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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Winter 1848--49 kam der Herzog de Luynes wieder nach Rom und bewährte
von neuem sein Interesse und seine Freigebigkeit. Sie war nöthig, denn die
nahenden politischen Stürme setzten das Institut bereits in fühlbare Bedrängniß.
"In ganz Frankreich, das einst siebzig und mehr Exemplare bezogen hatte, war
der Verkauf, außer drei Exemplaren, welche Luynes selbst hielt, auf sechs
zus ammer ges es rümpft!"

Aber selbst Luynes konnte nicht lange mehr helfen. Der Ausbruch der
Februar-Revolution nahm ihn so in Anspruch, daß er auf alle andern Interessen
verzichten mußte. Die französische Section war damit so gut wie aufgelöst.
Der Pariser Jahrgang 1847 mußte unfertig ausgegeben werden, und auch in
Rom war man voller Sorgen. Zwar erfolgte trotz der Berliner März-Ereignisse
nochmals die Gehaltsbewilliguug durch den königlichen Protector sür weitere sechs
Jahre; aber die Clausel "für den Fall der Erhaltung des Friedens" mußte die
Hoffnungen sehr einschränken und bewog Gerhard, an Beschränkung der Jnstituts-
thätigkeit zu denken. Braun und Herzen verloren den Muth uicht, obschon der
erstere, Mitglied der römischen Bürgergarde und politischer Correspondent, nur
durch die Vermittlung des preußischen Gesandten v. Reumont vor der Aus¬
weisung bewahrt blieb und der letztere während der französischen Belagerung
nicht einmal Druckpapier fand und nach derselben vor Ueberanstrengung erkrankte.
Hauptsächlich durch sein Ausharren ist in dieser schweren Zeit das Institut
über Wasser gehalten worden -- ein um so größeres Verdienst, als sowohl die
Subscribentenzahl wie die Betheiligung der Mitarbeiter und selbst der Stoff
unter dem Druck der Zeitverhältnisse abnahm und Braun eher ungünstig als
fördernd zu wirken begann.

Bei Braun, der aus Mangel an streng philologischer Bildung und über¬
wiegender Neigung zu rein ästhetisch-subjectiver Betrachtung der Kunstwerke
von vornherein eine gewisse Geringschätzung gegen alles, was er "Scholiasten-
gelehrsamkeit" und "Eruditionsplunder" nannte, gehabt hatte, war mit der Zeit
ein entschiedener Haß gegen die gelehrte Behandlung der Archäologie und die
neueren deutschen Werke, die er als Producte "geistlosen Fleißes" und "weiheloser
Buchmachern" bezeichnete, entstanden. Dies hatte schon von Seiten der jüngeren
philologisch geschulten Capitolsgenossen, die er auf Wanderungen durch die
Museen oder seit 1845 in mehr populär gehaltenen Vorlesungen mit rhetorischen
und ästhetisirenden Betrachtungen überschüttete, zu manchem Widerspruch geführt.
Dazu kam, daß er in seinem phantastischen Speculationshange und seiner Viel¬
seitigkeit sich nicht mehr durch die archäologische Thätigkeit befriedigt fühlte. Er
wandte sich der Kunsttechnik und Industrie zu, begann, sich mit eigener Her¬
stellung von Gypsabgüssen, galvanoplastischen und Korkreproduetionen der
Monumente zu beschäftigen, künstlichen Marmor, Holzschneidearbeiten, Photo-


Winter 1848—49 kam der Herzog de Luynes wieder nach Rom und bewährte
von neuem sein Interesse und seine Freigebigkeit. Sie war nöthig, denn die
nahenden politischen Stürme setzten das Institut bereits in fühlbare Bedrängniß.
„In ganz Frankreich, das einst siebzig und mehr Exemplare bezogen hatte, war
der Verkauf, außer drei Exemplaren, welche Luynes selbst hielt, auf sechs
zus ammer ges es rümpft!"

Aber selbst Luynes konnte nicht lange mehr helfen. Der Ausbruch der
Februar-Revolution nahm ihn so in Anspruch, daß er auf alle andern Interessen
verzichten mußte. Die französische Section war damit so gut wie aufgelöst.
Der Pariser Jahrgang 1847 mußte unfertig ausgegeben werden, und auch in
Rom war man voller Sorgen. Zwar erfolgte trotz der Berliner März-Ereignisse
nochmals die Gehaltsbewilliguug durch den königlichen Protector sür weitere sechs
Jahre; aber die Clausel „für den Fall der Erhaltung des Friedens" mußte die
Hoffnungen sehr einschränken und bewog Gerhard, an Beschränkung der Jnstituts-
thätigkeit zu denken. Braun und Herzen verloren den Muth uicht, obschon der
erstere, Mitglied der römischen Bürgergarde und politischer Correspondent, nur
durch die Vermittlung des preußischen Gesandten v. Reumont vor der Aus¬
weisung bewahrt blieb und der letztere während der französischen Belagerung
nicht einmal Druckpapier fand und nach derselben vor Ueberanstrengung erkrankte.
Hauptsächlich durch sein Ausharren ist in dieser schweren Zeit das Institut
über Wasser gehalten worden — ein um so größeres Verdienst, als sowohl die
Subscribentenzahl wie die Betheiligung der Mitarbeiter und selbst der Stoff
unter dem Druck der Zeitverhältnisse abnahm und Braun eher ungünstig als
fördernd zu wirken begann.

