Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Unsicherheit und das Schwankett auf orthographischen Gebiete immer größer,
und es liegt die Gefahr nahe, daß die Heißsporne dieser Partei, die dein Lehrer¬
staude angehören, ihre Ideen auch in die Schule hineintragen.

Wenn nun weder Sanders' konservative Schreibweise noch die radikale
Frikkes unseren Beifall findet, in welchem Sinne soll denn eine Regelung un¬
serer Rechtschreibung erfolgen? Wir müssen uns bei der Beantwortung dieser
Frage daran erinnern, daß namentlich in Folge der Anregungen der historischen
Schule unter Jakob Grimm unsere Orthographie seit längerer Zeit bemüht ist,
sich von uuttützem Ballast zu befreien. In unserer Jugend schrieben wir Schaaf,
Maaß, bescheeren, Mährchen, ältere Leute unterscheiden jetzt noch sehn von
sein und setzen in Juni und Juli ein y.*) Wenn dieser an sich sehr er¬
freulichen Bewegung durch eine amtliche Regelung auf Jahre hinaus halt ge¬
boten wird, so haben wir das Recht zu fordern, daß die allerschlimmsten Mi߬
bräuche unserer Schreibweise, die von vielen schon längst in ihrem Schreibge¬
brauche beseitigt siud, uicht wieder amtlich eingeführt werdeu. Wünschenswert
wäre demnach eine Fixierung des jetzigen Schreibgebrauches mit einer
maßvollen Berücksichtigung der Verbesserungen, die dnrch neuere
Schreibweisen bereits in weitere Kreise des Volkes gedrungen sind.

Aus diesem vernünftigen und durch die Verhältnisse durchaus gebotenen
Standpunkte steht die neue preußisch-bayerische Rechtschreibung, und auch die Art,
wie von diesem Standpunkte aus die Regelung vollzogen ist, verdient unseren
Beifall. Die Puttkcunersche Orthographie ist eben nicht, wie so vielfach fälsch¬
lich angenommen wird, von irgend welchen Regierungsbeamten kraft hoher
obrigkeitlicher Weisheit abgefaßt worden, fondern sie ist das Erzeugnis sorg¬
fältigster, gründlichster Erörterungen von Fachmännern. Man vergegenwär¬
tige sich nur die Geschichte ihrer Entstehung. Die ersten Anfänge weisen auf
das Jahr 1872 zurück. Als im Oktober dieses Jahres die Vertreter der höheren
Schulanstalten Deutschlands zu einer Konferenz in Dresden zusammentraten,
wurde die Notwendigkeit einer Regelung der Orthographie-Frage von allen
Seiten anerkannt, und es wurde beschlossen behufs Herbeiführung einer Eini¬
gung "von kompetenter Seite eine Vorlage für anderweitige Beratung der Sache
entwerfen zu lassen". In Folge dessen wurde derjenige Gelehrte, "der nach
dem Urteil der Sachkenner um Klarlegung der Prinzipien uuserer Orthographie
sich vorzugsweise verdient gemacht hat", der leider inzwischen verstorbene Pro¬
fessor Rudolf von Raumer in Erlangen, von den deutschen Regierungen be-



*) Nebenbei sei bemerkt, daß dieses y seine Entstehung den lateinischen Formen Junii,
Julii verdankt, welche nach alter Art Junij, Julij geschrieben wurden, wobei die Verwech¬
selung mit y nahe lag. sHat die bairische Orthographie wirklich das thörichte y in Baiern
D. Red,) und bairisch beibehalten?

Unsicherheit und das Schwankett auf orthographischen Gebiete immer größer,
und es liegt die Gefahr nahe, daß die Heißsporne dieser Partei, die dein Lehrer¬
staude angehören, ihre Ideen auch in die Schule hineintragen.

Wenn nun weder Sanders' konservative Schreibweise noch die radikale
Frikkes unseren Beifall findet, in welchem Sinne soll denn eine Regelung un¬
serer Rechtschreibung erfolgen? Wir müssen uns bei der Beantwortung dieser
Frage daran erinnern, daß namentlich in Folge der Anregungen der historischen
Schule unter Jakob Grimm unsere Orthographie seit längerer Zeit bemüht ist,
sich von uuttützem Ballast zu befreien. In unserer Jugend schrieben wir Schaaf,
Maaß, bescheeren, Mährchen, ältere Leute unterscheiden jetzt noch sehn von
sein und setzen in Juni und Juli ein y.*) Wenn dieser an sich sehr er¬
freulichen Bewegung durch eine amtliche Regelung auf Jahre hinaus halt ge¬
boten wird, so haben wir das Recht zu fordern, daß die allerschlimmsten Mi߬
bräuche unserer Schreibweise, die von vielen schon längst in ihrem Schreibge¬
brauche beseitigt siud, uicht wieder amtlich eingeführt werdeu. Wünschenswert
wäre demnach eine Fixierung des jetzigen Schreibgebrauches mit einer
maßvollen Berücksichtigung der Verbesserungen, die dnrch neuere
Schreibweisen bereits in weitere Kreise des Volkes gedrungen sind.

