Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal."Herausgeber" fungirt oder figmirt. Wie im Buchhandel, seitdem "des durch¬ Die Schwierigkeit liegt zunächst in der Herstellung eines correcten Textes. Angesichts dieser Thatsachen müßte man an der Herstellung eines durch¬ „Herausgeber" fungirt oder figmirt. Wie im Buchhandel, seitdem „des durch¬ Die Schwierigkeit liegt zunächst in der Herstellung eines correcten Textes. Angesichts dieser Thatsachen müßte man an der Herstellung eines durch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146011"/> <p xml:id="ID_198" prev="#ID_197"> „Herausgeber" fungirt oder figmirt. Wie im Buchhandel, seitdem „des durch¬<lb/> lauchtigsten deutschen Bundes schützende Privilegien" erloschen sind, die Lotter¬<lb/> wirthschaft aufgehört hat, daß die Texte unserer Klassiker von Setzern und<lb/> Correctoren hergestellt wurden, wie kein deutscher Buchhändler heute mehr wagen<lb/> würde, einen Band Schiller oder Goethe drucken zu lassen, ohne einen sachkun¬<lb/> digen Herausgeber mit der Durchsicht des Textes zu betrauen, so wollen sich<lb/> auch die Musikalienverleger offenbar nicht mehr damit begnügen, den Nachstich<lb/> der Platten von ungenannten Correctoren überwachen zu lassen, sondern sie<lb/> haben, wie man sieht, alle gesucht, Fachleute für die Herstellung ihrer Ausgaben<lb/> zu gewinnen, die mit ihrem Namen für das Geleistete einstehen. Freilich ist auch<lb/> das andere auf den ersten Blick klar, daß die genannten Namen nicht alle die<lb/> gleiche Bürgschaft für die Gediegenheit der Leistung bieten einer so heiklen<lb/> Aufgabe gegenüber, wie gerade Chopins Werke sie dem Herausgeber stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_199"> Die Schwierigkeit liegt zunächst in der Herstellung eines correcten Textes.<lb/> Die eignen Handschriften Chopins, auf die natürlich, wo es irgend möglich war,<lb/> in erster Linie zurückgegangen werden mußte, sollen von Nachlässigkeiten aller<lb/> Art und offenbaren Schreibfehlern wimmeln. Falsche Noten und Notenwerthe,<lb/> falsche Vorzeichnungen und Schlüssel, Auslassungen von Accordintervallen und<lb/> Punkten, Unrichtigkeiten in der Begrenzung der Octavenbezeichnung und der<lb/> Bogen, ungenügende Vortragszeichen und Pedalbezeichnungen sollen in Hülle<lb/> und Fülle darin zu finden sein- Eine Berufung auf die Manuscripte also, als<lb/> auf ein sicheres Fundament der Textgestaltung, muß unter solchen Umständen<lb/> vielfach bedenklich erscheinen; von entscheidenderer Wichtigkeit werden die Ori¬<lb/> ginaldrucke sein. Leider bilden aber auch diese keine absolut zuverlässige Grund¬<lb/> lage für einen correcten Text. Die vorhandenen französischen, deutschen und<lb/> englischen Originalausgaben weichen vielfach von einander ab und enthalten<lb/> zahlreiche offenbare Fehler. Es gilt dies nicht bloß von den späteren Nach-<lb/> und Neudrucken, die für die kritische Feststellung des Textes so gut wie keine<lb/> Bedeutung haben, sondern auch von den ältesten Originaldrucken. Was die<lb/> Abweichungen betrifft, so haben die verschiedenen Originalausgaben freilich alle<lb/> ihren eigenthümlichen Werth. Die Pariser haben den Vorzug, daß sie, öfter<lb/> als die deutschen und englischen, während des Stiches Chopin selbst in Paris<lb/> zur Correctur vorgelegt werden konnten und thatsächlich vorgelegt worden sind;<lb/> die deutschen und englischen wiederum enthalten, da sie meist später sind als<lb/> die französischen, hie und da von Chopin selbst gemachte nachträgliche Verände¬<lb/> rungen, beziehentlich Verbesserungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_200" next="#ID_201"> Angesichts dieser Thatsachen müßte man an der Herstellung eines durch¬<lb/> weg authentischen Chopin-Textes wohl verzweifeln, wenn nicht andere Mittel<lb/> zu Hilfe kämen: Originaldrucke in Privatbesitz, in denen von Chopins eigner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
