Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Normalprofil des Flußbettes künstlich und correct erzeugt zu haben. So hat
man unverdrossen geschafft und gezahlt, gehofft und geharrt viele Jahrzehnte
lang! -- Und die Resultate? Ueberaus lehrreich sind sie.

1. Der Rhein. Die Wasserverhältnisse am Mittelrhein verschlimmern sich von
Jahr zu Jahr, und Jahr aus Jahr ein Protestiren die Betheiligten einstimmig
gegen die herrschende Wasserwirthschaft, welche ohne irgendwie heilsame Erfolge
für viele Millionen Steinmaterial in den Strom werfen läßt. Der Jnterpellation
des Abgeordneten Scipio zufolge lagen anfangs Oetober bis Mitte December
1876 auf der Nheinstrecke oberhalb des Roxheimer Loches, zwischen Mannheim
und Worms 100 Schiffe "unfreiwillig" vor Anker. In dem Befundprotocolle
wurde festgestellt, daß bei Ankunft der Commission oberhalb Wesel bei Orsoh eine
ganze Reihe von leeren, bei günstigem Winde zu Berge fahrenden Segelschiffen
einen längeren oder kürzeren Aufenthalt erfuhren, da sie zur Ueberwindung
der starken Strömung auf eine günstige Brise warteten oder sich dazu des mit dem
Durchschleppen beschäftigten Dampfschiffes bedienten. Währenddem war die Com¬
mission Zeuge, wie zwei Segelschiffe auf das rechtfertige Sandfeld geriethen und
dort festfuhren. Der Reichs-Anzeiger vom 8 November 1876 theilt mit, daß
fast täglich Segelschiffe festfahren und viele Leck bekommen. Durch die Ver¬
sandung des Rheinbettes bei Nassum, Brackel und Bommel wurde im Anfang
des Jahres 1877 die Rheiuschifffahrt derartig gehemmt, daß etwa 400 Schiffe
theils oberhalb, theils unterhalb der versandeten Fahrrinne liegen bleiben mußten,
und nach Ansicht der Sachverständigen steht die Wiederkehr solcher Versan¬
dungen zu erwarten.

2. Die Weser. In der ministeriellen Schrift: "Die Wasserstraßen in
Preußen :c." (Berlin, 1875) werden als die kleinsten Fahrtiefen bei gewöhn¬
lichem Wasser angegeben die Tiefen: 0,80 M. von Münden bis Hameln,
1,00 M. vou Hameln bis Bremen, und in der ministeriellen Denkschrift
"betreffend die im preußischen Staate vorhandenen Wasserstraßen :c." (Berlin,
1877) wird gesagt, daß die in den letzten 50 Jahren ausgeführten Corrections-
bauten in der oberen und mittleren Weser wesentlich zur Erleichterung der
Schifffahrt beigetragen haben. Dem entgegen theilt die Oberweser - Schlepp-
dampsschifffahrt in einem amtlichen Bericht mit, daß ihr neuer Dampfer mit
nur 0,63 M. Tiefgang sich zwar bewährt habe, daß aber die so oft als er¬
reichbar hingestellte Tiefe des Fahrwassers von 1,0 M. Tiefe möglichst bald
hergestellt werden müsse, weil eine Unterbrechung von zwei bis drei Monaten
wie bisher den so wünschenswerten Aufschwung der Weserschifffahrt aufs be¬
denklichste in Frage stelle. Bei, dem Jammer der Schifffahrt in der Unter¬
weser mögen die frühere Kleinstaaterei und die jetzige Stromregulirungstheorie
in die Schuld sich theilen.


Normalprofil des Flußbettes künstlich und correct erzeugt zu haben. So hat
man unverdrossen geschafft und gezahlt, gehofft und geharrt viele Jahrzehnte
lang! — Und die Resultate? Ueberaus lehrreich sind sie.

1. Der Rhein. Die Wasserverhältnisse am Mittelrhein verschlimmern sich von
Jahr zu Jahr, und Jahr aus Jahr ein Protestiren die Betheiligten einstimmig
gegen die herrschende Wasserwirthschaft, welche ohne irgendwie heilsame Erfolge
für viele Millionen Steinmaterial in den Strom werfen läßt. Der Jnterpellation
des Abgeordneten Scipio zufolge lagen anfangs Oetober bis Mitte December
1876 auf der Nheinstrecke oberhalb des Roxheimer Loches, zwischen Mannheim
und Worms 100 Schiffe „unfreiwillig" vor Anker. In dem Befundprotocolle
wurde festgestellt, daß bei Ankunft der Commission oberhalb Wesel bei Orsoh eine
ganze Reihe von leeren, bei günstigem Winde zu Berge fahrenden Segelschiffen
einen längeren oder kürzeren Aufenthalt erfuhren, da sie zur Ueberwindung
der starken Strömung auf eine günstige Brise warteten oder sich dazu des mit dem
Durchschleppen beschäftigten Dampfschiffes bedienten. Währenddem war die Com¬
mission Zeuge, wie zwei Segelschiffe auf das rechtfertige Sandfeld geriethen und
dort festfuhren. Der Reichs-Anzeiger vom 8 November 1876 theilt mit, daß
fast täglich Segelschiffe festfahren und viele Leck bekommen. Durch die Ver¬
sandung des Rheinbettes bei Nassum, Brackel und Bommel wurde im Anfang
des Jahres 1877 die Rheiuschifffahrt derartig gehemmt, daß etwa 400 Schiffe
theils oberhalb, theils unterhalb der versandeten Fahrrinne liegen bleiben mußten,
und nach Ansicht der Sachverständigen steht die Wiederkehr solcher Versan¬
dungen zu erwarten.