Aus diesem vernünftigen und durch die Verhältnisse durchaus gebotenen
Standpunkte steht die neue preußisch-bayerische Rechtschreibung, und auch die Art,
wie von diesem Standpunkte aus die Regelung vollzogen ist, verdient unseren
Beifall. Die Puttkcunersche Orthographie ist eben nicht, wie so vielfach fälsch¬
lich angenommen wird, von irgend welchen Regierungsbeamten kraft hoher
obrigkeitlicher Weisheit abgefaßt worden, fondern sie ist das Erzeugnis sorg¬
fältigster, gründlichster Erörterungen von Fachmännern. Man vergegenwär¬
tige sich nur die Geschichte ihrer Entstehung. Die ersten Anfänge weisen auf
das Jahr 1872 zurück. Als im Oktober dieses Jahres die Vertreter der höheren
Schulanstalten Deutschlands zu einer Konferenz in Dresden zusammentraten,
wurde die Notwendigkeit einer Regelung der Orthographie-Frage von allen
Seiten anerkannt, und es wurde beschlossen behufs Herbeiführung einer Eini¬
gung „von kompetenter Seite eine Vorlage für anderweitige Beratung der Sache
entwerfen zu lassen". In Folge dessen wurde derjenige Gelehrte, „der nach
dem Urteil der Sachkenner um Klarlegung der Prinzipien uuserer Orthographie
sich vorzugsweise verdient gemacht hat", der leider inzwischen verstorbene Pro¬
fessor Rudolf von Raumer in Erlangen, von den deutschen Regierungen be-



