Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

den Vorschlag seines genialen Ministers ein, sich den Westmächten anzuschließen.
Es galt, das Banner Sardiniens auf den europäischen Schlachtfeldern zu ent¬
falten, Oesterreich zuvorzukommen, dessen Bundesgenossenschaft mit den West¬
mächten Piemont und seinen italienischen Projecten Gesahr drohte, endlich sich
für den Friedensschluß im europäischen Areopag Sitz und Stimme und den
Klagen Italiens Gehör zu verschaffen.

Während dieser kühne Schritt in der äußeren Politik geschah, während zu¬
gleich der Kampf mit der ultramontanen Partei im Innern wegen Aufhebung
der Klöster am heftigsten tobte, Prälaten, Beichtväter und fromme Damen am
Hofe intriguirten und selbst die Rechte der Kammer unter Händeringen und
Augenverdrehen den nahen Untergang des Landes verkündete, traf ein furchtbarer
Schlag die piemontesische Königsfamilie. Die Königin-Mutter, der Herzog von
Genua, des Königs inniggeliebter Bruder und Freund, endlich sogar seine junge
blühende Gattin wurden innerhalb weniger Wochen vom Tode hinweggerafft.
Unablässig hatte der König selbst mit treuester Sorge die Seinen gepflegt,
Nacht für Nacht an dem Bette bald der Mutter, bald der Gattin, bald des
Bruders gewacht. Mit schlechtverhehltem Triumph wies die klerikale Partei
auf "den Finger Gottes" hin, auf die schnelle Strafe für den Abfall von der
heiligen Kirche. Die sterbende Mutter hatte dem tieferschütterte" Sohne das
Versprechen abgenommen, nochmals den Weg der Versöhnung mit Rom zu be¬
treten. Einen Augenblick schwankte Victor Emanuel; als aber Cavour seine
Entlassung anbot und der edle d'Azeglio den König freimüthig und energisch
darauf hinwies, daß die Pietät gegen die Verstorbene eine Grenze finde an den
Pflichten des Monarchen gegen sein Land, als auch die öffentliche Meinung sich
unzweifelhaft in gleichem Sinne kundgab, überwand er seine Bedenken. Von
da ab war der Bruch mit der Hierarchie unheilbar. Aber in den wenigen
Wochen -- erzählt d'Azeglio -- war das Aussehen des Königs so verändert,
als sei er um 15 Jahre gealtert.

Bei der Reise, welche Victor Emanuel im Interesse seines Landes in Be¬
gleitung Cavours und d'Azeglios im November 1855 nach Paris unternahm,
knüpfte sich jene folgenreiche Freundschaft mit Napoleon III. an, die, mit einer
kurzen Unterbrechung nach dem Kriege von 1859, bis zum Tode des Kaisers
Stand hielt. Für Italien brachte der König freilich zunächst nur wohlfeile
Sympathieergüsse aus der französischen und englischen Hauptstadt und die viel-
citirten Worte Napoleons: Hus xkut-ein tairs xour mit heim, aber
bei dem Friedenscongresse im Frühling 1856 gelang es Cavonr, im Namen
seines Königs als Sachwalter des unterdrückten Italiens gegen Oesterreich
und seine italienischen Satelliten öffentlich aufzutreten und die Augen Europas
auf diesen gefährlichen Schaden an seinem Leibe zu lenken. Die Wirkung war


den Vorschlag seines genialen Ministers ein, sich den Westmächten anzuschließen.
Es galt, das Banner Sardiniens auf den europäischen Schlachtfeldern zu ent¬
falten, Oesterreich zuvorzukommen, dessen Bundesgenossenschaft mit den West¬
mächten Piemont und seinen italienischen Projecten Gesahr drohte, endlich sich
für den Friedensschluß im europäischen Areopag Sitz und Stimme und den
Klagen Italiens Gehör zu verschaffen.