„Herausgeber" fungirt oder figmirt. Wie im Buchhandel, seitdem „des durch¬
lauchtigsten deutschen Bundes schützende Privilegien" erloschen sind, die Lotter¬
wirthschaft aufgehört hat, daß die Texte unserer Klassiker von Setzern und
Correctoren hergestellt wurden, wie kein deutscher Buchhändler heute mehr wagen
würde, einen Band Schiller oder Goethe drucken zu lassen, ohne einen sachkun¬
digen Herausgeber mit der Durchsicht des Textes zu betrauen, so wollen sich
auch die Musikalienverleger offenbar nicht mehr damit begnügen, den Nachstich
der Platten von ungenannten Correctoren überwachen zu lassen, sondern sie
haben, wie man sieht, alle gesucht, Fachleute für die Herstellung ihrer Ausgaben
zu gewinnen, die mit ihrem Namen für das Geleistete einstehen. Freilich ist auch
das andere auf den ersten Blick klar, daß die genannten Namen nicht alle die
gleiche Bürgschaft für die Gediegenheit der Leistung bieten einer so heiklen
Aufgabe gegenüber, wie gerade Chopins Werke sie dem Herausgeber stellen.
Die Schwierigkeit liegt zunächst in der Herstellung eines correcten Textes.
Die eignen Handschriften Chopins, auf die natürlich, wo es irgend möglich war,
in erster Linie zurückgegangen werden mußte, sollen von Nachlässigkeiten aller
Art und offenbaren Schreibfehlern wimmeln. Falsche Noten und Notenwerthe,
falsche Vorzeichnungen und Schlüssel, Auslassungen von Accordintervallen und
Punkten, Unrichtigkeiten in der Begrenzung der Octavenbezeichnung und der
Bogen, ungenügende Vortragszeichen und Pedalbezeichnungen sollen in Hülle
und Fülle darin zu finden sein- Eine Berufung auf die Manuscripte also, als
auf ein sicheres Fundament der Textgestaltung, muß unter solchen Umständen
vielfach bedenklich erscheinen; von entscheidenderer Wichtigkeit werden die Ori¬
ginaldrucke sein. Leider bilden aber auch diese keine absolut zuverlässige Grund¬
lage für einen correcten Text. Die vorhandenen französischen, deutschen und
englischen Originalausgaben weichen vielfach von einander ab und enthalten
zahlreiche offenbare Fehler. Es gilt dies nicht bloß von den späteren Nach-
und Neudrucken, die für die kritische Feststellung des Textes so gut wie keine
Bedeutung haben, sondern auch von den ältesten Originaldrucken. Was die
Abweichungen betrifft, so haben die verschiedenen Originalausgaben freilich alle
ihren eigenthümlichen Werth. Die Pariser haben den Vorzug, daß sie, öfter
als die deutschen und englischen, während des Stiches Chopin selbst in Paris
zur Correctur vorgelegt werden konnten und thatsächlich vorgelegt worden sind;
die deutschen und englischen wiederum enthalten, da sie meist später sind als
die französischen, hie und da von Chopin selbst gemachte nachträgliche Verände¬
rungen, beziehentlich Verbesserungen.
Angesichts dieser Thatsachen müßte man an der Herstellung eines durch¬
weg authentischen Chopin-Textes wohl verzweifeln, wenn nicht andere Mittel
zu Hilfe kämen: Originaldrucke in Privatbesitz, in denen von Chopins eigner
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