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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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meinen Kräften Gutes im Kreise meiner Zöglinge zu wirken. Jedem Gegen¬
stande meines Unterrichts suchte ich eine praktische Seite abzugewinnen und
dem Grundsatz Herders folgend, daß der Mensch nicht sür die Schule, sondern
sür das Leben lernen müsse -- bemühte ich mich, meiner lieben Dorfjugend,
die von mir aufgefundene praktische Seite des Gelernten zu zeigen, damit sie
für ihre ganze Lebenszeit nützliche Fertigkeiten und Maximen in Bereitschaft
habe, von welche" bei allen Wechselfällen des Schicksals das geistige und
irdische Glück des Menschen abhängt. So war ich bestrebt, nicht nur den
Religionsunterricht möglichst fruchtbar sür das Leben zu machen, auch bei den
übrigen Lehrgegenständen, z. B. den Vorlesungen aus der Weltgeschichte, aus
der Naturkunde, der Erdbeschreibung :e., knüpfte ich (so mißbilligend auch von
gewisser Seite dies mein Verfahren als ein unchristliches verschrieen wurde)
Bemerkungen an, welche religiösen Sinn in den jungen Gemüthern erzeugen,
beleben und befestigen konnten, und welche die Augen ihres Geistes öffnen
sollten und folglich ihre Brauchbarkeit für das Leben förderten."

"Nach einigen Jahren wurde ich als Schullehrer an einen Ort*) versetzt,
in dessen Nähe 1806 die Schlacht zwischen den Preußen und Franzosen ge¬
schlagen wurde. Hier mußte ich Erfahrungen machen, die nur den Gefühlloser
gleichgiltig lassen können. Schon im Jahre 1805, als preußisches Militär in dor¬
tiger Gegend längere Zeit lag, stellten sich die Gräuel des Krieges mir in der
Barbarei dar, mit welcher damals noch der gemeine Soldat behandelt wurde.
In meinem Dorfe hatte man sogar einen ausgestopften Manu aufgestellt, an
welchem die Junker und angehenden Unteroffiziere das Fuchteln lernen sollten,
und nicht eher hielt man sie in diesem empörenden Manöver hinlänglich geübt,
als bis sie den Degen nach dem Rücken des militärischen Delinquenten so zu
schwingen verstanden, daß die Spitze desselben sich bis auf die Brust umbog.
Dies geschah noch im Jahre 1805!"

"Der erste Franzose, den ich sah, wurde, währeud noch das Schießen
von der Schlacht bei Saalfeld her in meiner Gegend gehört wurde, in zer¬
rissenen und zerlumpten Kleidern in meinen Wohnort gebracht, wo ein
preußischer General bei dem Ortsgeistlichen und ein Adjutant bei mir ein-
quartirt waren. Der Unbekannte sprach mit einem ans dem nahen Amtsorte
herbeikommenden Actuar französisch, gab sich für einen russischen Ranzivnirten
ans und wurde als ein armseliges, bejammernswertes Geschöpf herumge¬
zogen. Unter deu Lumpen auf dem Leibe desselben gewahrte ich aber ein feines
weißes Hemd, das mir auf eine Person von Range hinzudeuten schien.
Meine Vermuthung näherte sich der Gewißheit, als ich seine Rede vernahm,



Dorf Frcmkcndvrf zwischen Weiwar und Jena.

meinen Kräften Gutes im Kreise meiner Zöglinge zu wirken. Jedem Gegen¬
stande meines Unterrichts suchte ich eine praktische Seite abzugewinnen und
dem Grundsatz Herders folgend, daß der Mensch nicht sür die Schule, sondern
sür das Leben lernen müsse — bemühte ich mich, meiner lieben Dorfjugend,
die von mir aufgefundene praktische Seite des Gelernten zu zeigen, damit sie
für ihre ganze Lebenszeit nützliche Fertigkeiten und Maximen in Bereitschaft
habe, von welche» bei allen Wechselfällen des Schicksals das geistige und
irdische Glück des Menschen abhängt. So war ich bestrebt, nicht nur den
Religionsunterricht möglichst fruchtbar sür das Leben zu machen, auch bei den
übrigen Lehrgegenständen, z. B. den Vorlesungen aus der Weltgeschichte, aus
der Naturkunde, der Erdbeschreibung :e., knüpfte ich (so mißbilligend auch von
gewisser Seite dies mein Verfahren als ein unchristliches verschrieen wurde)
Bemerkungen an, welche religiösen Sinn in den jungen Gemüthern erzeugen,
beleben und befestigen konnten, und welche die Augen ihres Geistes öffnen
sollten und folglich ihre Brauchbarkeit für das Leben förderten."

