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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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so schuf auch Luther aus ihr für die junge Kirche den sonn- und festtäglichen
Hauptgottesdienst, indem er der Predigt und dem Gemeindegesange innerhalb
ihres Schemas eine Stelle anwies. Auf diesem Grunde ballten dann sämmt¬
liche Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts fort, wenn auch im Einzelnen
unter den mannigfaltigsten Abweichungen von einander. Denn von Anfang an
wurde es den Gemeinden grundsätzlich freigestellt, sich in der Anordnung des
Gottesdienstes an die bei ihnen einmal entwickelten Formen so eng wie möglich
anzuschließen, nur unter Beibehaltung des Grundschemas der Messe, wie es von
Luther aufgestellt war. In diesem Grundschema aber waren sämmtliche litur¬
gisch-musikalischen Texte der alten Messe unverändert beibehalten, und es war
damit nach wie vor die Wahl gelassen, sie in der Ausführung liturgisch vor¬
tragen oder vom Chor musikalisch singen zu lassen.

Liturgische Texte nennt man innerhalb eines Gottesdienstes diejenigen,
welche der uralten Einrichtung der Kirche gemäß nicht gesprochen, sondern auf
die Notenreihen des sogenannten gregorianischen Chorals singend vorgetragen
werden. Für einen Theil dieser liturgischen Texte hat sich schon im früheren
Mittelalter die Gewohnheit gebildet, sie in beliebigem Wechsel zwischen beiden
Formen bald liturgisch, bald musikalisch zu behandeln. Im ersten Falle werden
sie entweder vom Geistlichen oder vom respondirenden Chor, von letzterem dann
in unisonem Gesänge auf die Noten des gregorianischen Chorales vorgetragen,
im zweiten Falle werden sie vom Chor in einem freigebildeten musikalischen Satze
gesungen. Es paßt sich dies eben der Festlichkeit und den vorhandenen gefäng¬
lichen und musikalischen Kräften und Mitteln an.

Die Messe besteht bekanntlich aus zwei Hälften. Die erste umfaßt die
Responsorien, die Psalmlesung, die Sündenbekenntniß mit Absolution und den
Introitus, d. h. einen nach den einzelnen Sonn- oder Festtagen wechselnden
Bibelspruch, den Gesang des Xz^ris, des Aoriel (Ehre sei Gott in der Höhe)
und, nach abermaligen Responsorien, dem priesterlichen Gebet, der Collecte und
der Epistellesung, den Gesang der Graduale -- es ist dies wieder ein nach den
einzelnen Tagen wechselnder Bibelspruch - und zuletzt, nach Verlesung des
Sonntagsevangeliums > den Gesang des Oocio (Ich glaube an Gott den
Vater :c.). Die zweite Hälfte der Messe umfaßt die Abendmahlsfeier, den
Gesang des Offertoriums, eines dritten, nach den einzelnen Tagen wechselnden
Bibelspruchs, dann die Präfation, einen zwar nicht nach den einzelnen Festen,
aber doch nach den kirchlichen Festzeiten sich ändernden Wechselgesang zwischen
Priester und Chor, der aber niemals musikalisch, sondern stets nur liturgisch
gesungen wird. Darauf folgt das Llmows mit dem Lsusäiows (Heilig, heilig,
heilig ist der Herr! und Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn.)
Daran schließt sich in der katholischen Kirche der von der evangelischen Kirche


so schuf auch Luther aus ihr für die junge Kirche den sonn- und festtäglichen
Hauptgottesdienst, indem er der Predigt und dem Gemeindegesange innerhalb
ihres Schemas eine Stelle anwies. Auf diesem Grunde ballten dann sämmt¬
liche Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts fort, wenn auch im Einzelnen
unter den mannigfaltigsten Abweichungen von einander. Denn von Anfang an
wurde es den Gemeinden grundsätzlich freigestellt, sich in der Anordnung des
Gottesdienstes an die bei ihnen einmal entwickelten Formen so eng wie möglich
anzuschließen, nur unter Beibehaltung des Grundschemas der Messe, wie es von
Luther aufgestellt war. In diesem Grundschema aber waren sämmtliche litur¬
gisch-musikalischen Texte der alten Messe unverändert beibehalten, und es war
damit nach wie vor die Wahl gelassen, sie in der Ausführung liturgisch vor¬
tragen oder vom Chor musikalisch singen zu lassen.

Liturgische Texte nennt man innerhalb eines Gottesdienstes diejenigen,
welche der uralten Einrichtung der Kirche gemäß nicht gesprochen, sondern auf
die Notenreihen des sogenannten gregorianischen Chorals singend vorgetragen
werden. Für einen Theil dieser liturgischen Texte hat sich schon im früheren
Mittelalter die Gewohnheit gebildet, sie in beliebigem Wechsel zwischen beiden
Formen bald liturgisch, bald musikalisch zu behandeln. Im ersten Falle werden
sie entweder vom Geistlichen oder vom respondirenden Chor, von letzterem dann
in unisonem Gesänge auf die Noten des gregorianischen Chorales vorgetragen,
im zweiten Falle werden sie vom Chor in einem freigebildeten musikalischen Satze
gesungen. Es paßt sich dies eben der Festlichkeit und den vorhandenen gefäng¬
lichen und musikalischen Kräften und Mitteln an.

