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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Wie die Verhältnisse jetzt liegen, müssen wir sagen, daß weder Sanders
noch überhaupt ein einzelner Mann, und wäre er noch so bedeutend und an¬
erkannt von seineu Berufsgenossen, gegenwärtig Einfluß genug besitzt, um eine
orthographische Einigung herbeizuführen. Hier kann nur die Regierung Hilfe
schaffen. Und die Regierung hat geradezu die Pflicht, dies zu thun, gegenüber
der Schule. Sollen etwa die einzelnen Schulen sich selbst helfen? sich selbst
über eine Orthographie einigen, die für die betreffende Schule als maßgebend
betrachtet wird? Da würde die Verwirrung erst recht groß werden. Nach den
Individualitäten der Rektoren und Lehrer des Deutschen würden die verschie¬
densten Systeme zur Anwendung gebracht werden, und bei dem Uebergange der
Lehrer und Schüler von einer Anstalt auf die andere würden sich die übelsten
Folgen herausstellen. Und in welcher Orthographie sollen denn die Lehr¬
bücher gedruckt werden? Soll dies der Willkür und dem Belieben der Buch-
druckereien und Verlagsbuchhandlungen überlassen bleiben? Und kann Sicher¬
heit in der Rechtschreibung erzielt werden, wenn die Schüler in ihren Lehr¬
büchern eine andere Schreibweise finden, als sie selbst lernen? Unzweifelhaft
hat die oberste Schulverwaltung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht,
hier regelnd einzugreifen; und zwar jetzt um so mehr, als nicht nur die Buch-
druckereien unter Sanders' Führung Miene machen, ihre Schreibweise uns auf-
* znzwingen, sondern auch von anderer Seite her energisch gegen unseren bis¬
herigen Schreibgebrauch Sturm gelaufen wird. Ich meine das Auftrete" der
radikalen Orthographie-Reformer, welche unter Durchführung des Grund¬
satzes: "Schreibe wie du sprichst" und "Bezeichne jeden Laut mit dem ihm
zukommende" Lautzeichen", eine vollständige Umwälzung unserer Rechtschreibung
anstreben, indem sie alle überflüssigen Buchstaben wie q, z, v, pH beseitigen
und für die zusammengesetzten Buchstaben es, sah neue Zeichen einführen. Man
hat diese Rechtschreibung nach der Schreibung des Wortes Vieh, welches ein-
fach-sinnig Fi geschrieben wird, scherzhaft die Fi-Orthographie genannt.
Während dieselbe früher in der Schweiz hauptsächlich zu Hause war, hat sie
sich in neuerer Zeit uuter Führung des Rektor Frikke in Wiesbaden auch in
Deutschland weit verbreitet und viele begeisterte Anhänger gefunden, namentlich
unter den Stenographen und deu Volksschullehreru.*) Nun bin ich zwar fest
überzeugt, daß eine derartige Orthographie-Reform bei uns undurchführbar ist,
daß sie als eine bloße Spielerei anzusehen ist -- zumal die wissenschaftliche
Begründung dieser angeblich durchaus wissenschaftlichen Schreibweise auf sehr
schwachen Füßen steht --, aber es wird doch durch solche Bestrebungen die



*) Diese Richtung wird auch durch eine eigene Zeitschrift vertreten, die Red'uro,
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Wie die Verhältnisse jetzt liegen, müssen wir sagen, daß weder Sanders
noch überhaupt ein einzelner Mann, und wäre er noch so bedeutend und an¬
erkannt von seineu Berufsgenossen, gegenwärtig Einfluß genug besitzt, um eine
orthographische Einigung herbeizuführen. Hier kann nur die Regierung Hilfe
schaffen. Und die Regierung hat geradezu die Pflicht, dies zu thun, gegenüber
der Schule. Sollen etwa die einzelnen Schulen sich selbst helfen? sich selbst
über eine Orthographie einigen, die für die betreffende Schule als maßgebend
betrachtet wird? Da würde die Verwirrung erst recht groß werden. Nach den
Individualitäten der Rektoren und Lehrer des Deutschen würden die verschie¬
densten Systeme zur Anwendung gebracht werden, und bei dem Uebergange der
Lehrer und Schüler von einer Anstalt auf die andere würden sich die übelsten
Folgen herausstellen. Und in welcher Orthographie sollen denn die Lehr¬
bücher gedruckt werden? Soll dies der Willkür und dem Belieben der Buch-
druckereien und Verlagsbuchhandlungen überlassen bleiben? Und kann Sicher¬
heit in der Rechtschreibung erzielt werden, wenn die Schüler in ihren Lehr¬
büchern eine andere Schreibweise finden, als sie selbst lernen? Unzweifelhaft
hat die oberste Schulverwaltung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht,
hier regelnd einzugreifen; und zwar jetzt um so mehr, als nicht nur die Buch-
druckereien unter Sanders' Führung Miene machen, ihre Schreibweise uns auf-
* znzwingen, sondern auch von anderer Seite her energisch gegen unseren bis¬
herigen Schreibgebrauch Sturm gelaufen wird. Ich meine das Auftrete» der
radikalen Orthographie-Reformer, welche unter Durchführung des Grund¬
satzes: „Schreibe wie du sprichst" und „Bezeichne jeden Laut mit dem ihm
zukommende« Lautzeichen", eine vollständige Umwälzung unserer Rechtschreibung
anstreben, indem sie alle überflüssigen Buchstaben wie q, z, v, pH beseitigen
und für die zusammengesetzten Buchstaben es, sah neue Zeichen einführen. Man
hat diese Rechtschreibung nach der Schreibung des Wortes Vieh, welches ein-
fach-sinnig Fi geschrieben wird, scherzhaft die Fi-Orthographie genannt.
