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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Die dein Worte verbundene Musik macht uns immer neue Formen des Aus¬
drucks für das seelische Empfinden geläufig und führt so immer wieder zu neuen
Bereicherungen der absoluten Musik. Diese aber muß allezeit als die vollkommenste
Erscheinung der musikalische" Kunst angesehen werden, da sie nnr ans sich selbst
ohne Beihilfe fremder Elemente wirkt. Darum habe" wir die feste Ueberzeugung,
daß auch Wagners Kunstschaffen von Einfluß auf die nächste Gestaltung der
absoluten Musik sein wird, da deren Ausdrucksmittel durch ihn eine neue
werthvolle Bereicherung gefunden haben. Nicht auf dem Gebiete der Overn-
composition, sondern auf dem der absoluten Musik möchten wir den nächsten
Fortschritt über Wagner hinaus erwarten; daß aber auch bei diesem neuen Fort¬
schritte die absolute Musik der symmetrischen Gestaltung nicht wird entbehren
können, daß die nachwagnerische absolute Musik nicht in die für die Gesangs¬
musik und für die illustrirende Musik zulässige Formlosigkeit verfallen wird,
wollen wir hoffen und dürfen wir als bestimmt annehme". Sonst würde eine
vollständige Reaction unvermeidlich werden. Die Mozartschen, Beethovenschell und
Schumannschen Schusterflecken werden also wohl auch dann nicht verschwinden, und
wenn Herr Joseph Rubinstein dann noch lebt, so mag er seine Harfe aufhängen
und weinen über den Verfall der Kunst seines Meisters; denn er wird auch
dann allgemein gefallende Themen finden, bei denen er sich nichts denken kann.

Vorläufig ist Schumanns Seelensprache noch eine verständliche und keines¬
wegs veraltete für uus; selbst Beethoven ist uns noch geläufig, oder -- noch
nicht einmal' geläufig. Die kindlich naive Ausdrucksweise Mozarts wird wohl
so leicht nicht unverständlich werden, und selbst der alte Sebastian Bach wird
immer wieder jung. Und wird denn überhaupt eine schlichte, einfache, eine
kernige, derbe, eine gemüthvolle, milde oder eine schmerzlich ernsthafte Ausdrucks¬
weise darum unverständlich, weil nenerdings eine überschwänglich leidenschaft¬
liche aufgekommen ist? Jeder giebt, was er kann; wer das Ausdrucksvermögen
der Kunst bereichert, wer wahre Kunstwerke geschaffen hat, dem sind wir Dank
schuldig; es ziemt uus nicht, das Alte um des Neuen willen zu verachten.


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Die dein Worte verbundene Musik macht uns immer neue Formen des Aus¬
drucks für das seelische Empfinden geläufig und führt so immer wieder zu neuen
Bereicherungen der absoluten Musik. Diese aber muß allezeit als die vollkommenste
Erscheinung der musikalische» Kunst angesehen werden, da sie nnr ans sich selbst
ohne Beihilfe fremder Elemente wirkt. Darum habe» wir die feste Ueberzeugung,
daß auch Wagners Kunstschaffen von Einfluß auf die nächste Gestaltung der
absoluten Musik sein wird, da deren Ausdrucksmittel durch ihn eine neue
werthvolle Bereicherung gefunden haben. Nicht auf dem Gebiete der Overn-
composition, sondern auf dem der absoluten Musik möchten wir den nächsten
Fortschritt über Wagner hinaus erwarten; daß aber auch bei diesem neuen Fort¬
schritte die absolute Musik der symmetrischen Gestaltung nicht wird entbehren
können, daß die nachwagnerische absolute Musik nicht in die für die Gesangs¬
musik und für die illustrirende Musik zulässige Formlosigkeit verfallen wird,
wollen wir hoffen und dürfen wir als bestimmt annehme». Sonst würde eine
vollständige Reaction unvermeidlich werden. Die Mozartschen, Beethovenschell und
Schumannschen Schusterflecken werden also wohl auch dann nicht verschwinden, und
wenn Herr Joseph Rubinstein dann noch lebt, so mag er seine Harfe aufhängen
und weinen über den Verfall der Kunst seines Meisters; denn er wird auch
dann allgemein gefallende Themen finden, bei denen er sich nichts denken kann.

Vorläufig ist Schumanns Seelensprache noch eine verständliche und keines¬
wegs veraltete für uus; selbst Beethoven ist uns noch geläufig, oder — noch
nicht einmal' geläufig. Die kindlich naive Ausdrucksweise Mozarts wird wohl
so leicht nicht unverständlich werden, und selbst der alte Sebastian Bach wird
immer wieder jung. Und wird denn überhaupt eine schlichte, einfache, eine
kernige, derbe, eine gemüthvolle, milde oder eine schmerzlich ernsthafte Ausdrucks¬
weise darum unverständlich, weil nenerdings eine überschwänglich leidenschaft¬
liche aufgekommen ist? Jeder giebt, was er kann; wer das Ausdrucksvermögen
der Kunst bereichert, wer wahre Kunstwerke geschaffen hat, dem sind wir Dank
schuldig; es ziemt uus nicht, das Alte um des Neuen willen zu verachten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/51>, abgerufen am 22.07.2024.