Bei Braun, der aus Mangel an streng philologischer Bildung und über¬
wiegender Neigung zu rein ästhetisch-subjectiver Betrachtung der Kunstwerke
von vornherein eine gewisse Geringschätzung gegen alles, was er „Scholiasten-
gelehrsamkeit" und „Eruditionsplunder" nannte, gehabt hatte, war mit der Zeit
ein entschiedener Haß gegen die gelehrte Behandlung der Archäologie und die
neueren deutschen Werke, die er als Producte „geistlosen Fleißes" und „weiheloser
Buchmachern" bezeichnete, entstanden. Dies hatte schon von Seiten der jüngeren
philologisch geschulten Capitolsgenossen, die er auf Wanderungen durch die
Museen oder seit 1845 in mehr populär gehaltenen Vorlesungen mit rhetorischen
und ästhetisirenden Betrachtungen überschüttete, zu manchem Widerspruch geführt.
Dazu kam, daß er in seinem phantastischen Speculationshange und seiner Viel¬
seitigkeit sich nicht mehr durch die archäologische Thätigkeit befriedigt fühlte. Er
wandte sich der Kunsttechnik und Industrie zu, begann, sich mit eigener Her¬
stellung von Gypsabgüssen, galvanoplastischen und Korkreproduetionen der
Monumente zu beschäftigen, künstlichen Marmor, Holzschneidearbeiten, Photo-


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[0470] Winter 1848—49 kam der Herzog de Luynes wieder nach Rom und bewährte von neuem sein Interesse und seine Freigebigkeit. Sie war nöthig, denn die nahenden politischen Stürme setzten das Institut bereits in fühlbare Bedrängniß. „In ganz Frankreich, das einst siebzig und mehr Exemplare bezogen hatte, war der Verkauf, außer drei Exemplaren, welche Luynes selbst hielt, auf sechs zus ammer ges es rümpft!" Aber selbst Luynes konnte nicht lange mehr helfen. Der Ausbruch der Februar-Revolution nahm ihn so in Anspruch, daß er auf alle andern Interessen verzichten mußte. Die französische Section war damit so gut wie aufgelöst. Der Pariser Jahrgang 1847 mußte unfertig ausgegeben werden, und auch in Rom war man voller Sorgen. Zwar erfolgte trotz der Berliner März-Ereignisse nochmals die Gehaltsbewilliguug durch den königlichen Protector sür weitere sechs Jahre; aber die Clausel „für den Fall der Erhaltung des Friedens" mußte die Hoffnungen sehr einschränken und bewog Gerhard, an Beschränkung der Jnstituts- thätigkeit zu denken. Braun und Herzen verloren den Muth uicht, obschon der erstere, Mitglied der römischen Bürgergarde und politischer Correspondent, nur durch die Vermittlung des preußischen Gesandten v. Reumont vor der Aus¬ weisung bewahrt blieb und der letztere während der französischen Belagerung nicht einmal Druckpapier fand und nach derselben vor Ueberanstrengung erkrankte. Hauptsächlich durch sein Ausharren ist in dieser schweren Zeit das Institut über Wasser gehalten worden — ein um so größeres Verdienst, als sowohl die Subscribentenzahl wie die Betheiligung der Mitarbeiter und selbst der Stoff unter dem Druck der Zeitverhältnisse abnahm und Braun eher ungünstig als fördernd zu wirken begann. Bei Braun, der aus Mangel an streng philologischer Bildung und über¬ wiegender Neigung zu rein ästhetisch-subjectiver Betrachtung der Kunstwerke von vornherein eine gewisse Geringschätzung gegen alles, was er „Scholiasten- gelehrsamkeit" und „Eruditionsplunder" nannte, gehabt hatte, war mit der Zeit ein entschiedener Haß gegen die gelehrte Behandlung der Archäologie und die neueren deutschen Werke, die er als Producte „geistlosen Fleißes" und „weiheloser Buchmachern" bezeichnete, entstanden. Dies hatte schon von Seiten der jüngeren philologisch geschulten Capitolsgenossen, die er auf Wanderungen durch die Museen oder seit 1845 in mehr populär gehaltenen Vorlesungen mit rhetorischen und ästhetisirenden Betrachtungen überschüttete, zu manchem Widerspruch geführt. Dazu kam, daß er in seinem phantastischen Speculationshange und seiner Viel¬ seitigkeit sich nicht mehr durch die archäologische Thätigkeit befriedigt fühlte. Er wandte sich der Kunsttechnik und Industrie zu, begann, sich mit eigener Her¬ stellung von Gypsabgüssen, galvanoplastischen und Korkreproduetionen der Monumente zu beschäftigen, künstlichen Marmor, Holzschneidearbeiten, Photo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/470>, abgerufen am 23.07.2024.