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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Leugnung der Zweckmäßigkeit im Weltgetriebe, welche Häckel, als wollte er
Schillers Worte "die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand" natur-
philosophisch illustriren, gar zur Dysteleologie aufgebauscht hat, den Pessi¬
mismus vom ethischen Gebiete auch auf das physikalische übertragend. In
dein einzigen Satze aber "Wirkliches Sein kommt nur den Atomen und dem
leeren Raum zu" haben wir die starke und schwache Seite aller Atomistik. Die
Grundlage jeder rationellen Naturerklärung, aller großen Erscheinungen der
Neuzeit ist die Auflösung der Erscheinungen in die Bewegung kleinster Theilchen
geworden. Aber die Atomistik vermag heute so wenig wie zu Demokrits oder
Epikurs Zeiten die Brücke zu entdecken zwischen den empfundenen Objecten und
der subjectiven Empfindung. Kurz, wir werden nie das Wesen dessen begreisen,
was wir Materie und Kraft nennen, wir werden aber auch nie begreifen, wie
das, was die Naturwissenschaft Materie nennt, denkt, und das Wort La Met¬
tries: I/norams iug.ob.iQs wird stets eine Phrase blieben.

Wieder ist die Fluth der Schmerzen eingetreten, dann eine plötzliche Er¬
mattung -- da verlangt Epikur in das Badezimmer. Mys bringt ihn dahin
-- der Tag ist unterdessen angebrochen. Viele Freunde sind gekommen, nach
dem Befinden des Meisters sich zu erkundigen. Sie treffen ihn in der Bade¬
wanne. Angesichts seiner Freunde verlangt der Wassertrinker Epikur ein Glas
ungemischten Weines, schlürft es gierig aus, so noch einmal symbolisch den
obersten Grundsatz seiner Philosophie andeutend, als wollte er den Stoikern
höhnend zurufen: "Die Lust ist doch das höchste Gut", ermahnt hierauf die
Freunde, seiner Lehre treu zu gedenken, und -- "gibt der Erde, der ewigen
Sonne die Atome wieder, die sich zu Schmerz und Lust in ihm gefügt."




Der bekannte Humorist Hippel hatte sich zur Lebensdevise gewählt:


Mehr sein als scheinen,
Allein und im Kleinen.

Schon mit diesen Worten ist eine geistige Stimmung gezeichnet, welche an
epikureische Töne anklingt. Noch mehr erinnert Hippel an Epikur durch den
leichten Sinn, in welchem er sich mit dem Tode zu "familiarisiren" suchte --
aber er hielt seinen Versprechungen aus gesunden Tagen nicht Wort: eine un¬
endliche Todesangst befiel ihn, als es mit ihm zu Ende ging. Wie ganz anders
steht Epikur vor unserer Seele da! In der That sind alle Gewährsmänner
von Bedeutung darüber einig, daß Epikur auf dem Schmerzenslager und Todes¬
bette, weit entfernt seine Lehren über Standhaftigkeit und über die Schreck-
losigkeit des Todes Lügen zu strafen, das Rio Rnockus, die fato glänzend be¬
standen hat.


Leugnung der Zweckmäßigkeit im Weltgetriebe, welche Häckel, als wollte er
Schillers Worte „die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand" natur-
philosophisch illustriren, gar zur Dysteleologie aufgebauscht hat, den Pessi¬
mismus vom ethischen Gebiete auch auf das physikalische übertragend. In
dein einzigen Satze aber „Wirkliches Sein kommt nur den Atomen und dem
leeren Raum zu" haben wir die starke und schwache Seite aller Atomistik. Die
Grundlage jeder rationellen Naturerklärung, aller großen Erscheinungen der
Neuzeit ist die Auflösung der Erscheinungen in die Bewegung kleinster Theilchen
geworden. Aber die Atomistik vermag heute so wenig wie zu Demokrits oder
Epikurs Zeiten die Brücke zu entdecken zwischen den empfundenen Objecten und
der subjectiven Empfindung. Kurz, wir werden nie das Wesen dessen begreisen,
was wir Materie und Kraft nennen, wir werden aber auch nie begreifen, wie
das, was die Naturwissenschaft Materie nennt, denkt, und das Wort La Met¬
tries: I/norams iug.ob.iQs wird stets eine Phrase blieben.