2. Die Weser. In der ministeriellen Schrift: „Die Wasserstraßen in
Preußen :c." (Berlin, 1875) werden als die kleinsten Fahrtiefen bei gewöhn¬
lichem Wasser angegeben die Tiefen: 0,80 M. von Münden bis Hameln,
1,00 M. vou Hameln bis Bremen, und in der ministeriellen Denkschrift
„betreffend die im preußischen Staate vorhandenen Wasserstraßen :c." (Berlin,
1877) wird gesagt, daß die in den letzten 50 Jahren ausgeführten Corrections-
bauten in der oberen und mittleren Weser wesentlich zur Erleichterung der
Schifffahrt beigetragen haben. Dem entgegen theilt die Oberweser - Schlepp-
dampsschifffahrt in einem amtlichen Bericht mit, daß ihr neuer Dampfer mit
nur 0,63 M. Tiefgang sich zwar bewährt habe, daß aber die so oft als er¬
reichbar hingestellte Tiefe des Fahrwassers von 1,0 M. Tiefe möglichst bald
hergestellt werden müsse, weil eine Unterbrechung von zwei bis drei Monaten
wie bisher den so wünschenswerten Aufschwung der Weserschifffahrt aufs be¬
denklichste in Frage stelle. Bei, dem Jammer der Schifffahrt in der Unter¬
weser mögen die frühere Kleinstaaterei und die jetzige Stromregulirungstheorie
in die Schuld sich theilen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147252"/>
            <p xml:id="ID_431" prev="#ID_430"> Normalprofil des Flußbettes künstlich und correct erzeugt zu haben. So hat<lb/>
man unverdrossen geschafft und gezahlt, gehofft und geharrt viele Jahrzehnte<lb/>
lang! &#x2014; Und die Resultate? Ueberaus lehrreich sind sie.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_432"> 1. Der Rhein. Die Wasserverhältnisse am Mittelrhein verschlimmern sich von<lb/>
Jahr zu Jahr, und Jahr aus Jahr ein Protestiren die Betheiligten einstimmig<lb/>
gegen die herrschende Wasserwirthschaft, welche ohne irgendwie heilsame Erfolge<lb/>
für viele Millionen Steinmaterial in den Strom werfen läßt. Der Jnterpellation<lb/>
des Abgeordneten Scipio zufolge lagen anfangs Oetober bis Mitte December<lb/>
1876 auf der Nheinstrecke oberhalb des Roxheimer Loches, zwischen Mannheim<lb/>
und Worms 100 Schiffe &#x201E;unfreiwillig" vor Anker. In dem Befundprotocolle<lb/>
wurde festgestellt, daß bei Ankunft der Commission oberhalb Wesel bei Orsoh eine<lb/>
ganze Reihe von leeren, bei günstigem Winde zu Berge fahrenden Segelschiffen<lb/>
einen längeren oder kürzeren Aufenthalt erfuhren, da sie zur Ueberwindung<lb/>
der starken Strömung auf eine günstige Brise warteten oder sich dazu des mit dem<lb/>
Durchschleppen beschäftigten Dampfschiffes bedienten. Währenddem war die Com¬<lb/>
mission Zeuge, wie zwei Segelschiffe auf das rechtfertige Sandfeld geriethen und<lb/>
dort festfuhren. Der Reichs-Anzeiger vom 8 November 1876 theilt mit, daß<lb/>
fast täglich Segelschiffe festfahren und viele Leck bekommen. Durch die Ver¬<lb/>
sandung des Rheinbettes bei Nassum, Brackel und Bommel wurde im Anfang<lb/>
des Jahres 1877 die Rheiuschifffahrt derartig gehemmt, daß etwa 400 Schiffe<lb/>
theils oberhalb, theils unterhalb der versandeten Fahrrinne liegen bleiben mußten,<lb/>
und nach Ansicht der Sachverständigen steht die Wiederkehr solcher Versan¬<lb/>
dungen zu erwarten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_433"> 2. Die Weser. In der ministeriellen Schrift: &#x201E;Die Wasserstraßen in<lb/>
Preußen :c." (Berlin, 1875) werden als die kleinsten Fahrtiefen bei gewöhn¬<lb/>
lichem Wasser angegeben die Tiefen: 0,80 M. von Münden bis Hameln,<lb/>
1,00 M. vou Hameln bis Bremen, und in der ministeriellen Denkschrift<lb/>
&#x201E;betreffend die im preußischen Staate vorhandenen Wasserstraßen :c." (Berlin,<lb/>
1877) wird gesagt, daß die in den letzten 50 Jahren ausgeführten Corrections-<lb/>
