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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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schlössen ist und die dortige englische Garnison Mangel all Lebensmitteln leidet,
sind von besonderem Interesse. Indeß verträgt sich die erstere nicht mit dem
früheren Telegramm Primroses, und die zweite ist deshalb kaum begründet,
weil sie aus Quella stammt und der Weg von Chalat i Gilzai nach dieser
Stadt zu weit ist, als daß Kunde von dort so rasch hier hätte eintreffen können.
Daß die Garnison von Chalat i Galzai schwer bedroht, daß der Ort schon
eingeschlossen sein und daß es dort an Lebensmitteln fehlen kann, soll damit
nicht in Abrede gestellt werden.

Den gegenwärtigen britischen Staatslenkern ist, mag sich das alles verhalten,
wie es will, durch Ajub Chans Marsch von Herat eine sehr ernste und bedeu¬
tungsvolle Lection vertheilt worden. Auf jene Stadt des fernen Westens ist
ganz plötzlich ein seltsames Licht gefallen, durch das sie an der entlegenen,
dunkeln Grenze Afghanistans als ein hellglänzendes Feuerzeichen der Gefahr
hervortritt, welches seinen drohenden und warnenden Schein über die ganze
lange Straße hinwirft, die der Feind der britischen Macht so leicht und unge¬
hindert in verhältnißmäßig kurzer Zeit hinter sich ließ. Das Treffen bei Chnschk
i Nachud bringt Herat den britischen Besitzungen in Ostindien um 1000 engli¬
sche Meilen näher, versetzt es wie mit einem Zauberschlage auf das gegenwär¬
tige Operatiousgebiet und enthüllt uns von neuem die von den Freunden Ru߬
lands so oft geleugnete Wahrheit, daß diese scheinbar so entfernte Grenzstadt
für England eine bösartige Nachbarin, daß sie, wie zu alten Zeiten, so auch
heutzutage noch der eigentliche Schlüssel zum Thore Indiens und die erste
Station zu dessen Eroberung ist. Die, welche noch jetzt an die Harmlosigkeit
Rußlands glauben und der Meinung sind, daß England nicht angegriffen werden
kann, wenn es hinter der Linie des Indus verbleibt, sollten sich das soeben
Geschehene zur Lehre dienen lassen. Wenn Ajub Chan mit einer Armee, bei
der sich eine verhältnißmäßig starke Artillerie befand, in so kurzer Zeit von
Herat bis Kandcchar marschiren konnte, wie sollte das einem besser gerüsteten
Feinde Englands nicht gleichfalls möglich sein? Immer haben die Politiker
von der Gladstoneschen Schule, die den Frieden um jeden Preis erstreben, be¬
hauptet, Herat sei von Indien viel zu weit entfernt, um Befürchtungen zu er¬
wecken, um sich in die Operationen des afghanischen Krieges zu mischen, um
die englischen Staatsmänner zu nöthigen, ihre Blicke dahin zu wenden. Ajub
Chan hat diese jetzt am Ruder des britischen Staatsschiffs stehenden Politiker
praktisch des Irrthums überführt. Er hat mit einer Artillerie, welche die
Schwierigkeiten des Weges ohne Schaden überwand, und einer Armee, welche
in guter Verfassung für den Kampf geblieben, Kandcchar erreicht. Nur die, welche
an die Unfehlbarkeit der Landkarten glauben, können jetzt noch vorgeben oder


schlössen ist und die dortige englische Garnison Mangel all Lebensmitteln leidet,
sind von besonderem Interesse. Indeß verträgt sich die erstere nicht mit dem
früheren Telegramm Primroses, und die zweite ist deshalb kaum begründet,
weil sie aus Quella stammt und der Weg von Chalat i Gilzai nach dieser
Stadt zu weit ist, als daß Kunde von dort so rasch hier hätte eintreffen können.
Daß die Garnison von Chalat i Galzai schwer bedroht, daß der Ort schon
eingeschlossen sein und daß es dort an Lebensmitteln fehlen kann, soll damit
nicht in Abrede gestellt werden.

Den gegenwärtigen britischen Staatslenkern ist, mag sich das alles verhalten,
wie es will, durch Ajub Chans Marsch von Herat eine sehr ernste und bedeu¬
tungsvolle Lection vertheilt worden. Auf jene Stadt des fernen Westens ist
ganz plötzlich ein seltsames Licht gefallen, durch das sie an der entlegenen,
dunkeln Grenze Afghanistans als ein hellglänzendes Feuerzeichen der Gefahr
hervortritt, welches seinen drohenden und warnenden Schein über die ganze
lange Straße hinwirft, die der Feind der britischen Macht so leicht und unge¬
hindert in verhältnißmäßig kurzer Zeit hinter sich ließ. Das Treffen bei Chnschk
i Nachud bringt Herat den britischen Besitzungen in Ostindien um 1000 engli¬
sche Meilen näher, versetzt es wie mit einem Zauberschlage auf das gegenwär¬
tige Operatiousgebiet und enthüllt uns von neuem die von den Freunden Ru߬
lands so oft geleugnete Wahrheit, daß diese scheinbar so entfernte Grenzstadt
für England eine bösartige Nachbarin, daß sie, wie zu alten Zeiten, so auch
heutzutage noch der eigentliche Schlüssel zum Thore Indiens und die erste
Station zu dessen Eroberung ist. Die, welche noch jetzt an die Harmlosigkeit
Rußlands glauben und der Meinung sind, daß England nicht angegriffen werden
kann, wenn es hinter der Linie des Indus verbleibt, sollten sich das soeben
Geschehene zur Lehre dienen lassen. Wenn Ajub Chan mit einer Armee, bei
der sich eine verhältnißmäßig starke Artillerie befand, in so kurzer Zeit von
Herat bis Kandcchar marschiren konnte, wie sollte das einem besser gerüsteten
Feinde Englands nicht gleichfalls möglich sein? Immer haben die Politiker
von der Gladstoneschen Schule, die den Frieden um jeden Preis erstreben, be¬
hauptet, Herat sei von Indien viel zu weit entfernt, um Befürchtungen zu er¬
wecken, um sich in die Operationen des afghanischen Krieges zu mischen, um
die englischen Staatsmänner zu nöthigen, ihre Blicke dahin zu wenden. Ajub
Chan hat diese jetzt am Ruder des britischen Staatsschiffs stehenden Politiker
praktisch des Irrthums überführt. Er hat mit einer Artillerie, welche die
Schwierigkeiten des Weges ohne Schaden überwand, und einer Armee, welche
in guter Verfassung für den Kampf geblieben, Kandcchar erreicht. Nur die, welche
an die Unfehlbarkeit der Landkarten glauben, können jetzt noch vorgeben oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/267>, abgerufen am 03.07.2024.