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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Einfalt und seiner wahnsinnigen Verblendung damit einverstanden. Aber Ihre
Majestäten die Kaiserinnen und Seine Majestät der (beiläufig noch sehr junge)
Kaiser waren über diese Beleidigung von brennendem Zorn erfüllt, und in
Folge dessen wurde ein anderer Gesandter ernannt. Die hohen Würdenträger
des Geheimen Rathes, Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz, die Minister des
Thang Li Immer nebst Hunderten von Beamten aus den verschiedenen Theilen
des Reiches -- mit einem Worte das gesammte Volk, sind sich vollkommen be¬
wußt, daß ein solcher Zustand der Dinge unerträglich ist. Der Vertrag muß
abgeändert werden trotz aller Nothstände, die daraus in Zukunft folgen können.
Wenn wir ihn nicht umgestalten, so sind wir nicht mehr werth, eine Nation zu
heißen."

Der sehr eigenthümliche Aufsatz, aus dem wir die obige Stelle citiren, und
der offenbar vom Pekinger Hofe zu dem Zwecke veröffentlicht worden ist, um
dem Volke die Auffassung der regierenden Kreise mitzutheilen, prüft dann die
einzelnen Artikel des nunmehr verworfenen Vertrags. Ueber die von den Russen
geforderte Handelsstraße sagt der Verfasser, mit ihr würden die Provinzen
Schensi, Kansu und Hu Kwcmg dein Griffe der Russen preisgegeben, welchen
mau nicht erlauben dürfe, der Reichshauptstadt näher zu kommen als Wladi¬
wostok. Dann zeigt die Denkschrift die Gefahren auf, welche sich daraus er¬
gebe" würden, wenn man moskowitischen Handelsleuten gestatten wollte, Grenz¬
befestigungen und Zollhäuser ohne Zollentrichtung und mit Waffen zu Passiren.
Darauf wird nachgewiesen, daß, wenn man russische Consulate zuließe, die Auto¬
rität des chinesischen Staates in dem Landstriche von Kuldscha bis nach Hami
allmählich untergraben werden und zuletzt ganz verschwinden würde, und schlie߬
lich, nachdem auch die anderen Stipulationen in kräftigster Sprache verurtheilt
worden sind, verlangt diese autorisirte Denkschrift "vier höchst bedeutsame Dinge",
erstens "eine unbedingte Nothwendigkeit", zweitens "eine starke Stimme", drittens
"ein Recht", viertens "einen Plan, der ausgeführt werden muß". Die "Noth¬
wendigkeit" läuft auf die Enthauptung Dschang Haus hinaus; die "starke Stimme"
ist ein kaiserlicher Erlaß, welcher Rußlands habgieriges Verhalten verdammt
und den Generalen sowie dem Volke gebietet, sich auf einen Krieg vorzubereiten.
In dieser Hinsicht bemerkt der Verfasser: "Obwohl Rußland sehr groß ist, so
hat es doch seit den letzten Kriegen mit der Türkei müde Soldaten und ist
ohne Geldmittel. Seine Staatsmänner haben sich entzweit, das Volk ist außer
sich vor Entrüstung, und während der letzten Jahre sind verschiedene Angriffe
auf das Leben seines Beherrschers vorgekommen. Sollte er nun wieder unsere
Freundschaft zurückweisen und uns als Feinde angreifen, fo wird das dortige
Volk, in Betracht der großen Entfernung, der S^che überdrüßig werden, und
Ausbrüche in seinem eigenen Hauswesen werden die unausbleibliche Folge sein,


Einfalt und seiner wahnsinnigen Verblendung damit einverstanden. Aber Ihre
Majestäten die Kaiserinnen und Seine Majestät der (beiläufig noch sehr junge)
Kaiser waren über diese Beleidigung von brennendem Zorn erfüllt, und in
Folge dessen wurde ein anderer Gesandter ernannt. Die hohen Würdenträger
des Geheimen Rathes, Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz, die Minister des
Thang Li Immer nebst Hunderten von Beamten aus den verschiedenen Theilen
des Reiches — mit einem Worte das gesammte Volk, sind sich vollkommen be¬
wußt, daß ein solcher Zustand der Dinge unerträglich ist. Der Vertrag muß
abgeändert werden trotz aller Nothstände, die daraus in Zukunft folgen können.
Wenn wir ihn nicht umgestalten, so sind wir nicht mehr werth, eine Nation zu
heißen."

