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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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sich selbst einreden, daß eine Invasion Indiens von Westen her ein Ding der
Unmöglichkeit ist.

In gewissem Sinne kommt die Niederlage der Engländer bei Kandcchar
diesen gelegen; denn sie muß den bisherigen Schützling derselben Abdul Xcichmcm
hinsichtlich seiner wahren und eigentlichen Gesinnung auf die Probe stellen.
Derselbe wird nunmehr Farbe bekennen müssen. Zeigt er sich bei der jetzigen
Lage der Dinge nicht ganz offen und, ohne Mißdeutung zuzulassen, freundlich
und ergeben gesinnt gegen England, so muß er als Feind betrachtet und be¬
handelt werden. England kann von ihm natürlich keinen aktiven Beistand an¬
nehmen; denn er ist der Diener und das Geschöpf der Engländer. Wohl aber
kann und muß man von ihm fordern, daß Kohistcm und alle nördlich von Kabul
gelegenen Landstriche Afghanistans unbedingt ruhig bleiben. England hat bis
jetzt Verpflichtungen gegen ihn nur auf dem Papier übernommen, und beim
ersten Zweifel an feiner Aufrichtigkeit sollte dieses Papier zerrissen werden.
Schon das erregte Verdacht gegen ihn, daß er abgelehnt hat, im Durbar des
englischen Lagers zu erscheinen, weil eine solche Betheiligung an eiuer Berathung
der Fremden von seinen Anhängern im Norden falsch gedeutet werden könne
und es nützlich fein werde, sie bei guter Stimmung zu erhalten. Solche Gründe
sind nicht bloß nicht stichhaltig, sondern geradezu unverschämt, da sie von der
Voraussetzung ausgehen, die Engländer seien nicht im Stande, gegen die Launen
seiner turkestanischen Landwehr zu handeln, und auf seinen Wunsch schließen
lassen, die Emirwürde mit möglichst wenig freundschaftlicher Miene aus den
Händen Englands zu übernehme:?. Herr Lepel Griffin hat allerdings Auftrag,
den ehemaligen Schützling und Pensionär der russischen Regierung so glimpflich
als thunlich zu behandeln und ihm die Sache leicht zu machen, aber wenn er
von der Würde Englands opfert, um Abdul Xcichmcms eingebildete Gefolg¬
schaft zufrieden zu stellen, so gefährdet er die zukünftigen englischen Beziehungen
zum Hofe von Kabul. Der Prätendent aus dem Norden muß begreifen, daß
er seine Stellung der englischen Politik verdankt, und seine Anhänger müssen
sich an diesen Gedanken gleichermaßen gewöhnen. Die vorzeitige Zurückziehung
der englischen Streitkräfte aus Afghanistan, die Herr Gladstone im Auge hatte,
ist durch Ajubs Erscheinen im Süden des Landes und seinen Sieg bei Kan¬
dcchar peremptorisch unterbrochen worden. Dies kann trotz alledem und alle-
dem kaum als eine Thatsache betrachtet werden, die mehr ein Unglück als ein
Vortheil ist. Es ist eine nützliche Warnung; denn es ist besser, jetzt im Süden
eine Niederlage zu erleiden, als drei Monate später eine auf der Linie des
Chaiber-Passes unseligen Angedenkens.

Was Ajub Chan jetzt zu thun gedenkt, läßt sich natürlich nicht sagen. Ge¬
wiß scheint uur, daß nichts die Heratis, die sich nunmehr vor den Mauern


sich selbst einreden, daß eine Invasion Indiens von Westen her ein Ding der
Unmöglichkeit ist.

In gewissem Sinne kommt die Niederlage der Engländer bei Kandcchar
diesen gelegen; denn sie muß den bisherigen Schützling derselben Abdul Xcichmcm
hinsichtlich seiner wahren und eigentlichen Gesinnung auf die Probe stellen.
Derselbe wird nunmehr Farbe bekennen müssen. Zeigt er sich bei der jetzigen
Lage der Dinge nicht ganz offen und, ohne Mißdeutung zuzulassen, freundlich
und ergeben gesinnt gegen England, so muß er als Feind betrachtet und be¬
handelt werden. England kann von ihm natürlich keinen aktiven Beistand an¬
nehmen; denn er ist der Diener und das Geschöpf der Engländer. Wohl aber
kann und muß man von ihm fordern, daß Kohistcm und alle nördlich von Kabul
gelegenen Landstriche Afghanistans unbedingt ruhig bleiben. England hat bis
jetzt Verpflichtungen gegen ihn nur auf dem Papier übernommen, und beim
ersten Zweifel an feiner Aufrichtigkeit sollte dieses Papier zerrissen werden.
Schon das erregte Verdacht gegen ihn, daß er abgelehnt hat, im Durbar des
englischen Lagers zu erscheinen, weil eine solche Betheiligung an eiuer Berathung
der Fremden von seinen Anhängern im Norden falsch gedeutet werden könne
und es nützlich fein werde, sie bei guter Stimmung zu erhalten. Solche Gründe
sind nicht bloß nicht stichhaltig, sondern geradezu unverschämt, da sie von der
Voraussetzung ausgehen, die Engländer seien nicht im Stande, gegen die Launen
seiner turkestanischen Landwehr zu handeln, und auf seinen Wunsch schließen
lassen, die Emirwürde mit möglichst wenig freundschaftlicher Miene aus den
Händen Englands zu übernehme:?. Herr Lepel Griffin hat allerdings Auftrag,
den ehemaligen Schützling und Pensionär der russischen Regierung so glimpflich
als thunlich zu behandeln und ihm die Sache leicht zu machen, aber wenn er
von der Würde Englands opfert, um Abdul Xcichmcms eingebildete Gefolg¬
schaft zufrieden zu stellen, so gefährdet er die zukünftigen englischen Beziehungen
zum Hofe von Kabul. Der Prätendent aus dem Norden muß begreifen, daß
er seine Stellung der englischen Politik verdankt, und seine Anhänger müssen
sich an diesen Gedanken gleichermaßen gewöhnen. Die vorzeitige Zurückziehung
der englischen Streitkräfte aus Afghanistan, die Herr Gladstone im Auge hatte,
ist durch Ajubs Erscheinen im Süden des Landes und seinen Sieg bei Kan¬
dcchar peremptorisch unterbrochen worden. Dies kann trotz alledem und alle-
dem kaum als eine Thatsache betrachtet werden, die mehr ein Unglück als ein
Vortheil ist. Es ist eine nützliche Warnung; denn es ist besser, jetzt im Süden
eine Niederlage zu erleiden, als drei Monate später eine auf der Linie des
Chaiber-Passes unseligen Angedenkens.

Was Ajub Chan jetzt zu thun gedenkt, läßt sich natürlich nicht sagen. Ge¬
wiß scheint uur, daß nichts die Heratis, die sich nunmehr vor den Mauern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/268>, abgerufen am 03.07.2024.