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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Scene aus dem Leben des Kaisers Claudius) in der Zartheit und Transparenz
des Farbenauftrags, in der Feinheit der Lasuren die Aquarellinanier nachzu¬
ahmen. Das Bild, welches überdies nur eine kleinere Wiederholung einer
älteren, 1878 in Paris ausgestellten Composition des Künstlers ist, kann nur
mit Hilfe des Sueton enträthselt werden, der uns erzählt, wie der alte Clau¬
dius sich auf die Kunde von des Caligula Ermordung aus Furcht vor den
Verschwörern im obersten Geschoß des Cäsarenpalastes hinter einem Vorhang
verbarg, in seinem Versteck jedoch von einem Soldaten aufgespürt wurde.
Dieser riß den Vorhang hinweg, und während der halb blödsinnige alte Mann
sich zitternd vor Furcht mit allen Kräften an den Falten festzuhalten sucht,
grüßten ihn die Soldaten und Höflinge mit dem Kaisertitel. Wie arg muß
die römische Geschichte von den Malern schon ausgeplündert worden sein, wenn
man sich entschließt, so widerwärtige Momente und noch dazu wiederholt zu
malen! Der moderne Realismus hat so sehr allen Sinn für den geistigen
Gehalt eines Stoffes verloren, daß ihm am Eude jedes Motiv recht geworden
ist. Ueber Scheußlichkeiten, Brutalitäten und Gemeinheiten setzt er sich mit voll¬
kommener Gleichgiltigkeit hinweg, wenn sich ihm nur die Aussicht eröffnet, durch
Entfaltung technischer Reizmittel auf die Sinne der Beschauer zu wirken.
Alma Tadema versteht letzteres auch jetzt noch, trotz seines Niedergangs und
seiner Seltsamkeiten, so perfect wie kein anderer. Die spannenlangen Figürchen
sind mit entzückender Feinheit gemalt, die Köpfe mit einer plastischen Wahrheit
herausmodellirt, daß sie trotz ihrer geistigen Oede über dem Stofflichen domi-
niren. Um den Effect noch zu erhöhen, ist das Bildchen unter Glas gebracht
worden, was man sonst nur mit den empfindlichen Aquarellen zu thun Pflegt,
und nun wissen die Berliner erst recht des Staunens kein Ende zu finden. Den
Gipfel ihres Entzückens bildet aber nicht dieses, sondern ein zweites Gemälde
Tademas, welches eine englische Dame (Porträt) singend darstellt, während ihr
Gatte ihren Gesang am Pianoforte begleitet. Die Tadema-Schwärmer können
die Feinheit der Ausführung -- die Köpfe sind kaum thalergroß -- nicht ge¬
nug rühmen. Ich finde die Färbung hart und schwer, und so oft ich die Dame
mit ihrem geöffneten Munde anblicke, kommt mir beständig Carstens' singende
Parze in den Sinn. Sollte der alte Lessing, der nur so äußerst wenig Kunst¬
werke gesehen und aus dem wenigen mit feinstem Jnstinct doch ewige Regeln
herausgezogen hat, nicht wiederum das Richtige getroffen haben, als er seine
tiefsinnigen Bemerkungen über den geöffneten Mund des Laokoon niederschrieb?
Ich glaube, er würde den Begriff des Transitorischen, so weit es für den
Künstler nicht darstellbar ist, sogar noch enger und strenger gesaßt haben, wenn
er die singende Dame Alma Tademas gesehen hätte.

G. A. Storey und R. I. Gordon haben uns zwei jener Mädchen-


Scene aus dem Leben des Kaisers Claudius) in der Zartheit und Transparenz
des Farbenauftrags, in der Feinheit der Lasuren die Aquarellinanier nachzu¬
ahmen. Das Bild, welches überdies nur eine kleinere Wiederholung einer
älteren, 1878 in Paris ausgestellten Composition des Künstlers ist, kann nur
mit Hilfe des Sueton enträthselt werden, der uns erzählt, wie der alte Clau¬
dius sich auf die Kunde von des Caligula Ermordung aus Furcht vor den
Verschwörern im obersten Geschoß des Cäsarenpalastes hinter einem Vorhang
verbarg, in seinem Versteck jedoch von einem Soldaten aufgespürt wurde.
Dieser riß den Vorhang hinweg, und während der halb blödsinnige alte Mann
sich zitternd vor Furcht mit allen Kräften an den Falten festzuhalten sucht,
grüßten ihn die Soldaten und Höflinge mit dem Kaisertitel. Wie arg muß
die römische Geschichte von den Malern schon ausgeplündert worden sein, wenn
man sich entschließt, so widerwärtige Momente und noch dazu wiederholt zu
malen! Der moderne Realismus hat so sehr allen Sinn für den geistigen
Gehalt eines Stoffes verloren, daß ihm am Eude jedes Motiv recht geworden
ist. Ueber Scheußlichkeiten, Brutalitäten und Gemeinheiten setzt er sich mit voll¬
kommener Gleichgiltigkeit hinweg, wenn sich ihm nur die Aussicht eröffnet, durch
Entfaltung technischer Reizmittel auf die Sinne der Beschauer zu wirken.
Alma Tadema versteht letzteres auch jetzt noch, trotz seines Niedergangs und
seiner Seltsamkeiten, so perfect wie kein anderer. Die spannenlangen Figürchen
sind mit entzückender Feinheit gemalt, die Köpfe mit einer plastischen Wahrheit
herausmodellirt, daß sie trotz ihrer geistigen Oede über dem Stofflichen domi-
niren. Um den Effect noch zu erhöhen, ist das Bildchen unter Glas gebracht
worden, was man sonst nur mit den empfindlichen Aquarellen zu thun Pflegt,
und nun wissen die Berliner erst recht des Staunens kein Ende zu finden. Den
Gipfel ihres Entzückens bildet aber nicht dieses, sondern ein zweites Gemälde
Tademas, welches eine englische Dame (Porträt) singend darstellt, während ihr
Gatte ihren Gesang am Pianoforte begleitet. Die Tadema-Schwärmer können
die Feinheit der Ausführung — die Köpfe sind kaum thalergroß — nicht ge¬
nug rühmen. Ich finde die Färbung hart und schwer, und so oft ich die Dame
mit ihrem geöffneten Munde anblicke, kommt mir beständig Carstens' singende
Parze in den Sinn. Sollte der alte Lessing, der nur so äußerst wenig Kunst¬
werke gesehen und aus dem wenigen mit feinstem Jnstinct doch ewige Regeln
herausgezogen hat, nicht wiederum das Richtige getroffen haben, als er seine
tiefsinnigen Bemerkungen über den geöffneten Mund des Laokoon niederschrieb?
Ich glaube, er würde den Begriff des Transitorischen, so weit es für den
Künstler nicht darstellbar ist, sogar noch enger und strenger gesaßt haben, wenn
er die singende Dame Alma Tademas gesehen hätte.

