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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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werthvoll wird sie nur, insofern sie sich mit einem reichen, bedeutungsvollen
Inhalt erfüllt. Und in diesem haben wir eben den socialen Factor des Pro¬
testantismus zu suchen. Die Bekenntnißschrifteu der evangelischen Kirche be¬
zeichnen ihn als Wort Gottes und Sacrament. Hierin liegt die Realität, an
und mit der die persönliche Freiheit sich sättigen soll; hierin haben wir die Ob-
jectivität zu suchen, welche die individuellen Persönlichkeiten zur Kirche zusammen¬
schließt. Wohl können beide Elemente, das individuelle und sociale, mit einander
in Spannung kommen, und es ist dies ja, wie bekannt, mehr als nöthig, mehr
als heilsam geschehen. Die Zerrissenheit und Spaltung innerhalb des Protestan¬
tismus ist eben die Folge davon, daß der individuelle Factor den socialen Factor
überwuchert hat. Aber auf der anderen Seite ist die Gleichberechtigung beider
Elemente die Ursache der Lebendigkeit, die den Protestantismus auszeichnet, und
die ihm gestattet, an allen Phasen und Beziehungen des Culturlebens thätig
Theil zu nehmen. Vermöge des individuellen Princips fordert er, daß das
sociale, objective Element Gegenstand persönlicher Ueberzeugung werde, in die
Tiefen der Subjectivität und Innerlichkeit eindringe. Wie ist dies aber mög¬
lich, wenn nicht ununterbrochen der Versuch gemacht wird, was anderweitig als
Wahrheit giltig ist, zum Worte Gottes in Beziehung zu bringen, mit ihm aus¬
zugleichen? Wie ganz anders steht hier der Katholicismus! In ihm ist das
sociale Element -- die vom unfehlbaren Lehramte, seit dein Vaticcmum vom
Papste vertretene Tradition --das ein und alles, das individuelle Element
nichts. Es ist völlig negirt. Die Ausschließlichkeit, mit welcher die römische Kirche
das autoritative Princip zur Geltung bringt, erzeugt in ihr die UnVeränderlich¬
keit, die denen imponirt, welchen die christliche Kirche nur ein sichtbarer Organis¬
mus ist, und welche von der Kirche nur die erziehende Thätigkeit erwarten, deren
Frucht der Gehorsam gegen eine äußere Autorität ist; aber sie giebt ihr auch
die Starrheit, welche sie unfähig macht, die fortschreitende Entwicklung des
Culturlebens sich anzueignen, und durch welche sie dieser fremd und feindlich
gegenüber steht.

Ueber den Inhalt des folgenden Abschnitts, der das Thema "Religion und
Staat" behandelt, können wir schnell hinweggehen. Die Idee, die Mariano hier
vertritt, haben wir selbst mehrfach und eingehend in d. Bl. entwickelt. Ebenso
wie er, haben wir gegen die Ablösung der Kirche vom Staate und gegen die
großen Fehler gekämpft, deren sich der Liberalismus in seiner Beurtheilung
kirchlicher und religiöser Fragen schuldig gemacht hat. Wir verzichten darauf,
unsere Darlegungen zu wiederholen und verweisen auf unsere früheren Aufsätze.

Im hohen Maße dagegen fesselt uns der Gegenstand, zu dem Marmno
im fünften Capitel übergeht: "Italien und der Katholicismus". Es ist ein
sehr dunkles Bild, das uns hier gezeigt wird. Das geistige Leben Italiens ist


Grenzboten III. 1330. 67

werthvoll wird sie nur, insofern sie sich mit einem reichen, bedeutungsvollen
Inhalt erfüllt. Und in diesem haben wir eben den socialen Factor des Pro¬
testantismus zu suchen. Die Bekenntnißschrifteu der evangelischen Kirche be¬
zeichnen ihn als Wort Gottes und Sacrament. Hierin liegt die Realität, an
und mit der die persönliche Freiheit sich sättigen soll; hierin haben wir die Ob-
jectivität zu suchen, welche die individuellen Persönlichkeiten zur Kirche zusammen¬
schließt. Wohl können beide Elemente, das individuelle und sociale, mit einander
in Spannung kommen, und es ist dies ja, wie bekannt, mehr als nöthig, mehr
als heilsam geschehen. Die Zerrissenheit und Spaltung innerhalb des Protestan¬
tismus ist eben die Folge davon, daß der individuelle Factor den socialen Factor
überwuchert hat. Aber auf der anderen Seite ist die Gleichberechtigung beider
Elemente die Ursache der Lebendigkeit, die den Protestantismus auszeichnet, und
die ihm gestattet, an allen Phasen und Beziehungen des Culturlebens thätig
Theil zu nehmen. Vermöge des individuellen Princips fordert er, daß das
sociale, objective Element Gegenstand persönlicher Ueberzeugung werde, in die
Tiefen der Subjectivität und Innerlichkeit eindringe. Wie ist dies aber mög¬
lich, wenn nicht ununterbrochen der Versuch gemacht wird, was anderweitig als
Wahrheit giltig ist, zum Worte Gottes in Beziehung zu bringen, mit ihm aus¬
zugleichen? Wie ganz anders steht hier der Katholicismus! In ihm ist das
sociale Element — die vom unfehlbaren Lehramte, seit dein Vaticcmum vom
Papste vertretene Tradition —das ein und alles, das individuelle Element
nichts. Es ist völlig negirt. Die Ausschließlichkeit, mit welcher die römische Kirche
das autoritative Princip zur Geltung bringt, erzeugt in ihr die UnVeränderlich¬
keit, die denen imponirt, welchen die christliche Kirche nur ein sichtbarer Organis¬
mus ist, und welche von der Kirche nur die erziehende Thätigkeit erwarten, deren
Frucht der Gehorsam gegen eine äußere Autorität ist; aber sie giebt ihr auch
die Starrheit, welche sie unfähig macht, die fortschreitende Entwicklung des
Culturlebens sich anzueignen, und durch welche sie dieser fremd und feindlich
gegenüber steht.

