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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Kcmdcchars befinden, abhalten wird, einen Versuch zur Einnahme und Plünde¬
rung dieser Stadt zu unternehmen. Wenn "Luniab", der geheimnißvolle Ober¬
feldherr des Fürsten von Herat, seinen Feldzug mit demselben mehr als morgen¬
ländischen Geschicke fortsetzt, welches ihm gleich zu Anfang einen so bedeutenden
Erfolg verschaffte, so wird er vermuthlich folgendermaßen verfahren. Er wird
die Bewohner von Chalat i Gilzai benachrichtigen, daß die dortige schwache
Garnison auf rechtzeitige Verstärkung nicht zu hoffen hat, und daß die benachbarten
Stämme sie deshalb ohne Furcht vor üblen Folgen angreifen können. Er
wird ferner den Afghanen im Pischin-Thale (zwischen Quella und Kandcchar)
ankündigen lassen, daß seine Armee im Begriffe sei, in dieser Richtung abzu-
marschiren. Nachdem er auf diese Art nach den wichtigsten Richtungen hin
Aufstände hervorgerufen hat, wird er sich an die Einnahme der Citadelle von
Kandcchar machen. Die vorgängige Plünderung der Stadt wird seinen Reihen
die Tausende von Räubern und Spitzbuben zuführen, die hier und in der Um¬
gegend Hausen, während die dort betriebene Pulverfabrikation ihn in den Stand
setzen wird, die Wälle und Thürme der Citadelle mit Minen anzugreifen, mit
deuen diese gewaltigen, aber eine Annäherung leicht gestaltenden Vertheidi-
gungswerke bald zu zerstören sein würden. Indem er einen hierzu genügenden
Theil seiner Truppen zurückläßt, wird er sich mit der Hauptarmee und der
Artillerie nach Chalat i Gilzai auf den Weg machen. Nach Gazni wird er ver¬
muthlich bis auf Weiteres nicht vordringen, einmal, weil (ein sehr wichtiger
Grund für Afghanen) diese Stadt bereits einmal geplündert worden ist, dann
weil die Anhänger Musa Chans, der hier viel gilt, den Fremden von Herat
schwerlich gehorchen würden, und drittens, weil Kabul mit seiner Garnison zu
nahe läge.

Alles wird davon abhängen, wie lange sich die Engländer in der Citadelle
von Kandcchar behaupten können, und wie rasch ihnen von Quella und anderen
Orten Verstärkungen zukommen. Letztere find vor der vierten Woche des August
uicht zu erwarten. In der Citadelle vou Kandcchar befinden sich unter General
Primrose 2700 bis 3000 Mann mit 10 Geschützen. Zwischen jener Stadt und
Quella stehen an verschiedenen Punkten etwa 4000 Soldaten der indobritischen
Armee, und am Indus sammelt sich eine Brigade von 10000 Mann. Ueber
die Verprovicmtiruug der Engländer in Kandcchar lauten die Nachrichten ver¬
schieden, nach den einen litte man jetzt schon Mangel an Lebensmitteln und
Pferdefutter, nach den anderen wäre man bis zum Ende des October mit allem
Nöthigen versehen.

Die Stadt Kandcchar ist ein großes Rechteck, dessen Seiten im Norden
und Süden etwa 2200, im Osten und Westen 3600 Schritte lang sind. Sie
ist mit dicken Lehmmcniern umgeben, an denen in Zwischenräinnen von 300


Kcmdcchars befinden, abhalten wird, einen Versuch zur Einnahme und Plünde¬
rung dieser Stadt zu unternehmen. Wenn „Luniab", der geheimnißvolle Ober¬
feldherr des Fürsten von Herat, seinen Feldzug mit demselben mehr als morgen¬
ländischen Geschicke fortsetzt, welches ihm gleich zu Anfang einen so bedeutenden
Erfolg verschaffte, so wird er vermuthlich folgendermaßen verfahren. Er wird
die Bewohner von Chalat i Gilzai benachrichtigen, daß die dortige schwache
Garnison auf rechtzeitige Verstärkung nicht zu hoffen hat, und daß die benachbarten
Stämme sie deshalb ohne Furcht vor üblen Folgen angreifen können. Er
wird ferner den Afghanen im Pischin-Thale (zwischen Quella und Kandcchar)
ankündigen lassen, daß seine Armee im Begriffe sei, in dieser Richtung abzu-
marschiren. Nachdem er auf diese Art nach den wichtigsten Richtungen hin
Aufstände hervorgerufen hat, wird er sich an die Einnahme der Citadelle von
Kandcchar machen. Die vorgängige Plünderung der Stadt wird seinen Reihen
die Tausende von Räubern und Spitzbuben zuführen, die hier und in der Um¬
gegend Hausen, während die dort betriebene Pulverfabrikation ihn in den Stand
setzen wird, die Wälle und Thürme der Citadelle mit Minen anzugreifen, mit
deuen diese gewaltigen, aber eine Annäherung leicht gestaltenden Vertheidi-
gungswerke bald zu zerstören sein würden. Indem er einen hierzu genügenden
Theil seiner Truppen zurückläßt, wird er sich mit der Hauptarmee und der
Artillerie nach Chalat i Gilzai auf den Weg machen. Nach Gazni wird er ver¬
muthlich bis auf Weiteres nicht vordringen, einmal, weil (ein sehr wichtiger
Grund für Afghanen) diese Stadt bereits einmal geplündert worden ist, dann
weil die Anhänger Musa Chans, der hier viel gilt, den Fremden von Herat
schwerlich gehorchen würden, und drittens, weil Kabul mit seiner Garnison zu
nahe läge.