Während dieser kühne Schritt in der äußeren Politik geschah, während zu¬
gleich der Kampf mit der ultramontanen Partei im Innern wegen Aufhebung
der Klöster am heftigsten tobte, Prälaten, Beichtväter und fromme Damen am
Hofe intriguirten und selbst die Rechte der Kammer unter Händeringen und
Augenverdrehen den nahen Untergang des Landes verkündete, traf ein furchtbarer
Schlag die piemontesische Königsfamilie. Die Königin-Mutter, der Herzog von
Genua, des Königs inniggeliebter Bruder und Freund, endlich sogar seine junge
blühende Gattin wurden innerhalb weniger Wochen vom Tode hinweggerafft.
Unablässig hatte der König selbst mit treuester Sorge die Seinen gepflegt,
Nacht für Nacht an dem Bette bald der Mutter, bald der Gattin, bald des
Bruders gewacht. Mit schlechtverhehltem Triumph wies die klerikale Partei
auf „den Finger Gottes" hin, auf die schnelle Strafe für den Abfall von der
heiligen Kirche. Die sterbende Mutter hatte dem tieferschütterte» Sohne das
Versprechen abgenommen, nochmals den Weg der Versöhnung mit Rom zu be¬
treten. Einen Augenblick schwankte Victor Emanuel; als aber Cavour seine
Entlassung anbot und der edle d'Azeglio den König freimüthig und energisch
darauf hinwies, daß die Pietät gegen die Verstorbene eine Grenze finde an den
Pflichten des Monarchen gegen sein Land, als auch die öffentliche Meinung sich
unzweifelhaft in gleichem Sinne kundgab, überwand er seine Bedenken. Von
da ab war der Bruch mit der Hierarchie unheilbar. Aber in den wenigen
Wochen — erzählt d'Azeglio — war das Aussehen des Königs so verändert,
als sei er um 15 Jahre gealtert.

Bei der Reise, welche Victor Emanuel im Interesse seines Landes in Be¬
gleitung Cavours und d'Azeglios im November 1855 nach Paris unternahm,
knüpfte sich jene folgenreiche Freundschaft mit Napoleon III. an, die, mit einer
kurzen Unterbrechung nach dem Kriege von 1859, bis zum Tode des Kaisers
Stand hielt. Für Italien brachte der König freilich zunächst nur wohlfeile
Sympathieergüsse aus der französischen und englischen Hauptstadt und die viel-
citirten Worte Napoleons: Hus xkut-ein tairs xour mit heim, aber
bei dem Friedenscongresse im Frühling 1856 gelang es Cavonr, im Namen
seines Königs als Sachwalter des unterdrückten Italiens gegen Oesterreich
und seine italienischen Satelliten öffentlich aufzutreten und die Augen Europas
auf diesen gefährlichen Schaden an seinem Leibe zu lenken. Die Wirkung war