Der sehr eigenthümliche Aufsatz, aus dem wir die obige Stelle citiren, und
der offenbar vom Pekinger Hofe zu dem Zwecke veröffentlicht worden ist, um
dem Volke die Auffassung der regierenden Kreise mitzutheilen, prüft dann die
einzelnen Artikel des nunmehr verworfenen Vertrags. Ueber die von den Russen
geforderte Handelsstraße sagt der Verfasser, mit ihr würden die Provinzen
Schensi, Kansu und Hu Kwcmg dein Griffe der Russen preisgegeben, welchen
mau nicht erlauben dürfe, der Reichshauptstadt näher zu kommen als Wladi¬
wostok. Dann zeigt die Denkschrift die Gefahren auf, welche sich daraus er¬
gebe» würden, wenn man moskowitischen Handelsleuten gestatten wollte, Grenz¬
befestigungen und Zollhäuser ohne Zollentrichtung und mit Waffen zu Passiren.
Darauf wird nachgewiesen, daß, wenn man russische Consulate zuließe, die Auto¬
rität des chinesischen Staates in dem Landstriche von Kuldscha bis nach Hami
allmählich untergraben werden und zuletzt ganz verschwinden würde, und schlie߬
lich, nachdem auch die anderen Stipulationen in kräftigster Sprache verurtheilt
worden sind, verlangt diese autorisirte Denkschrift „vier höchst bedeutsame Dinge",
erstens „eine unbedingte Nothwendigkeit", zweitens „eine starke Stimme", drittens
„ein Recht", viertens „einen Plan, der ausgeführt werden muß". Die „Noth¬
wendigkeit" läuft auf die Enthauptung Dschang Haus hinaus; die „starke Stimme"
ist ein kaiserlicher Erlaß, welcher Rußlands habgieriges Verhalten verdammt
und den Generalen sowie dem Volke gebietet, sich auf einen Krieg vorzubereiten.
In dieser Hinsicht bemerkt der Verfasser: „Obwohl Rußland sehr groß ist, so
hat es doch seit den letzten Kriegen mit der Türkei müde Soldaten und ist
ohne Geldmittel. Seine Staatsmänner haben sich entzweit, das Volk ist außer
sich vor Entrüstung, und während der letzten Jahre sind verschiedene Angriffe
auf das Leben seines Beherrschers vorgekommen. Sollte er nun wieder unsere
Freundschaft zurückweisen und uns als Feinde angreifen, fo wird das dortige
Volk, in Betracht der großen Entfernung, der S^che überdrüßig werden, und
Ausbrüche in seinem eigenen Hauswesen werden die unausbleibliche Folge sein,


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[0139] Einfalt und seiner wahnsinnigen Verblendung damit einverstanden. Aber Ihre Majestäten die Kaiserinnen und Seine Majestät der (beiläufig noch sehr junge) Kaiser waren über diese Beleidigung von brennendem Zorn erfüllt, und in Folge dessen wurde ein anderer Gesandter ernannt. Die hohen Würdenträger des Geheimen Rathes, Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz, die Minister des Thang Li Immer nebst Hunderten von Beamten aus den verschiedenen Theilen des Reiches — mit einem Worte das gesammte Volk, sind sich vollkommen be¬ wußt, daß ein solcher Zustand der Dinge unerträglich ist. Der Vertrag muß abgeändert werden trotz aller Nothstände, die daraus in Zukunft folgen können. Wenn wir ihn nicht umgestalten, so sind wir nicht mehr werth, eine Nation zu heißen." Der sehr eigenthümliche Aufsatz, aus dem wir die obige Stelle citiren, und der offenbar vom Pekinger Hofe zu dem Zwecke veröffentlicht worden ist, um dem Volke die Auffassung der regierenden Kreise mitzutheilen, prüft dann die einzelnen Artikel des nunmehr verworfenen Vertrags. Ueber die von den Russen geforderte Handelsstraße sagt der Verfasser, mit ihr würden die Provinzen Schensi, Kansu und Hu Kwcmg dein Griffe der Russen preisgegeben, welchen mau nicht erlauben dürfe, der Reichshauptstadt näher zu kommen als Wladi¬ wostok. Dann zeigt die Denkschrift die Gefahren auf, welche sich daraus er¬ gebe» würden, wenn man moskowitischen Handelsleuten gestatten wollte, Grenz¬ befestigungen und Zollhäuser ohne Zollentrichtung und mit Waffen zu Passiren. Darauf wird nachgewiesen, daß, wenn man russische Consulate zuließe, die Auto¬ rität des chinesischen Staates in dem Landstriche von Kuldscha bis nach Hami allmählich untergraben werden und zuletzt ganz verschwinden würde, und schlie߬ lich, nachdem auch die anderen Stipulationen in kräftigster Sprache verurtheilt worden sind, verlangt diese autorisirte Denkschrift „vier höchst bedeutsame Dinge", erstens „eine unbedingte Nothwendigkeit", zweitens „eine starke Stimme", drittens „ein Recht", viertens „einen Plan, der ausgeführt werden muß". Die „Noth¬ wendigkeit" läuft auf die Enthauptung Dschang Haus hinaus; die „starke Stimme" ist ein kaiserlicher Erlaß, welcher Rußlands habgieriges Verhalten verdammt und den Generalen sowie dem Volke gebietet, sich auf einen Krieg vorzubereiten. In dieser Hinsicht bemerkt der Verfasser: „Obwohl Rußland sehr groß ist, so hat es doch seit den letzten Kriegen mit der Türkei müde Soldaten und ist ohne Geldmittel. Seine Staatsmänner haben sich entzweit, das Volk ist außer sich vor Entrüstung, und während der letzten Jahre sind verschiedene Angriffe auf das Leben seines Beherrschers vorgekommen. Sollte er nun wieder unsere Freundschaft zurückweisen und uns als Feinde angreifen, fo wird das dortige Volk, in Betracht der großen Entfernung, der S^che überdrüßig werden, und Ausbrüche in seinem eigenen Hauswesen werden die unausbleibliche Folge sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/139>, abgerufen am 25.08.2024.