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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ausgeschiedene Canon der Messe, während in der evangelischen Kirche nach dem
Vaterunser die Einsetzung des Abendmahls und darauf die Austheilung unter
dem Gesang des ^.Znus ohl (O Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt) folgt,
worauf die Feier unter Schlußgebet und Segen endet.

Was die Predigt betrifft, so ordnete Luther an, daß sie entweder zwischen
beide Hälften der Messe, also nach dem Osäo und vor dem Offertorium, ein¬
geschaltet oder vor dem Beginn der Messe gehalten werden solle, in welchem
Falle sie eigentlich einen eigenen, der Messe vorangehenden Predigtgottesdienst
bildet. Das erstere ist heute der allgemeine Gebrauch der evangelischen, das letz¬
tere der der katholischen Kirche in Deutschland. Noch in seiner tormuls. nnssg."
von 1523 ist Luther geneigt, der zweiten Anordnung den Vorzug zu geben, und
daß diese neben der anderen im 16. Jahrhundert wirklich vorgekommen ist, zeigt
z. B. die von Osiander verfaßte Pfalzenburgische Kirchenordnung von 1543.
In der Hauptsache traf Luther aber weiter folgende Einrichtung, welche von
sämmtlichen Kirchenordnungen beibehalten wird: an jedem Sonn- und Festtage
wird als Hauptgottesdienst die Messe gehalten, und zwar, wenn Communion
stattfindet, in ganzer Gestalt; wenn dagegen keine Communicanten da sind, so
bleibt für die erste Hälfte der Messe alles unverändert, aus der letzten aber
wird alles ausgeschieden, was unmittelbar mit Einsetzung und Austheilung des
Abendmahls zusammenhängt, sodaß das nachbleibende sich an die erste Hälfte
einfach als Schluß eines gewöhnlichen Gottesdienstes anfügt.

Allerdings führte nun Luther für die Liturgie, soweit sie liturgisch vorge¬
tragen ward, deutsche Texte ein; für den Chorgesang dagegen blieben die latei¬
nischen Texte nach wie vor erlaubt und gebräuchlich, ja die Kirchenordnungen
bezeichnen es nicht selten geradezu als wünschenswert!), daß man sie im Chor-
gesange nicht abkommen lasse.

Neben den lateinischen Meßtexten und inhaltlich mit ihnen parallel ließ
man aber wohl den Gemeindegesang mit eintreten. Für die fünf feststehenden
Texte wurden z. B. fünf Lieder gedichtet; dem X/ris entsprach das Lied:
"Kyrie, Vater in Ewigkeit!" dem Gloris, entsprach: "Allein Gott in der Höh
sei Ehr!" dem Osäo: "Wir glauben all' an einen Gott!" dem 3g.roof:
"Jesaia dem Propheten das geschah!" und dem ^.g-ruf ohl: "O Lamm Gottes
unschuldig." Demnächst entstanden dann auch in ähnlichem Zusammenhange mit
den drei wechselnden Meßtexten andere Lieder, welche, wo kein Chor vorhanden
war, an Stelle der Jntroiten, Gradualien und Offertorien gesungen werden
konnten. Nur ist dabei festzuhalten, daß noch auf längere Zeit hinaus der
Gemeindegesang im Hauptgottesdienste der großen städtischen Kirchen dem Chor-
gesange gegenüber eine untergeordnete Stellung behielt. Dagegen bemächtigte sich


ausgeschiedene Canon der Messe, während in der evangelischen Kirche nach dem
Vaterunser die Einsetzung des Abendmahls und darauf die Austheilung unter
dem Gesang des ^.Znus ohl (O Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt) folgt,
worauf die Feier unter Schlußgebet und Segen endet.

Was die Predigt betrifft, so ordnete Luther an, daß sie entweder zwischen
beide Hälften der Messe, also nach dem Osäo und vor dem Offertorium, ein¬
geschaltet oder vor dem Beginn der Messe gehalten werden solle, in welchem
Falle sie eigentlich einen eigenen, der Messe vorangehenden Predigtgottesdienst
bildet. Das erstere ist heute der allgemeine Gebrauch der evangelischen, das letz¬
tere der der katholischen Kirche in Deutschland. Noch in seiner tormuls. nnssg.«
von 1523 ist Luther geneigt, der zweiten Anordnung den Vorzug zu geben, und
daß diese neben der anderen im 16. Jahrhundert wirklich vorgekommen ist, zeigt
z. B. die von Osiander verfaßte Pfalzenburgische Kirchenordnung von 1543.
In der Hauptsache traf Luther aber weiter folgende Einrichtung, welche von
sämmtlichen Kirchenordnungen beibehalten wird: an jedem Sonn- und Festtage
wird als Hauptgottesdienst die Messe gehalten, und zwar, wenn Communion
stattfindet, in ganzer Gestalt; wenn dagegen keine Communicanten da sind, so
bleibt für die erste Hälfte der Messe alles unverändert, aus der letzten aber
wird alles ausgeschieden, was unmittelbar mit Einsetzung und Austheilung des
Abendmahls zusammenhängt, sodaß das nachbleibende sich an die erste Hälfte
einfach als Schluß eines gewöhnlichen Gottesdienstes anfügt.

Allerdings führte nun Luther für die Liturgie, soweit sie liturgisch vorge¬
tragen ward, deutsche Texte ein; für den Chorgesang dagegen blieben die latei¬
nischen Texte nach wie vor erlaubt und gebräuchlich, ja die Kirchenordnungen
bezeichnen es nicht selten geradezu als wünschenswert!), daß man sie im Chor-
gesange nicht abkommen lasse.

Neben den lateinischen Meßtexten und inhaltlich mit ihnen parallel ließ
man aber wohl den Gemeindegesang mit eintreten. Für die fünf feststehenden
Texte wurden z. B. fünf Lieder gedichtet; dem X/ris entsprach das Lied:
„Kyrie, Vater in Ewigkeit!" dem Gloris, entsprach: „Allein Gott in der Höh
sei Ehr!" dem Osäo: „Wir glauben all' an einen Gott!" dem 3g.roof:
„Jesaia dem Propheten das geschah!" und dem ^.g-ruf ohl: „O Lamm Gottes
unschuldig." Demnächst entstanden dann auch in ähnlichem Zusammenhange mit
den drei wechselnden Meßtexten andere Lieder, welche, wo kein Chor vorhanden
war, an Stelle der Jntroiten, Gradualien und Offertorien gesungen werden
konnten. Nur ist dabei festzuhalten, daß noch auf längere Zeit hinaus der
Gemeindegesang im Hauptgottesdienste der großen städtischen Kirchen dem Chor-
gesange gegenüber eine untergeordnete Stellung behielt. Dagegen bemächtigte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/460>, abgerufen am 23.07.2024.