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/145992"/>
          <p xml:id="ID_147" prev="#ID_146"> den Vorschlag seines genialen Ministers ein, sich den Westmächten anzuschließen.<lb/>
Es galt, das Banner Sardiniens auf den europäischen Schlachtfeldern zu ent¬<lb/>
falten, Oesterreich zuvorzukommen, dessen Bundesgenossenschaft mit den West¬<lb/>
mächten Piemont und seinen italienischen Projecten Gesahr drohte, endlich sich<lb/>
für den Friedensschluß im europäischen Areopag Sitz und Stimme und den<lb/>
Klagen Italiens Gehör zu verschaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_148"> Während dieser kühne Schritt in der äußeren Politik geschah, während zu¬<lb/>
gleich der Kampf mit der ultramontanen Partei im Innern wegen Aufhebung<lb/>
der Klöster am heftigsten tobte, Prälaten, Beichtväter und fromme Damen am<lb/>
Hofe intriguirten und selbst die Rechte der Kammer unter Händeringen und<lb/>
Augenverdrehen den nahen Untergang des Landes verkündete, traf ein furchtbarer<lb/>
Schlag die piemontesische Königsfamilie. Die Königin-Mutter, der Herzog von<lb/>
Genua, des Königs inniggeliebter Bruder und Freund, endlich sogar seine junge<lb/>
blühende Gattin wurden innerhalb weniger Wochen vom Tode hinweggerafft.<lb/>
Unablässig hatte der König selbst mit treuester Sorge die Seinen gepflegt,<lb/>
Nacht für Nacht an dem Bette bald der Mutter, bald der Gattin, bald des<lb/>
Bruders gewacht. Mit schlechtverhehltem Triumph wies die klerikale Partei<lb/>
auf &#x201E;den Finger Gottes" hin, auf die schnelle Strafe für den Abfall von der<lb/>
heiligen Kirche. Die sterbende Mutter hatte dem tieferschütterte» Sohne das<lb/>
Versprechen abgenommen, nochmals den Weg der Versöhnung mit Rom zu be¬<lb/>
treten. Einen Augenblick schwankte Victor Emanuel; als aber Cavour seine<lb/>
Entlassung anbot und der edle d'Azeglio den König freimüthig und energisch<lb/>
darauf hinwies, daß die Pietät gegen die Verstorbene eine Grenze finde an den<lb/>
Pflichten des Monarchen gegen sein Land, als auch die öffentliche Meinung sich<lb/>
unzweifelhaft in gleichem Sinne kundgab, überwand er seine Bedenken. Von<lb/>
da ab war der Bruch mit der Hierarchie unheilbar. Aber in den wenigen<lb/>
Wochen &#x2014; erzählt d'Azeglio &#x2014; war das Aussehen des Königs so verändert,<lb/>
als sei er um 15 Jahre gealtert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_149" next="#ID_150"> Bei der Reise, welche Victor Emanuel im Interesse seines Landes in Be¬<lb/>
gleitung Cavours und d'Azeglios im November 1855 nach Paris unternahm,<lb/>
knüpfte sich jene folgenreiche Freundschaft mit Napoleon III. an, die, mit einer<lb/>
kurzen Unterbrechung nach dem Kriege von 1859, bis zum Tode des Kaisers<lb/>
Stand hielt. Für Italien brachte der König freilich zunächst nur wohlfeile<lb/>
Sympathieergüsse aus der französischen und englischen Hauptstadt und die viel-<lb/>
citirten Worte Napoleons: Hus xkut-ein tairs xour mit heim, aber<lb/>
bei dem Friedenscongresse im Frühling 1856 gelang es Cavonr, im Namen<lb/>
seines Königs als Sachwalter des unterdrückten Italiens gegen Oesterreich<lb/>
und seine italienischen Satelliten öffentlich aufzutreten und die Augen Europas<lb/>
auf diesen gefährlichen Schaden an seinem Leibe zu lenken. Die Wirkung war</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] den Vorschlag seines genialen Ministers ein, sich den Westmächten anzuschließen. Es galt, das Banner Sardiniens auf den europäischen Schlachtfeldern zu ent¬ falten, Oesterreich zuvorzukommen, dessen Bundesgenossenschaft mit den West¬ mächten Piemont und seinen italienischen Projecten Gesahr drohte, endlich sich für den Friedensschluß im europäischen Areopag Sitz und Stimme und den Klagen Italiens Gehör zu verschaffen. Während dieser kühne Schritt in der äußeren Politik geschah, während zu¬ gleich der Kampf mit der ultramontanen Partei im Innern wegen Aufhebung der Klöster am heftigsten tobte, Prälaten, Beichtväter und fromme Damen am Hofe intriguirten und selbst die Rechte der Kammer unter Händeringen und Augenverdrehen den nahen Untergang des Landes verkündete, traf ein furchtbarer Schlag die piemontesische Königsfamilie. Die Königin-Mutter, der Herzog von Genua, des Königs inniggeliebter Bruder und Freund, endlich sogar seine junge blühende Gattin wurden innerhalb weniger Wochen vom Tode hinweggerafft. Unablässig hatte der König selbst mit treuester Sorge die Seinen gepflegt, Nacht für Nacht an dem Bette bald der Mutter, bald der Gattin, bald des Bruders gewacht. Mit schlechtverhehltem Triumph wies die klerikale Partei auf „den Finger Gottes" hin, auf die schnelle Strafe für den Abfall von der heiligen Kirche. Die sterbende Mutter hatte dem tieferschütterte» Sohne das Versprechen abgenommen, nochmals den Weg der Versöhnung mit Rom zu be¬ treten. Einen Augenblick schwankte Victor Emanuel; als aber Cavour seine Entlassung anbot und der edle d'Azeglio den König freimüthig und energisch darauf hinwies, daß die Pietät gegen die Verstorbene eine Grenze finde an den Pflichten des Monarchen gegen sein Land, als auch die öffentliche Meinung sich unzweifelhaft in gleichem Sinne kundgab, überwand er seine Bedenken. Von da ab war der Bruch mit der Hierarchie unheilbar. Aber in den wenigen Wochen — erzählt d'Azeglio — war das Aussehen des Königs so verändert, als sei er um 15 Jahre gealtert. Bei der Reise, welche Victor Emanuel im Interesse seines Landes in Be¬ gleitung Cavours und d'Azeglios im November 1855 nach Paris unternahm, knüpfte sich jene folgenreiche Freundschaft mit Napoleon III. an, die, mit einer kurzen Unterbrechung nach dem Kriege von 1859, bis zum Tode des Kaisers Stand hielt. Für Italien brachte der König freilich zunächst nur wohlfeile Sympathieergüsse aus der französischen und englischen Hauptstadt und die viel- citirten Worte Napoleons: Hus xkut-ein tairs xour mit heim, aber bei dem Friedenscongresse im Frühling 1856 gelang es Cavonr, im Namen seines Königs als Sachwalter des unterdrückten Italiens gegen Oesterreich und seine italienischen Satelliten öffentlich aufzutreten und die Augen Europas auf diesen gefährlichen Schaden an seinem Leibe zu lenken. Die Wirkung war

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/63>, abgerufen am 23.07.2024.