Während dieselbe früher in der Schweiz hauptsächlich zu Hause war, hat sie
sich in neuerer Zeit uuter Führung des Rektor Frikke in Wiesbaden auch in
Deutschland weit verbreitet und viele begeisterte Anhänger gefunden, namentlich
unter den Stenographen und deu Volksschullehreru.*) Nun bin ich zwar fest
überzeugt, daß eine derartige Orthographie-Reform bei uns undurchführbar ist,
daß sie als eine bloße Spielerei anzusehen ist — zumal die wissenschaftliche
Begründung dieser angeblich durchaus wissenschaftlichen Schreibweise auf sehr
schwachen Füßen steht —, aber es wird doch durch solche Bestrebungen die



*) Diese Richtung wird auch durch eine eigene Zeitschrift vertreten, die Red'uro,
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[0369] Wie die Verhältnisse jetzt liegen, müssen wir sagen, daß weder Sanders noch überhaupt ein einzelner Mann, und wäre er noch so bedeutend und an¬ erkannt von seineu Berufsgenossen, gegenwärtig Einfluß genug besitzt, um eine orthographische Einigung herbeizuführen. Hier kann nur die Regierung Hilfe schaffen. Und die Regierung hat geradezu die Pflicht, dies zu thun, gegenüber der Schule. Sollen etwa die einzelnen Schulen sich selbst helfen? sich selbst über eine Orthographie einigen, die für die betreffende Schule als maßgebend betrachtet wird? Da würde die Verwirrung erst recht groß werden. Nach den Individualitäten der Rektoren und Lehrer des Deutschen würden die verschie¬ densten Systeme zur Anwendung gebracht werden, und bei dem Uebergange der Lehrer und Schüler von einer Anstalt auf die andere würden sich die übelsten Folgen herausstellen. Und in welcher Orthographie sollen denn die Lehr¬ bücher gedruckt werden? Soll dies der Willkür und dem Belieben der Buch- druckereien und Verlagsbuchhandlungen überlassen bleiben? Und kann Sicher¬ heit in der Rechtschreibung erzielt werden, wenn die Schüler in ihren Lehr¬ büchern eine andere Schreibweise finden, als sie selbst lernen? Unzweifelhaft hat die oberste Schulverwaltung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, hier regelnd einzugreifen; und zwar jetzt um so mehr, als nicht nur die Buch- druckereien unter Sanders' Führung Miene machen, ihre Schreibweise uns auf- * znzwingen, sondern auch von anderer Seite her energisch gegen unseren bis¬ herigen Schreibgebrauch Sturm gelaufen wird. Ich meine das Auftrete» der radikalen Orthographie-Reformer, welche unter Durchführung des Grund¬ satzes: „Schreibe wie du sprichst" und „Bezeichne jeden Laut mit dem ihm zukommende« Lautzeichen", eine vollständige Umwälzung unserer Rechtschreibung anstreben, indem sie alle überflüssigen Buchstaben wie q, z, v, pH beseitigen und für die zusammengesetzten Buchstaben es, sah neue Zeichen einführen. Man hat diese Rechtschreibung nach der Schreibung des Wortes Vieh, welches ein- fach-sinnig Fi geschrieben wird, scherzhaft die Fi-Orthographie genannt. Während dieselbe früher in der Schweiz hauptsächlich zu Hause war, hat sie sich in neuerer Zeit uuter Führung des Rektor Frikke in Wiesbaden auch in Deutschland weit verbreitet und viele begeisterte Anhänger gefunden, namentlich unter den Stenographen und deu Volksschullehreru.*) Nun bin ich zwar fest überzeugt, daß eine derartige Orthographie-Reform bei uns undurchführbar ist, daß sie als eine bloße Spielerei anzusehen ist — zumal die wissenschaftliche Begründung dieser angeblich durchaus wissenschaftlichen Schreibweise auf sehr schwachen Füßen steht —, aber es wird doch durch solche Bestrebungen die *) Diese Richtung wird auch durch eine eigene Zeitschrift vertreten, die Red'uro, ^eWrikt lies »llxsmsinen tvrsinL tur tereintÄitv OsutZe rsktsreidulix.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/369>, abgerufen am 01.07.2024.