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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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in Gegenden, in welchen Wasser uns zur Verfügung steht, Dampfkräfte für unsere
Industrie verwenden, so erschöpfen nur verschwenderisch die Kvhleuschätze unseres
Landes, verschwenden unsere Capitalien für Gründung der Kohlenbergwerke,
ebenso wie für den Bau der Eisenbahnen zum Transport dieser Kohlen, und ver¬
schwenden endlich Menschenkräfte, indem wir Arbeiter in die Kohlendistrikte führen,
die der Landwirthschaft so nöthig wären. Wolle Niemand einwenden, daß die
Wasserkraftmaschinen nur 40 bis höchstens 60 Proc. Nutzeffect geben, während
durch Dampfkraftmaschiueu 75--90 Proc. Nutzleistungen zu ermöglichen sind. Wer
wollte das bestreiten? Bei den ungeheuren Kraftsummeu aber, welche die Natur
ohne Entgelt verschwenderisch im Wasser uns darbietet, sind jene Procente mehr
oder weniger ohne Bedeutung. Nein, seien wir aufrichtig: wie erkennen und be¬
achten bei weitem nicht genug die Lehren und Vorbilder der Natur, wir lassen
die segenspendende Kraft unbenutzt bergabfließen.

Die Tragkraft des Wassers! Wird sie für unsere Binnenschifffahrt nach
Möglichkeit ausgenutzt? Auch nicht annähernd! lautet abermals die Autwort.
Die Hydrotechniker der alten Culturvölker in Asien und Afrika kannten für ihre
Berufsthätigkeit nur eine einzige Aufgabe, welche sie dem Walten der Natur
abgelauscht und nicht durch höhere Analysis gefunden hatten: die atmosphä¬
rischen Niederschläge in möglichst vielen Wasserläufen möglichst lange auf der
Erdoberfläche zurückzuhalten. Sie lösten diese Aufgabe in allen Fällen immer
durch dasselbe einfache Mittel: Sie verbreiteten, leiteten und vertheilten dnrch
Canäle die niederfließenden Tagewasser, ohne Benutzung auch uur einer jener
43 unbeweisbaren Formeln über die Bewegung des Wassers, sondern gestützt
allein auf ein primitives, noch heute übliches Instrument: die Wasserwage.
Indem sie aus den Strömen künstliche Canäle abzweigten, um dieselben entweder
weiter unterhalb dein Mutterstrome wieder zuführen, oder durch gegenseitige
Verbindung mit anderen Canälen getrennte Flußgebiete zu einem Ccmalnetz ver¬
einigten, wurden gleichzeitig und selbstthätig alle drei Zwecke der natürlichen
Wasserwirthschaft erfüllt: nirgends fehlte das Wasser zur Bewässerung,
zum Betrieb von Maschinen, zur Schifffahrt. Aber auch bis in
Einzelheiten hinein hatten die alten Priester-Hydrotechniker ihre Aufgabe verstäud-
nißvoll erfaßt. Um die natürliche Arbeit der Flüsse nicht zu stören, durch welche
sie ihre Sedimente bis ins Meer hineinschwemmen und nicht im Flußbett selbst
ablagern sollen, um die Flüsse zu verhindern, daß sie diese ihre Ablagerungen
nicht in die Canäle hineintreiben und dadurch diese versanden, um die Sohlen
und Ufer der Canäle gegen Angriff durch das bewegte Wasser zu schützen und
das möglichst stetige Anwachsen der Sohlen und Gelände zu ermöglichen, gab
man den künstlichen Wasserläufen ein überaus geringes Gefiille.

Diese hydrotechnischen Lehren, deren Richtigkeit die Culturvölker Asiens und


in Gegenden, in welchen Wasser uns zur Verfügung steht, Dampfkräfte für unsere
Industrie verwenden, so erschöpfen nur verschwenderisch die Kvhleuschätze unseres
Landes, verschwenden unsere Capitalien für Gründung der Kohlenbergwerke,
ebenso wie für den Bau der Eisenbahnen zum Transport dieser Kohlen, und ver¬
schwenden endlich Menschenkräfte, indem wir Arbeiter in die Kohlendistrikte führen,
die der Landwirthschaft so nöthig wären. Wolle Niemand einwenden, daß die
Wasserkraftmaschinen nur 40 bis höchstens 60 Proc. Nutzeffect geben, während
durch Dampfkraftmaschiueu 75—90 Proc. Nutzleistungen zu ermöglichen sind. Wer
wollte das bestreiten? Bei den ungeheuren Kraftsummeu aber, welche die Natur
ohne Entgelt verschwenderisch im Wasser uns darbietet, sind jene Procente mehr
oder weniger ohne Bedeutung. Nein, seien wir aufrichtig: wie erkennen und be¬
achten bei weitem nicht genug die Lehren und Vorbilder der Natur, wir lassen
die segenspendende Kraft unbenutzt bergabfließen.