„Nach einigen Jahren wurde ich als Schullehrer an einen Ort*) versetzt,
in dessen Nähe 1806 die Schlacht zwischen den Preußen und Franzosen ge¬
schlagen wurde. Hier mußte ich Erfahrungen machen, die nur den Gefühlloser
gleichgiltig lassen können. Schon im Jahre 1805, als preußisches Militär in dor¬
tiger Gegend längere Zeit lag, stellten sich die Gräuel des Krieges mir in der
Barbarei dar, mit welcher damals noch der gemeine Soldat behandelt wurde.
In meinem Dorfe hatte man sogar einen ausgestopften Manu aufgestellt, an
welchem die Junker und angehenden Unteroffiziere das Fuchteln lernen sollten,
und nicht eher hielt man sie in diesem empörenden Manöver hinlänglich geübt,
als bis sie den Degen nach dem Rücken des militärischen Delinquenten so zu
schwingen verstanden, daß die Spitze desselben sich bis auf die Brust umbog.
Dies geschah noch im Jahre 1805!"

„Der erste Franzose, den ich sah, wurde, währeud noch das Schießen
von der Schlacht bei Saalfeld her in meiner Gegend gehört wurde, in zer¬
rissenen und zerlumpten Kleidern in meinen Wohnort gebracht, wo ein
preußischer General bei dem Ortsgeistlichen und ein Adjutant bei mir ein-
quartirt waren. Der Unbekannte sprach mit einem ans dem nahen Amtsorte
herbeikommenden Actuar französisch, gab sich für einen russischen Ranzivnirten
ans und wurde als ein armseliges, bejammernswertes Geschöpf herumge¬
zogen. Unter deu Lumpen auf dem Leibe desselben gewahrte ich aber ein feines
weißes Hemd, das mir auf eine Person von Range hinzudeuten schien.
Meine Vermuthung näherte sich der Gewißheit, als ich seine Rede vernahm,



Dorf Frcmkcndvrf zwischen Weiwar und Jena.
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[0277] meinen Kräften Gutes im Kreise meiner Zöglinge zu wirken. Jedem Gegen¬ stande meines Unterrichts suchte ich eine praktische Seite abzugewinnen und dem Grundsatz Herders folgend, daß der Mensch nicht sür die Schule, sondern sür das Leben lernen müsse — bemühte ich mich, meiner lieben Dorfjugend, die von mir aufgefundene praktische Seite des Gelernten zu zeigen, damit sie für ihre ganze Lebenszeit nützliche Fertigkeiten und Maximen in Bereitschaft habe, von welche» bei allen Wechselfällen des Schicksals das geistige und irdische Glück des Menschen abhängt. So war ich bestrebt, nicht nur den Religionsunterricht möglichst fruchtbar sür das Leben zu machen, auch bei den übrigen Lehrgegenständen, z. B. den Vorlesungen aus der Weltgeschichte, aus der Naturkunde, der Erdbeschreibung :e., knüpfte ich (so mißbilligend auch von gewisser Seite dies mein Verfahren als ein unchristliches verschrieen wurde) Bemerkungen an, welche religiösen Sinn in den jungen Gemüthern erzeugen, beleben und befestigen konnten, und welche die Augen ihres Geistes öffnen sollten und folglich ihre Brauchbarkeit für das Leben förderten." „Nach einigen Jahren wurde ich als Schullehrer an einen Ort*) versetzt, in dessen Nähe 1806 die Schlacht zwischen den Preußen und Franzosen ge¬ schlagen wurde. Hier mußte ich Erfahrungen machen, die nur den Gefühlloser gleichgiltig lassen können. Schon im Jahre 1805, als preußisches Militär in dor¬ tiger Gegend längere Zeit lag, stellten sich die Gräuel des Krieges mir in der Barbarei dar, mit welcher damals noch der gemeine Soldat behandelt wurde. In meinem Dorfe hatte man sogar einen ausgestopften Manu aufgestellt, an welchem die Junker und angehenden Unteroffiziere das Fuchteln lernen sollten, und nicht eher hielt man sie in diesem empörenden Manöver hinlänglich geübt, als bis sie den Degen nach dem Rücken des militärischen Delinquenten so zu schwingen verstanden, daß die Spitze desselben sich bis auf die Brust umbog. Dies geschah noch im Jahre 1805!" „Der erste Franzose, den ich sah, wurde, währeud noch das Schießen von der Schlacht bei Saalfeld her in meiner Gegend gehört wurde, in zer¬ rissenen und zerlumpten Kleidern in meinen Wohnort gebracht, wo ein preußischer General bei dem Ortsgeistlichen und ein Adjutant bei mir ein- quartirt waren. Der Unbekannte sprach mit einem ans dem nahen Amtsorte herbeikommenden Actuar französisch, gab sich für einen russischen Ranzivnirten ans und wurde als ein armseliges, bejammernswertes Geschöpf herumge¬ zogen. Unter deu Lumpen auf dem Leibe desselben gewahrte ich aber ein feines weißes Hemd, das mir auf eine Person von Range hinzudeuten schien. Meine Vermuthung näherte sich der Gewißheit, als ich seine Rede vernahm, Dorf Frcmkcndvrf zwischen Weiwar und Jena.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/277>, abgerufen am 23.07.2024.