Wieder ist die Fluth der Schmerzen eingetreten, dann eine plötzliche Er¬
mattung — da verlangt Epikur in das Badezimmer. Mys bringt ihn dahin
— der Tag ist unterdessen angebrochen. Viele Freunde sind gekommen, nach
dem Befinden des Meisters sich zu erkundigen. Sie treffen ihn in der Bade¬
wanne. Angesichts seiner Freunde verlangt der Wassertrinker Epikur ein Glas
ungemischten Weines, schlürft es gierig aus, so noch einmal symbolisch den
obersten Grundsatz seiner Philosophie andeutend, als wollte er den Stoikern
höhnend zurufen: „Die Lust ist doch das höchste Gut", ermahnt hierauf die
Freunde, seiner Lehre treu zu gedenken, und — „gibt der Erde, der ewigen
Sonne die Atome wieder, die sich zu Schmerz und Lust in ihm gefügt."




Der bekannte Humorist Hippel hatte sich zur Lebensdevise gewählt:


Mehr sein als scheinen,
Allein und im Kleinen.

Schon mit diesen Worten ist eine geistige Stimmung gezeichnet, welche an
epikureische Töne anklingt. Noch mehr erinnert Hippel an Epikur durch den
leichten Sinn, in welchem er sich mit dem Tode zu „familiarisiren" suchte —
aber er hielt seinen Versprechungen aus gesunden Tagen nicht Wort: eine un¬
endliche Todesangst befiel ihn, als es mit ihm zu Ende ging. Wie ganz anders
steht Epikur vor unserer Seele da! In der That sind alle Gewährsmänner
von Bedeutung darüber einig, daß Epikur auf dem Schmerzenslager und Todes¬
bette, weit entfernt seine Lehren über Standhaftigkeit und über die Schreck-
losigkeit des Todes Lügen zu strafen, das Rio Rnockus, die fato glänzend be¬
standen hat.


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[0115] Leugnung der Zweckmäßigkeit im Weltgetriebe, welche Häckel, als wollte er Schillers Worte „die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand" natur- philosophisch illustriren, gar zur Dysteleologie aufgebauscht hat, den Pessi¬ mismus vom ethischen Gebiete auch auf das physikalische übertragend. In dein einzigen Satze aber „Wirkliches Sein kommt nur den Atomen und dem leeren Raum zu" haben wir die starke und schwache Seite aller Atomistik. Die Grundlage jeder rationellen Naturerklärung, aller großen Erscheinungen der Neuzeit ist die Auflösung der Erscheinungen in die Bewegung kleinster Theilchen geworden. Aber die Atomistik vermag heute so wenig wie zu Demokrits oder Epikurs Zeiten die Brücke zu entdecken zwischen den empfundenen Objecten und der subjectiven Empfindung. Kurz, wir werden nie das Wesen dessen begreisen, was wir Materie und Kraft nennen, wir werden aber auch nie begreifen, wie das, was die Naturwissenschaft Materie nennt, denkt, und das Wort La Met¬ tries: I/norams iug.ob.iQs wird stets eine Phrase blieben. Wieder ist die Fluth der Schmerzen eingetreten, dann eine plötzliche Er¬ mattung — da verlangt Epikur in das Badezimmer. Mys bringt ihn dahin — der Tag ist unterdessen angebrochen. Viele Freunde sind gekommen, nach dem Befinden des Meisters sich zu erkundigen. Sie treffen ihn in der Bade¬ wanne. Angesichts seiner Freunde verlangt der Wassertrinker Epikur ein Glas ungemischten Weines, schlürft es gierig aus, so noch einmal symbolisch den obersten Grundsatz seiner Philosophie andeutend, als wollte er den Stoikern höhnend zurufen: „Die Lust ist doch das höchste Gut", ermahnt hierauf die Freunde, seiner Lehre treu zu gedenken, und — „gibt der Erde, der ewigen Sonne die Atome wieder, die sich zu Schmerz und Lust in ihm gefügt." Der bekannte Humorist Hippel hatte sich zur Lebensdevise gewählt: Mehr sein als scheinen, Allein und im Kleinen. Schon mit diesen Worten ist eine geistige Stimmung gezeichnet, welche an epikureische Töne anklingt. Noch mehr erinnert Hippel an Epikur durch den leichten Sinn, in welchem er sich mit dem Tode zu „familiarisiren" suchte — aber er hielt seinen Versprechungen aus gesunden Tagen nicht Wort: eine un¬ endliche Todesangst befiel ihn, als es mit ihm zu Ende ging. Wie ganz anders steht Epikur vor unserer Seele da! In der That sind alle Gewährsmänner von Bedeutung darüber einig, daß Epikur auf dem Schmerzenslager und Todes¬ bette, weit entfernt seine Lehren über Standhaftigkeit und über die Schreck- losigkeit des Todes Lügen zu strafen, das Rio Rnockus, die fato glänzend be¬ standen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/115>, abgerufen am 25.08.2024.