bauten in der oberen und mittleren Weser wesentlich zur Erleichterung der<lb/>
Schifffahrt beigetragen haben. Dem entgegen theilt die Oberweser - Schlepp-<lb/>
dampsschifffahrt in einem amtlichen Bericht mit, daß ihr neuer Dampfer mit<lb/>
nur 0,63 M. Tiefgang sich zwar bewährt habe, daß aber die so oft als er¬<lb/>
reichbar hingestellte Tiefe des Fahrwassers von 1,0 M. Tiefe möglichst bald<lb/>
hergestellt werden müsse, weil eine Unterbrechung von zwei bis drei Monaten<lb/>
wie bisher den so wünschenswerten Aufschwung der Weserschifffahrt aufs be¬<lb/>
denklichste in Frage stelle. Bei, dem Jammer der Schifffahrt in der Unter¬<lb/>
weser mögen die frühere Kleinstaaterei und die jetzige Stromregulirungstheorie<lb/>
in die Schuld sich theilen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] Normalprofil des Flußbettes künstlich und correct erzeugt zu haben. So hat man unverdrossen geschafft und gezahlt, gehofft und geharrt viele Jahrzehnte lang! — Und die Resultate? Ueberaus lehrreich sind sie. 1. Der Rhein. Die Wasserverhältnisse am Mittelrhein verschlimmern sich von Jahr zu Jahr, und Jahr aus Jahr ein Protestiren die Betheiligten einstimmig gegen die herrschende Wasserwirthschaft, welche ohne irgendwie heilsame Erfolge für viele Millionen Steinmaterial in den Strom werfen läßt. Der Jnterpellation des Abgeordneten Scipio zufolge lagen anfangs Oetober bis Mitte December 1876 auf der Nheinstrecke oberhalb des Roxheimer Loches, zwischen Mannheim und Worms 100 Schiffe „unfreiwillig" vor Anker. In dem Befundprotocolle wurde festgestellt, daß bei Ankunft der Commission oberhalb Wesel bei Orsoh eine ganze Reihe von leeren, bei günstigem Winde zu Berge fahrenden Segelschiffen einen längeren oder kürzeren Aufenthalt erfuhren, da sie zur Ueberwindung der starken Strömung auf eine günstige Brise warteten oder sich dazu des mit dem Durchschleppen beschäftigten Dampfschiffes bedienten. Währenddem war die Com¬ mission Zeuge, wie zwei Segelschiffe auf das rechtfertige Sandfeld geriethen und dort festfuhren. Der Reichs-Anzeiger vom 8 November 1876 theilt mit, daß fast täglich Segelschiffe festfahren und viele Leck bekommen. Durch die Ver¬ sandung des Rheinbettes bei Nassum, Brackel und Bommel wurde im Anfang des Jahres 1877 die Rheiuschifffahrt derartig gehemmt, daß etwa 400 Schiffe theils oberhalb, theils unterhalb der versandeten Fahrrinne liegen bleiben mußten, und nach Ansicht der Sachverständigen steht die Wiederkehr solcher Versan¬ dungen zu erwarten. 2. Die Weser. In der ministeriellen Schrift: „Die Wasserstraßen in Preußen :c." (Berlin, 1875) werden als die kleinsten Fahrtiefen bei gewöhn¬ lichem Wasser angegeben die Tiefen: 0,80 M. von Münden bis Hameln, 1,00 M. vou Hameln bis Bremen, und in der ministeriellen Denkschrift „betreffend die im preußischen Staate vorhandenen Wasserstraßen :c." (Berlin, 1877) wird gesagt, daß die in den letzten 50 Jahren ausgeführten Corrections- bauten in der oberen und mittleren Weser wesentlich zur Erleichterung der Schifffahrt beigetragen haben. Dem entgegen theilt die Oberweser - Schlepp- dampsschifffahrt in einem amtlichen Bericht mit, daß ihr neuer Dampfer mit nur 0,63 M. Tiefgang sich zwar bewährt habe, daß aber die so oft als er¬ reichbar hingestellte Tiefe des Fahrwassers von 1,0 M. Tiefe möglichst bald hergestellt werden müsse, weil eine Unterbrechung von zwei bis drei Monaten wie bisher den so wünschenswerten Aufschwung der Weserschifffahrt aufs be¬ denklichste in Frage stelle. Bei, dem Jammer der Schifffahrt in der Unter¬ weser mögen die frühere Kleinstaaterei und die jetzige Stromregulirungstheorie in die Schuld sich theilen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/165>, abgerufen am 23.07.2024.