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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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holt stark brandschatzte und ihre Vertreibung befahl, so ging man auch in
Deutschland wiederholt gegen sie vor. Unter andern: verbrannte 1266 das
Volk in Sinzig die dortigen Juden in ihrer Synagoge, und sieben Jahre später
bestätigte eine Synode in Wien nicht nur alle bis dahin gegen die Jsraeliten
erlassenen Gesetze, sondern schrieb ihnen außer dem "Judenzeichen" auch einen Hut
von lächerlicher Gestalt vor. Unter Rudolf von Habsburg aber wiederholten
sich die Judenschlächtereien aus der Zeit der ersten Kreuzzüge namentlich in
Mainz, Bacharach und München; an letzterem Orte wurde 1285 die Synagoge
mit 180 Personen in Asche gelegt, und viele Juden der Rheinlande wanderten
in Folge dessen nach Syrien aus. 1294 zwang der deutsche König Adolf die
Juden zu Bern, auf alle ihre Schuldforderungen an die Stadt und einzelne
Bürger zu verzichten und die empfangenen Scheine und Pfänder zurückzugeben.
Während des Kampfes zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Oesterreich,
der einige Jahre später ausbrach, zog fanatisches Volk unter Führung des Edel¬
mannes Rindfleisch gegen die Juden in Franken zu Felde, die in Röttingen eine
Hostie in einem Mörser zerstampft haben sollten, und zu gleicher Zeit fanden
blutige Metzeleien in Baiern und Oesterreich statt. Die Zahl der dabei um¬
gekommenen Juden soll mehr als hunderttausend betragen haben. Einige Jahre
zuvor war das Volk Gottes, nachdem man ihm 1275, ohne Zweifel vergeblich,
den Wucher untersagt, und nachdem 1278 entdeckt worden, daß gegen dreihundert
Angehörige desselben Falschmünzerei getrieben, aus England verbannt worden,
und wieder einige Jahre später wurde es von Philipp dem Schönen aus
Frankreich ausgewiesen. Dort verließen 16511, hier über 100000 Juden
das Land.

In Deutschland fanden im zweiten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts
wieder fast allenthalben blutige Judenverfolgungen von Seiten des Volkes statt.
Im Elsaß mordeten Haufen von Bauern 1336--1337 unter den dortigen Jsraeliten.
Zu derselben Zeit erhoben sich die Bürger der bairischen Stadt Deggendorf
gegen ihre jüdischen Gläubiger, wobei sie alle Juden des Ortes erschlugen oder
verbrannten. In Oesterreich, Böhmen und Mähren geschah Aehnliches, ohne
daß der Kaiser dagegen einschritt. Den Gipfel des Schrecklichen endlich erreichten
diese Unthaten, als die Pest des "schwarzen Todes" über Europa hinzog und
die öffentliche Meinung die Juden beschuldigte, die Seuche veranlaßt zu haben.
Vergebens suchte Kaiser Karl IV. einzuschreiten. Auch die Stimme des Papstes
Venediet VI. verhallte erfolglos. Wie in Südfrankreich, Catalonien, Savoyen
und der Schweiz, so wurden auch in Deutschland in den Jahren 1348 und
1349 Tausende von Juden hingerichtet oder vom Volke getödtet. So gingen
die ältesten Gemeinden derselben, die in Mainz und Cöln, desgleichen die zu
Erfurt, Breslau, Wien und Nürnberg zu Grunde, und in dem damals schwächer


holt stark brandschatzte und ihre Vertreibung befahl, so ging man auch in
Deutschland wiederholt gegen sie vor. Unter andern: verbrannte 1266 das
Volk in Sinzig die dortigen Juden in ihrer Synagoge, und sieben Jahre später
bestätigte eine Synode in Wien nicht nur alle bis dahin gegen die Jsraeliten
erlassenen Gesetze, sondern schrieb ihnen außer dem „Judenzeichen" auch einen Hut
von lächerlicher Gestalt vor. Unter Rudolf von Habsburg aber wiederholten
sich die Judenschlächtereien aus der Zeit der ersten Kreuzzüge namentlich in
Mainz, Bacharach und München; an letzterem Orte wurde 1285 die Synagoge
mit 180 Personen in Asche gelegt, und viele Juden der Rheinlande wanderten
in Folge dessen nach Syrien aus. 1294 zwang der deutsche König Adolf die
Juden zu Bern, auf alle ihre Schuldforderungen an die Stadt und einzelne
Bürger zu verzichten und die empfangenen Scheine und Pfänder zurückzugeben.
Während des Kampfes zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Oesterreich,
der einige Jahre später ausbrach, zog fanatisches Volk unter Führung des Edel¬
mannes Rindfleisch gegen die Juden in Franken zu Felde, die in Röttingen eine
Hostie in einem Mörser zerstampft haben sollten, und zu gleicher Zeit fanden
blutige Metzeleien in Baiern und Oesterreich statt. Die Zahl der dabei um¬
gekommenen Juden soll mehr als hunderttausend betragen haben. Einige Jahre
zuvor war das Volk Gottes, nachdem man ihm 1275, ohne Zweifel vergeblich,
den Wucher untersagt, und nachdem 1278 entdeckt worden, daß gegen dreihundert
Angehörige desselben Falschmünzerei getrieben, aus England verbannt worden,
und wieder einige Jahre später wurde es von Philipp dem Schönen aus
Frankreich ausgewiesen. Dort verließen 16511, hier über 100000 Juden
das Land.

In Deutschland fanden im zweiten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts
wieder fast allenthalben blutige Judenverfolgungen von Seiten des Volkes statt.
Im Elsaß mordeten Haufen von Bauern 1336—1337 unter den dortigen Jsraeliten.
Zu derselben Zeit erhoben sich die Bürger der bairischen Stadt Deggendorf
gegen ihre jüdischen Gläubiger, wobei sie alle Juden des Ortes erschlugen oder
verbrannten. In Oesterreich, Böhmen und Mähren geschah Aehnliches, ohne
daß der Kaiser dagegen einschritt. Den Gipfel des Schrecklichen endlich erreichten
diese Unthaten, als die Pest des „schwarzen Todes" über Europa hinzog und
die öffentliche Meinung die Juden beschuldigte, die Seuche veranlaßt zu haben.
Vergebens suchte Kaiser Karl IV. einzuschreiten. Auch die Stimme des Papstes
Venediet VI. verhallte erfolglos. Wie in Südfrankreich, Catalonien, Savoyen
und der Schweiz, so wurden auch in Deutschland in den Jahren 1348 und
1349 Tausende von Juden hingerichtet oder vom Volke getödtet. So gingen
die ältesten Gemeinden derselben, die in Mainz und Cöln, desgleichen die zu
Erfurt, Breslau, Wien und Nürnberg zu Grunde, und in dem damals schwächer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/435>, abgerufen am 25.08.2024.