Die Messe besteht bekanntlich aus zwei Hälften. Die erste umfaßt die
Responsorien, die Psalmlesung, die Sündenbekenntniß mit Absolution und den
Introitus, d. h. einen nach den einzelnen Sonn- oder Festtagen wechselnden
Bibelspruch, den Gesang des Xz^ris, des Aoriel (Ehre sei Gott in der Höhe)
und, nach abermaligen Responsorien, dem priesterlichen Gebet, der Collecte und
der Epistellesung, den Gesang der Graduale — es ist dies wieder ein nach den
einzelnen Tagen wechselnder Bibelspruch - und zuletzt, nach Verlesung des
Sonntagsevangeliums > den Gesang des Oocio (Ich glaube an Gott den
Vater :c.). Die zweite Hälfte der Messe umfaßt die Abendmahlsfeier, den
Gesang des Offertoriums, eines dritten, nach den einzelnen Tagen wechselnden
Bibelspruchs, dann die Präfation, einen zwar nicht nach den einzelnen Festen,
aber doch nach den kirchlichen Festzeiten sich ändernden Wechselgesang zwischen
Priester und Chor, der aber niemals musikalisch, sondern stets nur liturgisch
gesungen wird. Darauf folgt das Llmows mit dem Lsusäiows (Heilig, heilig,
heilig ist der Herr! und Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn.)
Daran schließt sich in der katholischen Kirche der von der evangelischen Kirche


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[0459] so schuf auch Luther aus ihr für die junge Kirche den sonn- und festtäglichen Hauptgottesdienst, indem er der Predigt und dem Gemeindegesange innerhalb ihres Schemas eine Stelle anwies. Auf diesem Grunde ballten dann sämmt¬ liche Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts fort, wenn auch im Einzelnen unter den mannigfaltigsten Abweichungen von einander. Denn von Anfang an wurde es den Gemeinden grundsätzlich freigestellt, sich in der Anordnung des Gottesdienstes an die bei ihnen einmal entwickelten Formen so eng wie möglich anzuschließen, nur unter Beibehaltung des Grundschemas der Messe, wie es von Luther aufgestellt war. In diesem Grundschema aber waren sämmtliche litur¬ gisch-musikalischen Texte der alten Messe unverändert beibehalten, und es war damit nach wie vor die Wahl gelassen, sie in der Ausführung liturgisch vor¬ tragen oder vom Chor musikalisch singen zu lassen. Liturgische Texte nennt man innerhalb eines Gottesdienstes diejenigen, welche der uralten Einrichtung der Kirche gemäß nicht gesprochen, sondern auf die Notenreihen des sogenannten gregorianischen Chorals singend vorgetragen werden. Für einen Theil dieser liturgischen Texte hat sich schon im früheren Mittelalter die Gewohnheit gebildet, sie in beliebigem Wechsel zwischen beiden Formen bald liturgisch, bald musikalisch zu behandeln. Im ersten Falle werden sie entweder vom Geistlichen oder vom respondirenden Chor, von letzterem dann in unisonem Gesänge auf die Noten des gregorianischen Chorales vorgetragen, im zweiten Falle werden sie vom Chor in einem freigebildeten musikalischen Satze gesungen. Es paßt sich dies eben der Festlichkeit und den vorhandenen gefäng¬ lichen und musikalischen Kräften und Mitteln an. Die Messe besteht bekanntlich aus zwei Hälften. Die erste umfaßt die Responsorien, die Psalmlesung, die Sündenbekenntniß mit Absolution und den Introitus, d. h. einen nach den einzelnen Sonn- oder Festtagen wechselnden Bibelspruch, den Gesang des Xz^ris, des Aoriel (Ehre sei Gott in der Höhe) und, nach abermaligen Responsorien, dem priesterlichen Gebet, der Collecte und der Epistellesung, den Gesang der Graduale — es ist dies wieder ein nach den einzelnen Tagen wechselnder Bibelspruch - und zuletzt, nach Verlesung des Sonntagsevangeliums > den Gesang des Oocio (Ich glaube an Gott den Vater :c.). Die zweite Hälfte der Messe umfaßt die Abendmahlsfeier, den Gesang des Offertoriums, eines dritten, nach den einzelnen Tagen wechselnden Bibelspruchs, dann die Präfation, einen zwar nicht nach den einzelnen Festen, aber doch nach den kirchlichen Festzeiten sich ändernden Wechselgesang zwischen Priester und Chor, der aber niemals musikalisch, sondern stets nur liturgisch gesungen wird. Darauf folgt das Llmows mit dem Lsusäiows (Heilig, heilig, heilig ist der Herr! und Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn.) Daran schließt sich in der katholischen Kirche der von der evangelischen Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/459>, abgerufen am 23.07.2024.