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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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nicht den der Schande." Dieser entschlossenen Haltung gegenüber gab Radetzky
nach, und die Präliminarien wurden unterzeichnet.

Dennoch wurde der junge König in seiner Hauptstadt kalt und mit düste¬
rem Schweigen empfangen. Die extremen Parteien rangen dort um die Herr¬
schaft ; beide, Reactionäre wie Radikale, waren mit seiner Haltung gleich unzu¬
frieden. Nach den Revolutionsstürmen des "tollen Jahres" senkten sich eben,
im Frühling 1849, die düstern Nebelwolken der Reaction auf Europa herab.
Ueberall jauchzte die zur Herrschaft gekommene altconservative Partei den öster¬
reichischen Siegern und ihrer Politik zu. Selbst conservative Freunde des
Königshauses riethen zur Abschaffung der Verfassung. Aber Victor Emanuel
hielt treu und fest an dem gegebenen Worte. Auch die grün-weiß-rothe Trico-
lore wurde zum größten Mißvergnügen der Oesterreicher beibehalten, als Symbol,
daß der König nicht auf die Verwirklichung der nationalen Idee verzichte. Die
Constitution aufrecht zu erhalten, das Land von der Tyrannei der extremen
Parteien zu befreie" und das große Werk der italienischen Einigung im Stillen
vorzubereiten, das war sein den Vertrauten gegenüber offen ausgesprochener Re-
genteuzweck. Aber die Schwierigkeiten waren ungeheuer. In Genua brach ein
republikanischer Aufstand los, der im Blute erstickt werden mußte; die radikale
Kammer weigerte sich, die Bedingungen von Novara zu ratisiciren, und mußte
aufgelöst werden; erst im August kam der Friede mit Oesterreich zu Stande.
Die Neuwahlen hatten inzwischen eine gemäßigte königstreue Majorität gebracht,
und nun begann jene äußerlich unscheinbare, aber in Wahrheit glanzvolle
Periode, wo das kleine Königreich Sardinien mit seinen 4--5 Millionen Ein¬
wohnern allein im ganzen festländischen und monarchischen Europa die Fahne
des Fortschritts, der Freiheit und der nationalen Idee hochhielt und zugleich
durch innere Reformen nach allen Richtungen hin den Staat würdig dazu vor¬
bereitete, den Kern des künftigen Nationalreiches zu bilden. Auf die dringenden,
von versteckten Drohungen begleiteten Mahnungen Oesterreichs und Preußens
gegen diese liberale und nationale Politik ließ Victor Emanuel durch feinen
Minister Masfimo d'Azeglio, einen der edelsten Männer des modernen Italiens,
erwiedern, er finde, daß Oesterreich und Preußen des guten Rathes bedürftiger
seien als Sardinien. "Lieber als meinen Verfassungseid verletzen," sagte der
König damals zu seinem Freunde, dem Senator Plezza, "gehe ich, gehen wir
Alle nach Amerika." Dem neapolitanischen Gesandten antwortete er später auf
eine ähnliche Zumuthung mit beißender Schärfe: "Ich habe nichts zu fürchten,
denn hinter meinem Throne steht weder der Verrath noch der Meineid", und
mit deutlichem Hinweis auf seine fürstlichen College" in Italien sagte er: "Ich
begreife nicht, wie Leute, die Herren im eigenen Hause sein könnten, Keder


nicht den der Schande." Dieser entschlossenen Haltung gegenüber gab Radetzky
nach, und die Präliminarien wurden unterzeichnet.

Dennoch wurde der junge König in seiner Hauptstadt kalt und mit düste¬
rem Schweigen empfangen. Die extremen Parteien rangen dort um die Herr¬
schaft ; beide, Reactionäre wie Radikale, waren mit seiner Haltung gleich unzu¬
frieden. Nach den Revolutionsstürmen des „tollen Jahres" senkten sich eben,
im Frühling 1849, die düstern Nebelwolken der Reaction auf Europa herab.
Ueberall jauchzte die zur Herrschaft gekommene altconservative Partei den öster¬
reichischen Siegern und ihrer Politik zu. Selbst conservative Freunde des
Königshauses riethen zur Abschaffung der Verfassung. Aber Victor Emanuel
hielt treu und fest an dem gegebenen Worte. Auch die grün-weiß-rothe Trico-
lore wurde zum größten Mißvergnügen der Oesterreicher beibehalten, als Symbol,
daß der König nicht auf die Verwirklichung der nationalen Idee verzichte. Die
Constitution aufrecht zu erhalten, das Land von der Tyrannei der extremen
Parteien zu befreie» und das große Werk der italienischen Einigung im Stillen
vorzubereiten, das war sein den Vertrauten gegenüber offen ausgesprochener Re-
genteuzweck. Aber die Schwierigkeiten waren ungeheuer. In Genua brach ein
republikanischer Aufstand los, der im Blute erstickt werden mußte; die radikale
Kammer weigerte sich, die Bedingungen von Novara zu ratisiciren, und mußte
aufgelöst werden; erst im August kam der Friede mit Oesterreich zu Stande.
Die Neuwahlen hatten inzwischen eine gemäßigte königstreue Majorität gebracht,
und nun begann jene äußerlich unscheinbare, aber in Wahrheit glanzvolle
Periode, wo das kleine Königreich Sardinien mit seinen 4—5 Millionen Ein¬
wohnern allein im ganzen festländischen und monarchischen Europa die Fahne
des Fortschritts, der Freiheit und der nationalen Idee hochhielt und zugleich
durch innere Reformen nach allen Richtungen hin den Staat würdig dazu vor¬
bereitete, den Kern des künftigen Nationalreiches zu bilden. Auf die dringenden,
von versteckten Drohungen begleiteten Mahnungen Oesterreichs und Preußens
gegen diese liberale und nationale Politik ließ Victor Emanuel durch feinen
Minister Masfimo d'Azeglio, einen der edelsten Männer des modernen Italiens,
erwiedern, er finde, daß Oesterreich und Preußen des guten Rathes bedürftiger
seien als Sardinien. „Lieber als meinen Verfassungseid verletzen," sagte der
König damals zu seinem Freunde, dem Senator Plezza, „gehe ich, gehen wir
Alle nach Amerika." Dem neapolitanischen Gesandten antwortete er später auf
eine ähnliche Zumuthung mit beißender Schärfe: „Ich habe nichts zu fürchten,
denn hinter meinem Throne steht weder der Verrath noch der Meineid", und
mit deutlichem Hinweis auf seine fürstlichen College» in Italien sagte er: „Ich
begreife nicht, wie Leute, die Herren im eigenen Hause sein könnten, Keder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/61>, abgerufen am 25.08.2024.