G. A. Storey und R. I. Gordon haben uns zwei jener Mädchen-


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[0501] Scene aus dem Leben des Kaisers Claudius) in der Zartheit und Transparenz des Farbenauftrags, in der Feinheit der Lasuren die Aquarellinanier nachzu¬ ahmen. Das Bild, welches überdies nur eine kleinere Wiederholung einer älteren, 1878 in Paris ausgestellten Composition des Künstlers ist, kann nur mit Hilfe des Sueton enträthselt werden, der uns erzählt, wie der alte Clau¬ dius sich auf die Kunde von des Caligula Ermordung aus Furcht vor den Verschwörern im obersten Geschoß des Cäsarenpalastes hinter einem Vorhang verbarg, in seinem Versteck jedoch von einem Soldaten aufgespürt wurde. Dieser riß den Vorhang hinweg, und während der halb blödsinnige alte Mann sich zitternd vor Furcht mit allen Kräften an den Falten festzuhalten sucht, grüßten ihn die Soldaten und Höflinge mit dem Kaisertitel. Wie arg muß die römische Geschichte von den Malern schon ausgeplündert worden sein, wenn man sich entschließt, so widerwärtige Momente und noch dazu wiederholt zu malen! Der moderne Realismus hat so sehr allen Sinn für den geistigen Gehalt eines Stoffes verloren, daß ihm am Eude jedes Motiv recht geworden ist. Ueber Scheußlichkeiten, Brutalitäten und Gemeinheiten setzt er sich mit voll¬ kommener Gleichgiltigkeit hinweg, wenn sich ihm nur die Aussicht eröffnet, durch Entfaltung technischer Reizmittel auf die Sinne der Beschauer zu wirken. Alma Tadema versteht letzteres auch jetzt noch, trotz seines Niedergangs und seiner Seltsamkeiten, so perfect wie kein anderer. Die spannenlangen Figürchen sind mit entzückender Feinheit gemalt, die Köpfe mit einer plastischen Wahrheit herausmodellirt, daß sie trotz ihrer geistigen Oede über dem Stofflichen domi- niren. Um den Effect noch zu erhöhen, ist das Bildchen unter Glas gebracht worden, was man sonst nur mit den empfindlichen Aquarellen zu thun Pflegt, und nun wissen die Berliner erst recht des Staunens kein Ende zu finden. Den Gipfel ihres Entzückens bildet aber nicht dieses, sondern ein zweites Gemälde Tademas, welches eine englische Dame (Porträt) singend darstellt, während ihr Gatte ihren Gesang am Pianoforte begleitet. Die Tadema-Schwärmer können die Feinheit der Ausführung — die Köpfe sind kaum thalergroß — nicht ge¬ nug rühmen. Ich finde die Färbung hart und schwer, und so oft ich die Dame mit ihrem geöffneten Munde anblicke, kommt mir beständig Carstens' singende Parze in den Sinn. Sollte der alte Lessing, der nur so äußerst wenig Kunst¬ werke gesehen und aus dem wenigen mit feinstem Jnstinct doch ewige Regeln herausgezogen hat, nicht wiederum das Richtige getroffen haben, als er seine tiefsinnigen Bemerkungen über den geöffneten Mund des Laokoon niederschrieb? Ich glaube, er würde den Begriff des Transitorischen, so weit es für den Künstler nicht darstellbar ist, sogar noch enger und strenger gesaßt haben, wenn er die singende Dame Alma Tademas gesehen hätte. G. A. Storey und R. I. Gordon haben uns zwei jener Mädchen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/501>, abgerufen am 23.07.2024.