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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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aus welcher ein mehr als gewöhnlicher Verstand und ein hoher Muth hervor¬
leuchteten. Vorgeführt nämlich und von einem preußischen Soldaten höheren
Ranges befragt: "Wie viel solcher Kerls nimmt man auf sich, zehn oder
zwanzig?" gab er die Antwort: "Der Kleine schießt so gut und oft besser als
der Große." Er wurde bald als ein Franzos erkannt. Ich und die Wirthin
des Ortes steckten ihm, dem Hungernden und Dürstenden, aus Mitleid Brod,
Wurst und Branntwein zu, und den Dank, den er dafür mit sichtbarer Rüh¬
rung aussprach, wiederholte er später aufs innigste, als ich ihn einige Tage
nach der Schlacht bei Jena, während noch Truppen vorüberzogen, als einen
sehr decorirten Offizier an dem Gasthofe meines Dorfes traf. Bei meinem An¬
blick ließ er mich zu sich kommen und außer jener Danksagung mir durch einen
Dolmetscher mittheilen: er habe wohl in meinen Augen gelesen, daß ich, durch
sein stattliches Hemd aufmerksam gemacht, etwas Anderes in ihm vermuthet
Hütte, als der Schein angezeigt habe. Zugleich gab er über sein Erscheinen in
dem elenden Gewände den Aufschluß: er habe sich vou dem Kampfplatze bei
Saalfeld herüber in unsere Gegend begeben, um das Terrain zu besehen -- die
Preußen, durch sein Aeußeres getäuscht, hätten ihn einer besonderen Aufmerk¬
samkeit unwürdig gehalten und ihn laufen lassen."

"Als die Gegend, wo ich lebte, zum Kriegsschauplatze geworden und das
Kriegsgetümmel auch in unser Dorf eingedrungen war, mußte ich das furcht¬
barste Elend über mich hereinbrechen sehen. Ich wurde ausgeplündert, mein
Haus wurde ein leerer Raum, der nur an an die dagewesenen gierigen Hände
erinnerte. Meine Wirthschaft wurde zerstört. Der Umstand, daß ich Feldöeo-
nomie hatte, vergrößerte meinen Verlust. Meine Pferde nebst dem Wagen
wurden von dem preußischen Militär in Anspruch genommen, ich wurde mit
diesem meinem Eigenthums bis nach Auerstedt geschleppt, dort von den Fran¬
zosen erwischt und, da ich dem Militär nicht angehörte, ohne Pferde und Wagen
noch während der Schlacht nach Hause geschickt. In der Nähe meines Dorfes
traf ich auf eine Batterie, die auf eine andere feuerte, und mußte des Kugel¬
regens wegen zurück. Ich retirirte uach der Ilm zu, sah mich aber durch das
Heranrücken von französischer Cavallerie, welche die Preußen abzuschneiden und
gefangen zu nehmen suchte, genöthigt, in eine Hohle mich zu legen, über welche
fast ein Regiment dieser Reiter wegsprengte. Da ich wegen der im Webicht^) noch
befindlichen Füsiliere, die dort Herausschossen, nicht nach Weimar kommen konnte,
mußte ich umkehren und nordwärts nach dem Ettersberge hin mich flüchten.
In das Großkromsdorfer Pfarrhaus, in welchem ich die Habe des mir be¬
freundeten, geflüchteten Geistlichen zu Schutze" suchte, drang feindliches Militär



*) Ein Wäldchen bei Weiinnr.
Grenzboten III. 1830.

aus welcher ein mehr als gewöhnlicher Verstand und ein hoher Muth hervor¬
leuchteten. Vorgeführt nämlich und von einem preußischen Soldaten höheren
Ranges befragt: „Wie viel solcher Kerls nimmt man auf sich, zehn oder
zwanzig?" gab er die Antwort: „Der Kleine schießt so gut und oft besser als
der Große." Er wurde bald als ein Franzos erkannt. Ich und die Wirthin
des Ortes steckten ihm, dem Hungernden und Dürstenden, aus Mitleid Brod,
Wurst und Branntwein zu, und den Dank, den er dafür mit sichtbarer Rüh¬
rung aussprach, wiederholte er später aufs innigste, als ich ihn einige Tage
nach der Schlacht bei Jena, während noch Truppen vorüberzogen, als einen
sehr decorirten Offizier an dem Gasthofe meines Dorfes traf. Bei meinem An¬
blick ließ er mich zu sich kommen und außer jener Danksagung mir durch einen
Dolmetscher mittheilen: er habe wohl in meinen Augen gelesen, daß ich, durch
sein stattliches Hemd aufmerksam gemacht, etwas Anderes in ihm vermuthet
Hütte, als der Schein angezeigt habe. Zugleich gab er über sein Erscheinen in
dem elenden Gewände den Aufschluß: er habe sich vou dem Kampfplatze bei
Saalfeld herüber in unsere Gegend begeben, um das Terrain zu besehen — die
Preußen, durch sein Aeußeres getäuscht, hätten ihn einer besonderen Aufmerk¬
samkeit unwürdig gehalten und ihn laufen lassen."

„Als die Gegend, wo ich lebte, zum Kriegsschauplatze geworden und das
Kriegsgetümmel auch in unser Dorf eingedrungen war, mußte ich das furcht¬
barste Elend über mich hereinbrechen sehen. Ich wurde ausgeplündert, mein
Haus wurde ein leerer Raum, der nur an an die dagewesenen gierigen Hände
erinnerte. Meine Wirthschaft wurde zerstört. Der Umstand, daß ich Feldöeo-
nomie hatte, vergrößerte meinen Verlust. Meine Pferde nebst dem Wagen
wurden von dem preußischen Militär in Anspruch genommen, ich wurde mit
diesem meinem Eigenthums bis nach Auerstedt geschleppt, dort von den Fran¬
zosen erwischt und, da ich dem Militär nicht angehörte, ohne Pferde und Wagen
noch während der Schlacht nach Hause geschickt. In der Nähe meines Dorfes
traf ich auf eine Batterie, die auf eine andere feuerte, und mußte des Kugel¬
regens wegen zurück. Ich retirirte uach der Ilm zu, sah mich aber durch das
Heranrücken von französischer Cavallerie, welche die Preußen abzuschneiden und
gefangen zu nehmen suchte, genöthigt, in eine Hohle mich zu legen, über welche
fast ein Regiment dieser Reiter wegsprengte. Da ich wegen der im Webicht^) noch
befindlichen Füsiliere, die dort Herausschossen, nicht nach Weimar kommen konnte,
mußte ich umkehren und nordwärts nach dem Ettersberge hin mich flüchten.
In das Großkromsdorfer Pfarrhaus, in welchem ich die Habe des mir be¬
freundeten, geflüchteten Geistlichen zu Schutze« suchte, drang feindliches Militär



*) Ein Wäldchen bei Weiinnr.
Grenzboten III. 1830.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/278>, abgerufen am 23.07.2024.