationale Freiheit mit der Treue gegen das Bekenntniß zum Katholicismus zu vereinigen sich bemühten. Nichts davon findet sich in Italien. Auf der einen Seite sehen wir eine wissenschaftliche Bildung, die ohne religiösen und ethischen Gehalt mit Papst Leo X. über „die Fabel von Christo" spottet, aber dabei sich gehorsam vor Curie und Priesterthum beugt, auf der anderen Seite einen unwissenden, bigotten, sittenlosen Klerus und Gläubige, deren Frömmigkeit im Aberglauben, Fanatis¬ mus und der mechanischen Verrichtung religiöser Uebungen besteht. Beide Er¬ scheinungen, so sehr sie einander entgegengesetzt sind, stammen aus derselben Wurzel. Eine religiöse Institution und Tradition, die nicht zu intellectueller und ethischer Aneignung dargeboten wird, die sich im Bewußtsein nicht immer wieder erzeugt, muß bei den einen Unglauben, bei den anderen Aberglauben hervorbringen, muß hier zum Skepticismus dort zum Mechanismus entarten. Mariano citirt das Wort Macchiavellis: „Wir Italiener haben der Kirche und den Priestern zunächst dies zu danken, daß wir religionslos und schlecht ge¬ worden sind." Aber auch das neue Italien schließt nach unserem Autor ein regeuerirendes Princip nicht in sich. Abgesehen vom Heere, dessen er mit hoher Anerkennung gedenkt, zeigt ihm die Gegenwart Italiens nur ein trübes Bild. Und auch für das Heer fürchtet er. Denn da für die Pflege der Frömmigkeit in demselben nichts geschieht, so hat auch hier schon die Religionslosigkeit über¬ Hand genommen und untergräbt die Disciplin. So trostlos urtheilt der Ver¬ fasser über die Zustände seines Vaterlandes, daß er die Behauptung ausspricht: „Alles in Allem ist das Papstthum immer noch mehr werth als das neue Italien. Von seiner tausendjährigen Geschichte und der darauf gegründeten Tradition und Autorität wollen wir ganz absehen. Aber das Papstthum ver¬ tritt eine Welt von Principien, welche, obwohl veraltet, immer noch einen In¬ halt, einen sittlichen Werth bewahren. Ueberdies weiß es, was es will, und geht mit Festigkeit zum Ziele." Trotzdem giebt Mariano die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Italiens, gegründet auf eine religiöse Reformation, nicht auf. Eine Nation, welche die Mutter von Helden religiöser Begeisterung gewesen ist, welche einen Benedict von Nursia und einen Franz von AM, einen Thomas von Aquino, einen Dante und einen Savonarola, einen Rosmini und einen Manzoni zu den ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/523>, abgerufen am 23.07.2024.