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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Afrikas durch die großartigsten Beispiele bewiesen haben, sind nnr von einigen
Culturvölkern Europas und von diesen anch uur in sehr schwächlichen Anwen¬
dungen benutzt worden; in den meisten Ländern Europas verließen die Hydro¬
techniker das naturwüchsige, rationelle System der Vertheiln:: g der Gewässer
und verfielen dem naturwidriger, irrationeller System der Beschränkung der
Gewässer, ihrer sogenannten Regulirung durch Deiche und Einbänden. Die
Unrichtigkeit dieses Systems, der sogenannten Stromreguliruugen, haben den
Culturvölkern Europas unausgesetzt die schmerzlichsten, bittersten Erfahrungen
eingetragen und in England, Belgien und Frankreich die Umkehr endlich ver¬
anlaßt; in Holland, der Schweiz und vor allem in Deutschland aber hält man
noch immer an dem althergebrachten, lieb und theuer gewordenen Irrthum fest
und wirft nicht allein Jahr aus Jahr ein dafür Millionen ins Wasser, son¬
dern verwendet sie zum Nachtheil unserer Culturentwickelung für schadenbrin¬
gende Anlagen. Und die Ursache dieser unbegreiflichen Erscheinung? -- Wie
auf unseren Gymnasien eine klassische Bildung erstrebt wird und mau doch
kaum mehr als eine linguistische Bildung zeitigt, so erstrebt man auf den
technischen Hochschulen wissenschaftliche Hydrotechnik und zeitigt kaum
mehr als die geglaubten Dogmen einer mathematischen Hydraulik.

Mit dem sogenannten Flußregulirungssystem operirt man bis auf den
heutigen Tag noch folgendermaßen. Geleitet von dem Vorurtheil, daß Sohle
und Ufer eiues Flusses durch künstliche Quer- und Längswerke, Uferbefestigungen
und Grmidschwellen so umgebildet werden können, daß sie im Stande seien die
Strömung zu leiten und zusammenzuhalten, und daß dadurch die Strömung
gezwungen werden könne alle natürlichen Unregelmäßigkeiten des Bettes und
der Richtung des Stromes, durch welche Versandung seines Bettes und Ver¬
sumpfung seiner Gelände eintreten könnte, selbstthätig zu beseitigen, baut man
Buhnen oder Parallelwerke in den Strom. Buhnen sind Quereinbauten
aus Faschinen und Bruchsteinen hergestellt, in Form von niedrigen und ver¬
hältnißmäßig kurzen Dämmen. Durch dieselben will mau das strömende Wasser
zwingen, diejenigen Theile des Ufers, welche abgetrieben und diejenigen Theile
der Sohlen, welche vertieft werden sollen, anzugreifen, allmählich mit sich fort¬
zuführen und all denjenigen Stellen des Flußbettes wieder abzulagern, an welchen
man Anschwemmungen zu erzeugen wünscht. Auf diese Weite hofft und erstrebt
man, in dem Fluß allmählich diejenige Breite und Tiefe herstellen zu können,
welche der Schifffahrt förderlich und dienstlich ist. Parallelwerke sind Längs-
einbauten in ähnlicher Form wie die Buhnen und werden in entsprechender
Eutfernung vom Ufer und in paralleler Richtung mit ihm in den Fluß gebaut.
Durch sie will man dieselben Zwecke erreichen, in kürzerer Zeit aber, weil man
glaubt, durch diese Werke neue Flußufer gebildet und dadurch das gewünschte


Afrikas durch die großartigsten Beispiele bewiesen haben, sind nnr von einigen
Culturvölkern Europas und von diesen anch uur in sehr schwächlichen Anwen¬
dungen benutzt worden; in den meisten Ländern Europas verließen die Hydro¬
techniker das naturwüchsige, rationelle System der Vertheiln:: g der Gewässer
und verfielen dem naturwidriger, irrationeller System der Beschränkung der
Gewässer, ihrer sogenannten Regulirung durch Deiche und Einbänden. Die
Unrichtigkeit dieses Systems, der sogenannten Stromreguliruugen, haben den
Culturvölkern Europas unausgesetzt die schmerzlichsten, bittersten Erfahrungen
eingetragen und in England, Belgien und Frankreich die Umkehr endlich ver¬
anlaßt; in Holland, der Schweiz und vor allem in Deutschland aber hält man
noch immer an dem althergebrachten, lieb und theuer gewordenen Irrthum fest
und wirft nicht allein Jahr aus Jahr ein dafür Millionen ins Wasser, son¬
dern verwendet sie zum Nachtheil unserer Culturentwickelung für schadenbrin¬
gende Anlagen. Und die Ursache dieser unbegreiflichen Erscheinung? — Wie
auf unseren Gymnasien eine klassische Bildung erstrebt wird und mau doch
kaum mehr als eine linguistische Bildung zeitigt, so erstrebt man auf den
technischen Hochschulen wissenschaftliche Hydrotechnik und zeitigt kaum
mehr als die geglaubten Dogmen einer mathematischen Hydraulik.