Ueber den Inhalt des folgenden Abschnitts, der das Thema „Religion und
Staat" behandelt, können wir schnell hinweggehen. Die Idee, die Mariano hier
vertritt, haben wir selbst mehrfach und eingehend in d. Bl. entwickelt. Ebenso
wie er, haben wir gegen die Ablösung der Kirche vom Staate und gegen die
großen Fehler gekämpft, deren sich der Liberalismus in seiner Beurtheilung
kirchlicher und religiöser Fragen schuldig gemacht hat. Wir verzichten darauf,
unsere Darlegungen zu wiederholen und verweisen auf unsere früheren Aufsätze.

Im hohen Maße dagegen fesselt uns der Gegenstand, zu dem Marmno
im fünften Capitel übergeht: „Italien und der Katholicismus". Es ist ein
sehr dunkles Bild, das uns hier gezeigt wird. Das geistige Leben Italiens ist


Grenzboten III. 1330. 67
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[0522] werthvoll wird sie nur, insofern sie sich mit einem reichen, bedeutungsvollen Inhalt erfüllt. Und in diesem haben wir eben den socialen Factor des Pro¬ testantismus zu suchen. Die Bekenntnißschrifteu der evangelischen Kirche be¬ zeichnen ihn als Wort Gottes und Sacrament. Hierin liegt die Realität, an und mit der die persönliche Freiheit sich sättigen soll; hierin haben wir die Ob- jectivität zu suchen, welche die individuellen Persönlichkeiten zur Kirche zusammen¬ schließt. Wohl können beide Elemente, das individuelle und sociale, mit einander in Spannung kommen, und es ist dies ja, wie bekannt, mehr als nöthig, mehr als heilsam geschehen. Die Zerrissenheit und Spaltung innerhalb des Protestan¬ tismus ist eben die Folge davon, daß der individuelle Factor den socialen Factor überwuchert hat. Aber auf der anderen Seite ist die Gleichberechtigung beider Elemente die Ursache der Lebendigkeit, die den Protestantismus auszeichnet, und die ihm gestattet, an allen Phasen und Beziehungen des Culturlebens thätig Theil zu nehmen. Vermöge des individuellen Princips fordert er, daß das sociale, objective Element Gegenstand persönlicher Ueberzeugung werde, in die Tiefen der Subjectivität und Innerlichkeit eindringe. Wie ist dies aber mög¬ lich, wenn nicht ununterbrochen der Versuch gemacht wird, was anderweitig als Wahrheit giltig ist, zum Worte Gottes in Beziehung zu bringen, mit ihm aus¬ zugleichen? Wie ganz anders steht hier der Katholicismus! In ihm ist das sociale Element — die vom unfehlbaren Lehramte, seit dein Vaticcmum vom Papste vertretene Tradition —das ein und alles, das individuelle Element nichts. Es ist völlig negirt. Die Ausschließlichkeit, mit welcher die römische Kirche das autoritative Princip zur Geltung bringt, erzeugt in ihr die UnVeränderlich¬ keit, die denen imponirt, welchen die christliche Kirche nur ein sichtbarer Organis¬ mus ist, und welche von der Kirche nur die erziehende Thätigkeit erwarten, deren Frucht der Gehorsam gegen eine äußere Autorität ist; aber sie giebt ihr auch die Starrheit, welche sie unfähig macht, die fortschreitende Entwicklung des Culturlebens sich anzueignen, und durch welche sie dieser fremd und feindlich gegenüber steht. Ueber den Inhalt des folgenden Abschnitts, der das Thema „Religion und Staat" behandelt, können wir schnell hinweggehen. Die Idee, die Mariano hier vertritt, haben wir selbst mehrfach und eingehend in d. Bl. entwickelt. Ebenso wie er, haben wir gegen die Ablösung der Kirche vom Staate und gegen die großen Fehler gekämpft, deren sich der Liberalismus in seiner Beurtheilung kirchlicher und religiöser Fragen schuldig gemacht hat. Wir verzichten darauf, unsere Darlegungen zu wiederholen und verweisen auf unsere früheren Aufsätze. Im hohen Maße dagegen fesselt uns der Gegenstand, zu dem Marmno im fünften Capitel übergeht: „Italien und der Katholicismus". Es ist ein sehr dunkles Bild, das uns hier gezeigt wird. Das geistige Leben Italiens ist Grenzboten III. 1330. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/522>, abgerufen am 25.08.2024.