Die Tragkraft des Wassers! Wird sie für unsere Binnenschifffahrt nach
Möglichkeit ausgenutzt? Auch nicht annähernd! lautet abermals die Autwort.
Die Hydrotechniker der alten Culturvölker in Asien und Afrika kannten für ihre
Berufsthätigkeit nur eine einzige Aufgabe, welche sie dem Walten der Natur
abgelauscht und nicht durch höhere Analysis gefunden hatten: die atmosphä¬
rischen Niederschläge in möglichst vielen Wasserläufen möglichst lange auf der
Erdoberfläche zurückzuhalten. Sie lösten diese Aufgabe in allen Fällen immer
durch dasselbe einfache Mittel: Sie verbreiteten, leiteten und vertheilten dnrch
Canäle die niederfließenden Tagewasser, ohne Benutzung auch uur einer jener
43 unbeweisbaren Formeln über die Bewegung des Wassers, sondern gestützt
allein auf ein primitives, noch heute übliches Instrument: die Wasserwage.
Indem sie aus den Strömen künstliche Canäle abzweigten, um dieselben entweder
weiter unterhalb dein Mutterstrome wieder zuführen, oder durch gegenseitige
Verbindung mit anderen Canälen getrennte Flußgebiete zu einem Ccmalnetz ver¬
einigten, wurden gleichzeitig und selbstthätig alle drei Zwecke der natürlichen
Wasserwirthschaft erfüllt: nirgends fehlte das Wasser zur Bewässerung,
zum Betrieb von Maschinen, zur Schifffahrt. Aber auch bis in
Einzelheiten hinein hatten die alten Priester-Hydrotechniker ihre Aufgabe verstäud-
nißvoll erfaßt. Um die natürliche Arbeit der Flüsse nicht zu stören, durch welche
sie ihre Sedimente bis ins Meer hineinschwemmen und nicht im Flußbett selbst
ablagern sollen, um die Flüsse zu verhindern, daß sie diese ihre Ablagerungen
nicht in die Canäle hineintreiben und dadurch diese versanden, um die Sohlen
und Ufer der Canäle gegen Angriff durch das bewegte Wasser zu schützen und
das möglichst stetige Anwachsen der Sohlen und Gelände zu ermöglichen, gab
man den künstlichen Wasserläufen ein überaus geringes Gefiille.

Diese hydrotechnischen Lehren, deren Richtigkeit die Culturvölker Asiens und


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[0163] in Gegenden, in welchen Wasser uns zur Verfügung steht, Dampfkräfte für unsere Industrie verwenden, so erschöpfen nur verschwenderisch die Kvhleuschätze unseres Landes, verschwenden unsere Capitalien für Gründung der Kohlenbergwerke, ebenso wie für den Bau der Eisenbahnen zum Transport dieser Kohlen, und ver¬ schwenden endlich Menschenkräfte, indem wir Arbeiter in die Kohlendistrikte führen, die der Landwirthschaft so nöthig wären. Wolle Niemand einwenden, daß die Wasserkraftmaschinen nur 40 bis höchstens 60 Proc. Nutzeffect geben, während durch Dampfkraftmaschiueu 75—90 Proc. Nutzleistungen zu ermöglichen sind. Wer wollte das bestreiten? Bei den ungeheuren Kraftsummeu aber, welche die Natur ohne Entgelt verschwenderisch im Wasser uns darbietet, sind jene Procente mehr oder weniger ohne Bedeutung. Nein, seien wir aufrichtig: wie erkennen und be¬ achten bei weitem nicht genug die Lehren und Vorbilder der Natur, wir lassen die segenspendende Kraft unbenutzt bergabfließen. Die Tragkraft des Wassers! Wird sie für unsere Binnenschifffahrt nach Möglichkeit ausgenutzt? Auch nicht annähernd! lautet abermals die Autwort. Die Hydrotechniker der alten Culturvölker in Asien und Afrika kannten für ihre Berufsthätigkeit nur eine einzige Aufgabe, welche sie dem Walten der Natur abgelauscht und nicht durch höhere Analysis gefunden hatten: die atmosphä¬ rischen Niederschläge in möglichst vielen Wasserläufen möglichst lange auf der Erdoberfläche zurückzuhalten. Sie lösten diese Aufgabe in allen Fällen immer durch dasselbe einfache Mittel: Sie verbreiteten, leiteten und vertheilten dnrch Canäle die niederfließenden Tagewasser, ohne Benutzung auch uur einer jener 43 unbeweisbaren Formeln über die Bewegung des Wassers, sondern gestützt allein auf ein primitives, noch heute übliches Instrument: die Wasserwage. Indem sie aus den Strömen künstliche Canäle abzweigten, um dieselben entweder weiter unterhalb dein Mutterstrome wieder zuführen, oder durch gegenseitige Verbindung mit anderen Canälen getrennte Flußgebiete zu einem Ccmalnetz ver¬ einigten, wurden gleichzeitig und selbstthätig alle drei Zwecke der natürlichen Wasserwirthschaft erfüllt: nirgends fehlte das Wasser zur Bewässerung, zum Betrieb von Maschinen, zur Schifffahrt. Aber auch bis in Einzelheiten hinein hatten die alten Priester-Hydrotechniker ihre Aufgabe verstäud- nißvoll erfaßt. Um die natürliche Arbeit der Flüsse nicht zu stören, durch welche sie ihre Sedimente bis ins Meer hineinschwemmen und nicht im Flußbett selbst ablagern sollen, um die Flüsse zu verhindern, daß sie diese ihre Ablagerungen nicht in die Canäle hineintreiben und dadurch diese versanden, um die Sohlen und Ufer der Canäle gegen Angriff durch das bewegte Wasser zu schützen und das möglichst stetige Anwachsen der Sohlen und Gelände zu ermöglichen, gab man den künstlichen Wasserläufen ein überaus geringes Gefiille. Diese hydrotechnischen Lehren, deren Richtigkeit die Culturvölker Asiens und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/163>, abgerufen am 23.07.2024.