*) Nebenbei sei bemerkt, daß dieses y seine Entstehung den lateinischen Formen Junii,
Julii verdankt, welche nach alter Art Junij, Julij geschrieben wurden, wobei die Verwech¬
selung mit y nahe lag. sHat die bairische Orthographie wirklich das thörichte y in Baiern
D. Red,) und bairisch beibehalten?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147464"/>
          <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> Unsicherheit und das Schwankett auf orthographischen Gebiete immer größer,<lb/>
und es liegt die Gefahr nahe, daß die Heißsporne dieser Partei, die dein Lehrer¬<lb/>
staude angehören, ihre Ideen auch in die Schule hineintragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1039"> Wenn nun weder Sanders' konservative Schreibweise noch die radikale<lb/>
Frikkes unseren Beifall findet, in welchem Sinne soll denn eine Regelung un¬<lb/>
serer Rechtschreibung erfolgen? Wir müssen uns bei der Beantwortung dieser<lb/>
Frage daran erinnern, daß namentlich in Folge der Anregungen der historischen<lb/>
Schule unter Jakob Grimm unsere Orthographie seit längerer Zeit bemüht ist,<lb/>
sich von uuttützem Ballast zu befreien. In unserer Jugend schrieben wir Schaaf,<lb/>
Maaß, bescheeren, Mährchen, ältere Leute unterscheiden jetzt noch sehn von<lb/>
sein und setzen in Juni und Juli ein y.*) Wenn dieser an sich sehr er¬<lb/>
freulichen Bewegung durch eine amtliche Regelung auf Jahre hinaus halt ge¬<lb/>
boten wird, so haben wir das Recht zu fordern, daß die allerschlimmsten Mi߬<lb/>
bräuche unserer Schreibweise, die von vielen schon längst in ihrem Schreibge¬<lb/>
brauche beseitigt siud, uicht wieder amtlich eingeführt werdeu. Wünschenswert<lb/>
wäre demnach eine Fixierung des jetzigen Schreibgebrauches mit einer<lb/>
maßvollen Berücksichtigung der Verbesserungen, die dnrch neuere<lb/>
Schreibweisen bereits in weitere Kreise des Volkes gedrungen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1040" next="#ID_1041"> Aus diesem vernünftigen und durch die Verhältnisse durchaus gebotenen<lb/>
Standpunkte steht die neue preußisch-bayerische Rechtschreibung, und auch die Art,<lb/>
wie von diesem Standpunkte aus die Regelung vollzogen ist, verdient unseren<lb/>
Beifall. Die Puttkcunersche Orthographie ist eben nicht, wie so vielfach fälsch¬<lb/>
lich angenommen wird, von irgend welchen Regierungsbeamten kraft hoher<lb/>
obrigkeitlicher Weisheit abgefaßt worden, fondern sie ist das Erzeugnis sorg¬<lb/>
fältigster, gründlichster Erörterungen von Fachmännern. Man vergegenwär¬<lb/>
tige sich nur die Geschichte ihrer Entstehung. Die ersten Anfänge weisen auf<lb/>
das Jahr 1872 zurück. Als im Oktober dieses Jahres die Vertreter der höheren<lb/>
Schulanstalten Deutschlands zu einer Konferenz in Dresden zusammentraten,<lb/>
wurde die Notwendigkeit einer Regelung der Orthographie-Frage von allen<lb/>
Seiten anerkannt, und es wurde beschlossen behufs Herbeiführung einer Eini¬<lb/>
gung &#x201E;von kompetenter Seite eine Vorlage für anderweitige Beratung der Sache<lb/>
entwerfen zu lassen". In Folge dessen wurde derjenige Gelehrte, &#x201E;der nach<lb/>
dem Urteil der Sachkenner um Klarlegung der Prinzipien uuserer Orthographie<lb/>
sich vorzugsweise verdient gemacht hat", der leider inzwischen verstorbene Pro¬<lb/>
fessor Rudolf von Raumer in Erlangen, von den deutschen Regierungen be-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_88" place="foot"> *) Nebenbei sei bemerkt, daß dieses y seine Entstehung den lateinischen Formen Junii,<lb/>
Julii verdankt, welche nach alter Art Junij, Julij geschrieben wurden, wobei die Verwech¬<lb/>
selung mit y nahe lag. sHat die bairische Orthographie wirklich das thörichte y in Baiern<lb/><note type="byline"> D. Red,)</note> und bairisch beibehalten?  </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] Unsicherheit und das Schwankett auf orthographischen Gebiete immer größer, und es liegt die Gefahr nahe, daß die Heißsporne dieser Partei, die dein Lehrer¬ staude angehören, ihre Ideen auch in die Schule hineintragen. Wenn nun weder Sanders' konservative Schreibweise noch die radikale Frikkes unseren Beifall findet, in welchem Sinne soll denn eine Regelung un¬ serer Rechtschreibung erfolgen? Wir müssen uns bei der Beantwortung dieser Frage daran erinnern, daß namentlich in Folge der Anregungen der historischen Schule unter Jakob Grimm unsere Orthographie seit längerer Zeit bemüht ist, sich von uuttützem Ballast zu befreien. In unserer Jugend schrieben wir Schaaf, Maaß, bescheeren, Mährchen, ältere Leute unterscheiden jetzt noch sehn von sein und setzen in Juni und Juli ein y.*) Wenn dieser an sich sehr er¬ freulichen Bewegung durch eine amtliche Regelung auf Jahre hinaus halt ge¬ boten wird, so haben wir das Recht zu fordern, daß die allerschlimmsten Mi߬ bräuche unserer Schreibweise, die von vielen schon längst in ihrem Schreibge¬ brauche beseitigt siud, uicht wieder amtlich eingeführt werdeu. Wünschenswert wäre demnach eine Fixierung des jetzigen Schreibgebrauches mit einer maßvollen Berücksichtigung der Verbesserungen, die dnrch neuere Schreibweisen bereits in weitere Kreise des Volkes gedrungen sind. Aus diesem vernünftigen und durch die Verhältnisse durchaus gebotenen Standpunkte steht die neue preußisch-bayerische Rechtschreibung, und auch die Art, wie von diesem Standpunkte aus die Regelung vollzogen ist, verdient unseren Beifall. Die Puttkcunersche Orthographie ist eben nicht, wie so vielfach fälsch¬ lich angenommen wird, von irgend welchen Regierungsbeamten kraft hoher obrigkeitlicher Weisheit abgefaßt worden, fondern sie ist das Erzeugnis sorg¬ fältigster, gründlichster Erörterungen von Fachmännern. Man vergegenwär¬ tige sich nur die Geschichte ihrer Entstehung. Die ersten Anfänge weisen auf das Jahr 1872 zurück. Als im Oktober dieses Jahres die Vertreter der höheren Schulanstalten Deutschlands zu einer Konferenz in Dresden zusammentraten, wurde die Notwendigkeit einer Regelung der Orthographie-Frage von allen Seiten anerkannt, und es wurde beschlossen behufs Herbeiführung einer Eini¬ gung „von kompetenter Seite eine Vorlage für anderweitige Beratung der Sache entwerfen zu lassen". In Folge dessen wurde derjenige Gelehrte, „der nach dem Urteil der Sachkenner um Klarlegung der Prinzipien uuserer Orthographie sich vorzugsweise verdient gemacht hat", der leider inzwischen verstorbene Pro¬ fessor Rudolf von Raumer in Erlangen, von den deutschen Regierungen be- *) Nebenbei sei bemerkt, daß dieses y seine Entstehung den lateinischen Formen Junii, Julii verdankt, welche nach alter Art Junij, Julij geschrieben wurden, wobei die Verwech¬ selung mit y nahe lag. sHat die bairische Orthographie wirklich das thörichte y in Baiern D. Red,) und bairisch beibehalten?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/370>, abgerufen am 29.06.2024.