Mit dem sogenannten Flußregulirungssystem operirt man bis auf den
heutigen Tag noch folgendermaßen. Geleitet von dem Vorurtheil, daß Sohle
und Ufer eiues Flusses durch künstliche Quer- und Längswerke, Uferbefestigungen
und Grmidschwellen so umgebildet werden können, daß sie im Stande seien die
Strömung zu leiten und zusammenzuhalten, und daß dadurch die Strömung
gezwungen werden könne alle natürlichen Unregelmäßigkeiten des Bettes und
der Richtung des Stromes, durch welche Versandung seines Bettes und Ver¬
sumpfung seiner Gelände eintreten könnte, selbstthätig zu beseitigen, baut man
Buhnen oder Parallelwerke in den Strom. Buhnen sind Quereinbauten
aus Faschinen und Bruchsteinen hergestellt, in Form von niedrigen und ver¬
hältnißmäßig kurzen Dämmen. Durch dieselben will mau das strömende Wasser
zwingen, diejenigen Theile des Ufers, welche abgetrieben und diejenigen Theile
der Sohlen, welche vertieft werden sollen, anzugreifen, allmählich mit sich fort¬
zuführen und all denjenigen Stellen des Flußbettes wieder abzulagern, an welchen
man Anschwemmungen zu erzeugen wünscht. Auf diese Weite hofft und erstrebt
man, in dem Fluß allmählich diejenige Breite und Tiefe herstellen zu können,
welche der Schifffahrt förderlich und dienstlich ist. Parallelwerke sind Längs-
einbauten in ähnlicher Form wie die Buhnen und werden in entsprechender
Eutfernung vom Ufer und in paralleler Richtung mit ihm in den Fluß gebaut.
Durch sie will man dieselben Zwecke erreichen, in kürzerer Zeit aber, weil man
glaubt, durch diese Werke neue Flußufer gebildet und dadurch das gewünschte


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[0164] Afrikas durch die großartigsten Beispiele bewiesen haben, sind nnr von einigen Culturvölkern Europas und von diesen anch uur in sehr schwächlichen Anwen¬ dungen benutzt worden; in den meisten Ländern Europas verließen die Hydro¬ techniker das naturwüchsige, rationelle System der Vertheiln:: g der Gewässer und verfielen dem naturwidriger, irrationeller System der Beschränkung der Gewässer, ihrer sogenannten Regulirung durch Deiche und Einbänden. Die Unrichtigkeit dieses Systems, der sogenannten Stromreguliruugen, haben den Culturvölkern Europas unausgesetzt die schmerzlichsten, bittersten Erfahrungen eingetragen und in England, Belgien und Frankreich die Umkehr endlich ver¬ anlaßt; in Holland, der Schweiz und vor allem in Deutschland aber hält man noch immer an dem althergebrachten, lieb und theuer gewordenen Irrthum fest und wirft nicht allein Jahr aus Jahr ein dafür Millionen ins Wasser, son¬ dern verwendet sie zum Nachtheil unserer Culturentwickelung für schadenbrin¬ gende Anlagen. Und die Ursache dieser unbegreiflichen Erscheinung? — Wie auf unseren Gymnasien eine klassische Bildung erstrebt wird und mau doch kaum mehr als eine linguistische Bildung zeitigt, so erstrebt man auf den technischen Hochschulen wissenschaftliche Hydrotechnik und zeitigt kaum mehr als die geglaubten Dogmen einer mathematischen Hydraulik. Mit dem sogenannten Flußregulirungssystem operirt man bis auf den heutigen Tag noch folgendermaßen. Geleitet von dem Vorurtheil, daß Sohle und Ufer eiues Flusses durch künstliche Quer- und Längswerke, Uferbefestigungen und Grmidschwellen so umgebildet werden können, daß sie im Stande seien die Strömung zu leiten und zusammenzuhalten, und daß dadurch die Strömung gezwungen werden könne alle natürlichen Unregelmäßigkeiten des Bettes und der Richtung des Stromes, durch welche Versandung seines Bettes und Ver¬ sumpfung seiner Gelände eintreten könnte, selbstthätig zu beseitigen, baut man Buhnen oder Parallelwerke in den Strom. Buhnen sind Quereinbauten aus Faschinen und Bruchsteinen hergestellt, in Form von niedrigen und ver¬ hältnißmäßig kurzen Dämmen. Durch dieselben will mau das strömende Wasser zwingen, diejenigen Theile des Ufers, welche abgetrieben und diejenigen Theile der Sohlen, welche vertieft werden sollen, anzugreifen, allmählich mit sich fort¬ zuführen und all denjenigen Stellen des Flußbettes wieder abzulagern, an welchen man Anschwemmungen zu erzeugen wünscht. Auf diese Weite hofft und erstrebt man, in dem Fluß allmählich diejenige Breite und Tiefe herstellen zu können, welche der Schifffahrt förderlich und dienstlich ist. Parallelwerke sind Längs- einbauten in ähnlicher Form wie die Buhnen und werden in entsprechender Eutfernung vom Ufer und in paralleler Richtung mit ihm in den Fluß gebaut. Durch sie will man dieselben Zwecke erreichen, in kürzerer Zeit aber, weil man glaubt, durch diese Werke neue Flußufer gebildet und dadurch das gewünschte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/164>, abgerufen am 23.07.2024.