Alles wird davon abhängen, wie lange sich die Engländer in der Citadelle
von Kandcchar behaupten können, und wie rasch ihnen von Quella und anderen
Orten Verstärkungen zukommen. Letztere find vor der vierten Woche des August
uicht zu erwarten. In der Citadelle vou Kandcchar befinden sich unter General
Primrose 2700 bis 3000 Mann mit 10 Geschützen. Zwischen jener Stadt und
Quella stehen an verschiedenen Punkten etwa 4000 Soldaten der indobritischen
Armee, und am Indus sammelt sich eine Brigade von 10000 Mann. Ueber
die Verprovicmtiruug der Engländer in Kandcchar lauten die Nachrichten ver¬
schieden, nach den einen litte man jetzt schon Mangel an Lebensmitteln und
Pferdefutter, nach den anderen wäre man bis zum Ende des October mit allem
Nöthigen versehen.

Die Stadt Kandcchar ist ein großes Rechteck, dessen Seiten im Norden
und Süden etwa 2200, im Osten und Westen 3600 Schritte lang sind. Sie
ist mit dicken Lehmmcniern umgeben, an denen in Zwischenräinnen von 300


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[0269] Kcmdcchars befinden, abhalten wird, einen Versuch zur Einnahme und Plünde¬ rung dieser Stadt zu unternehmen. Wenn „Luniab", der geheimnißvolle Ober¬ feldherr des Fürsten von Herat, seinen Feldzug mit demselben mehr als morgen¬ ländischen Geschicke fortsetzt, welches ihm gleich zu Anfang einen so bedeutenden Erfolg verschaffte, so wird er vermuthlich folgendermaßen verfahren. Er wird die Bewohner von Chalat i Gilzai benachrichtigen, daß die dortige schwache Garnison auf rechtzeitige Verstärkung nicht zu hoffen hat, und daß die benachbarten Stämme sie deshalb ohne Furcht vor üblen Folgen angreifen können. Er wird ferner den Afghanen im Pischin-Thale (zwischen Quella und Kandcchar) ankündigen lassen, daß seine Armee im Begriffe sei, in dieser Richtung abzu- marschiren. Nachdem er auf diese Art nach den wichtigsten Richtungen hin Aufstände hervorgerufen hat, wird er sich an die Einnahme der Citadelle von Kandcchar machen. Die vorgängige Plünderung der Stadt wird seinen Reihen die Tausende von Räubern und Spitzbuben zuführen, die hier und in der Um¬ gegend Hausen, während die dort betriebene Pulverfabrikation ihn in den Stand setzen wird, die Wälle und Thürme der Citadelle mit Minen anzugreifen, mit deuen diese gewaltigen, aber eine Annäherung leicht gestaltenden Vertheidi- gungswerke bald zu zerstören sein würden. Indem er einen hierzu genügenden Theil seiner Truppen zurückläßt, wird er sich mit der Hauptarmee und der Artillerie nach Chalat i Gilzai auf den Weg machen. Nach Gazni wird er ver¬ muthlich bis auf Weiteres nicht vordringen, einmal, weil (ein sehr wichtiger Grund für Afghanen) diese Stadt bereits einmal geplündert worden ist, dann weil die Anhänger Musa Chans, der hier viel gilt, den Fremden von Herat schwerlich gehorchen würden, und drittens, weil Kabul mit seiner Garnison zu nahe läge. Alles wird davon abhängen, wie lange sich die Engländer in der Citadelle von Kandcchar behaupten können, und wie rasch ihnen von Quella und anderen Orten Verstärkungen zukommen. Letztere find vor der vierten Woche des August uicht zu erwarten. In der Citadelle vou Kandcchar befinden sich unter General Primrose 2700 bis 3000 Mann mit 10 Geschützen. Zwischen jener Stadt und Quella stehen an verschiedenen Punkten etwa 4000 Soldaten der indobritischen Armee, und am Indus sammelt sich eine Brigade von 10000 Mann. Ueber die Verprovicmtiruug der Engländer in Kandcchar lauten die Nachrichten ver¬ schieden, nach den einen litte man jetzt schon Mangel an Lebensmitteln und Pferdefutter, nach den anderen wäre man bis zum Ende des October mit allem Nöthigen versehen. Die Stadt Kandcchar ist ein großes Rechteck, dessen Seiten im Norden und Süden etwa 2200, im Osten und Westen 3600 Schritte lang sind. Sie ist mit dicken Lehmmcniern umgeben, an denen in Zwischenräinnen von 300

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/269>, abgerufen am 03.07.2024.