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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Knechte sein mögen. Ist es doch wahrlich viel leichter, das eigene Volk als
Oesterreich zufrieden zu stellen."

Aber nicht nur mit dem auswärtigen Feinde, auch mit den Radikalen und
den conservativen Ultras hatte der König zu kämpfen. Ein gefährlicher Feind
erwuchs ihm in der unzufriedenen Hierarchie. Die Privilegien der Geistlichkeit
waren in Piemont unter seinen bigotten Vorfahren so ungeheuerliche geworden,
wie sie mit einem wohlgeordneten Staatswesen absolut unvereinbar erschienen.
Auf den Vorschlag des Ministers Siccardi wurde beschlossen, dieselben aufzu¬
heben, vor allem die geistlichen Gerichte mit dem Rechte über Leben und Tod,
deren Sprüche bürgerliche Rechtskraft hatten. Darob furchtbare Empörung
unter dem Klerus und seinem zahlreiche" Laien-Anhang, zumal in den höchsten
Ständen und in der unmittelbaren Umgebung des Königs selbst. Kein Mittel
blieb unversucht; selbst nächtliche Gespenster ließ man vor dem Könige, der von
Aberglauben nicht frei war, erscheinen. Er war von geistlichen Spionen um¬
geben: fein eigner Hauscaplan schrieb tägliche Berichte nach Rom. Der Papst
drohte mit dem großen Kirchenbann. Doch die Wirkung aller dieser Anstren¬
gungen war der erhofften gerade entgegengesetzt. Der fromme König kam so
weit, daß er die Geistlichen eine trista, FMig., ein schändliches Gezücht nannte.
Nie konnte er es verwinden, daß sie dem unglücklichen, frommen, aber staats-
und überzeugungstreuen Minister Santa Rosa die Tröstungen der Religion auf
seinem Sterbebette versagt hatten. Schwer war es ihm, den Bitten der Gattin,
der geliebten Mutter zu widerstehen. Aber das Bewußtsein seiner königlichen
Pflicht blieb siegreich: die Gesetze wurden unterzeichnet und ausgeführt.

Auf Bitten d'Azeglios hatte Victor Emanuel den damals populär gewor¬
denen Grafen Camillo Cavour zum Minister an Santa Rosa's Stelle ernannt;
aber indem er das Decret unterzeichnete, sprach er: "Meinetwegen; aber glaubt
mir, er wird euch Alle aus dem Sattel heben." Der König hatte den Mann
richtig beurtheilt; wenige Jahre nachher rief ein geistreicher Piemontese aus:
"Wir haben eine Regierung, eine Kammer, eine Verfassung, und das Alles
heißt Cavour!" Alle die zahllosen Neformmaßregeln, die von dem Könige und
seinem großen, bald an die Spitze der Regierung tretenden Minister in den nächsten
Jahren ins Werk gesetzt wurden, erscheinen in erster Linie darauf berechnet, die
gebundenen Kräfte zu entfesseln, das Volk zur Selbsthilfe anzuregen, die büreau¬
kratische Maschinerie zu vereinfachen, kurz, die Regierten dahin zu bringen, sich ihrer
Kräfte, wie ihrer Rechte bewußt zu werden und sie zu gebrauchen. Dabei wurden
Straßen gebaut, das Eisenbahnnetz vervollständigt, Handelsverträge abgeschlossen,
die Armee und das ganze Kriegswesen zu Lande wie zu Wasser reorganisirt.

Frankreich und England hatten 1854 mit der Türkei das bekannte Bünd-
niß gegen Rußland geschlossen. Mit Enthusiasmus ging der König auf den


Knechte sein mögen. Ist es doch wahrlich viel leichter, das eigene Volk als
Oesterreich zufrieden zu stellen."

Aber nicht nur mit dem auswärtigen Feinde, auch mit den Radikalen und
den conservativen Ultras hatte der König zu kämpfen. Ein gefährlicher Feind
erwuchs ihm in der unzufriedenen Hierarchie. Die Privilegien der Geistlichkeit
waren in Piemont unter seinen bigotten Vorfahren so ungeheuerliche geworden,
wie sie mit einem wohlgeordneten Staatswesen absolut unvereinbar erschienen.
Auf den Vorschlag des Ministers Siccardi wurde beschlossen, dieselben aufzu¬
heben, vor allem die geistlichen Gerichte mit dem Rechte über Leben und Tod,
deren Sprüche bürgerliche Rechtskraft hatten. Darob furchtbare Empörung
unter dem Klerus und seinem zahlreiche» Laien-Anhang, zumal in den höchsten
Ständen und in der unmittelbaren Umgebung des Königs selbst. Kein Mittel
blieb unversucht; selbst nächtliche Gespenster ließ man vor dem Könige, der von
Aberglauben nicht frei war, erscheinen. Er war von geistlichen Spionen um¬
geben: fein eigner Hauscaplan schrieb tägliche Berichte nach Rom. Der Papst
drohte mit dem großen Kirchenbann. Doch die Wirkung aller dieser Anstren¬
gungen war der erhofften gerade entgegengesetzt. Der fromme König kam so
weit, daß er die Geistlichen eine trista, FMig., ein schändliches Gezücht nannte.
Nie konnte er es verwinden, daß sie dem unglücklichen, frommen, aber staats-
und überzeugungstreuen Minister Santa Rosa die Tröstungen der Religion auf
seinem Sterbebette versagt hatten. Schwer war es ihm, den Bitten der Gattin,
der geliebten Mutter zu widerstehen. Aber das Bewußtsein seiner königlichen
Pflicht blieb siegreich: die Gesetze wurden unterzeichnet und ausgeführt.

Auf Bitten d'Azeglios hatte Victor Emanuel den damals populär gewor¬
denen Grafen Camillo Cavour zum Minister an Santa Rosa's Stelle ernannt;
aber indem er das Decret unterzeichnete, sprach er: „Meinetwegen; aber glaubt
mir, er wird euch Alle aus dem Sattel heben." Der König hatte den Mann
richtig beurtheilt; wenige Jahre nachher rief ein geistreicher Piemontese aus:
„Wir haben eine Regierung, eine Kammer, eine Verfassung, und das Alles
heißt Cavour!" Alle die zahllosen Neformmaßregeln, die von dem Könige und
seinem großen, bald an die Spitze der Regierung tretenden Minister in den nächsten
Jahren ins Werk gesetzt wurden, erscheinen in erster Linie darauf berechnet, die
gebundenen Kräfte zu entfesseln, das Volk zur Selbsthilfe anzuregen, die büreau¬
kratische Maschinerie zu vereinfachen, kurz, die Regierten dahin zu bringen, sich ihrer
Kräfte, wie ihrer Rechte bewußt zu werden und sie zu gebrauchen. Dabei wurden
Straßen gebaut, das Eisenbahnnetz vervollständigt, Handelsverträge abgeschlossen,
die Armee und das ganze Kriegswesen zu Lande wie zu Wasser reorganisirt.

Frankreich und England hatten 1854 mit der Türkei das bekannte Bünd-
niß gegen Rußland geschlossen. Mit Enthusiasmus ging der König auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/62>, abgerufen am 23.07.2024.